Ich sitze stumm im Speise Wagon neben Belt. Draußen rauschen Felder vorbei und der Himmel strahlt, während der ferne Horizont kein Stück näher zu rücken scheint. Die Mauern, die Distrikt 8 umgeben haben wir schon lange hinter uns gelassen.
Flame Headburn sitzt an einem Tisch neben uns und kaut lustlos an ein paar Trauben herum während sich auf dem Teller vor mir Tortenstücke, Küchlein, kleine Pies, Pralinen und Tarts stapeln. Das Backwerk ist wunderschön verziert mit filigranen Schnörkeln und Blüten aus Zuckerguss und der Anblick der Pastellfarben, die ich nur von Stoffen kenne, verwirren meine Sinne zwar, der süße Duft aber, bringt meinen Margen zum Rumoren obwohl ich bereits einen halben Truthahn samt Füllung und gebratenen Kartoffeln verdrückt habe. Ich beiße in einen Cupcake, der mit baby-rosanem Frosting getoppt ist und verschlucke mich fast, als ein penetranter Rosengeschmack in meiner Mundhöhle explodiert. Der picksüße Teig klebt mir am Gaumen, viel zu viel Zucker für meinen Geschmack, aber ich greife einfach nach der Sektflöte, die zu meinem Gedeck gehört und Spüle den Bissen mit Orangensaft runter. Ich lege den Cupcake nicht zurück, sondern esse ihn auf, bevor ich nach einem gewaltigen Stück Sahnetorte greife. Ist mir egal, wie dick das Zeug macht, im Gegenteil, in der Arena kann ich die extra Fettschicht gut gebrauchen.
Gleich müssen unsere Mentoren durch die Schiebetür am Ende des Wagons kommen. Ich lasse meinen Blick über die das Ebenholzmobiliar, die mit Samtbezogenen Sitzgarnieturen, die Silbernen Denken Leuchten und die Wandverkleidung schweifen, die im Licht der Glühbirnen rostbraun schimmert. Das ist mehr Luxus, als ich jemals in meinem ganzen Leben zuvor gesehen habe, zusammen gepfercht auf wenige Quadratmeter.
Ich träume. Das muss es sein. Deswegen bleib ich so ruhig, im Angesicht meines bevorstehenden Todes. Das hier ist nicht real, sondern nur ein Traum, der mich in der Nacht vor der Ernte heimsucht. Gleich wach ich schweiß gebadet in meinem Bett auf und Lavender schnauzt mich an, dass ich sie gefälligst weiterschlafen lassen soll. Ich muss nur meine Augen schließen.
Ich lehne mich zurück in die weichen Polster und lausche dem Schmatzen des Jungens neben mir. Als ich die Augen wieder öffne, stehen eine Frau und ein Mann vor unserem Tisch.
„Die diesjährigen Tribute aus Distrikt 8", die Frau schaut verträumt an uns vorbei, und öffnet ihren Mund kaum beim Sprechen. Ihre Augen sind stumpf und glasig Sie hat schöne Haare, schwarz und lang, aber sie sind ausgedünnt und hängen schlaff an ihrem knochigen Körper herab, der in roten und violetten Stoff gehüllt ist. Sie hebt die Hand und streicht sich eine Strähne hinters Ohr. Goldene Armreifen klingeln, um ihr Handgelenkt trägt sie viele davon, und ihre Finger verharren an ihrer Wange, von wo aus sich eine Narbe bis rauf zu ihrer Stirn zieht und ihr elfenhaftes Gesicht verunstaltet. Der Mann ergreift ihre Hand und hält sie fest. Neben der mageren Frau wirkt er nahezu hünenhaft mit seinem verfilzten roten Bart, der breiten Brust und den wilden, grauen Augen.
„Mein Name ist Canvas Weyl, Gewinner der 35. Hungerspiel. Ich bin euer Mentor und während der Spiele, euer bester Freund."
Er schnappt sich einen Stuhl und lässt sich darauf fallen. Er dreht sich zu Belt wendet sich dabei von mir ab. Natürlich. Belt ist sein Schützling und meine Mentorin ist...ja wie heißt die Frau? Ich schaue zu ihr hoch. Sie blickt immer noch aus dem Fenster. Ich warte einige Augenblicke, aber sie bleibe einfach so im Raum stehen, stumm und unbewegt wie eine dekorative Lampe.
„Also Junge", gut, dieser Canvas Weyl nimmt also wenigstens Kontakt mit dem Jungen auf. Ich glaube kaum, dass ich so etwas von dieser wortlosen Dörrpflaume erwarten kann.
„Ehhhmmmm...entschuldigen Sie?" Keine Reaktion. Ich werde unruhig. Plötzlich ist es heiß in dem Wagon und ich spüre, wie meine Wangen erröten. Unangenehm. Ich fasse es nicht. In wenigen Tagen werde ich in der Arena sein und das, was mich beunruhigt ist nicht der unausweichliche Tod, sondern meine schweigende Mentorin.
Verdammt, lass ich mich leicht aus der Ruhe bringen. Wenn ich wegen so etwas schon meine Nerven wegschmeiße, hab ich in der Arena nicht die leiseste Chance. Mein Herz pocht schneller. Ich kann förmlich spüren, wie meine Halsschlagader pulsiert und meine Lunge langsam durchdreht. Die Arena. Jetzt bloß nicht nach Luft schnappen.
Die anderen können nicht in deinen Kopf schauen. Sie werden nur ein hyperventilierendes, dummes Mädchen sehen, für das man sich gar nicht erst die Mühe machen sollte, auch nur den kleinen Finger zu heben, ganz zu schweige davon Ratschläge zu geben oder Sponsoren zu finden. Verdammt, was mach ich grad eigentlich? Ich drehe vollkommen durch, obwohl ich eigentlich die Zeit nutzen sollte, um mit meiner Mentorin eine Strategie aus zu arbeiten, die meine Chancen zu überleben eher verbessert, als einen Mentalen Zusammenbruch zu haben, der damit endet, dass ich bewusstlos am Wagonboden rumgammle.
Wobei wir wieder beim Ausgangsproblem währen. Meine schweigende Mentorin, die ihrer Meinung nach, anscheinend gar nicht anwesend sein muss.
Na gut Sage, reiß dich zusammen. Fokus.
Neben dir wird in eben dieser Sekunde darüber diskutiert, wie man am besten überlebt. Wie wärs, wenn du das Gespräch nicht als Hintergrundrauschen abtun würdest, sondern dich darum bemühst die Worte zu verstehen bevor du das wichtigste verpasste, du hohle Nuss, du. Das wäre doch mal ein Anfang.
„und so vermeidest du am besten, im Blutbad drauf zu gehen, Kleiner"
Verdammt!
„Ehmm...Entschuldigung. Könnten Sie das bitte wiederhohlen?" Meine Stimme hört sich selbst in meinen Ohren armselig an.
Canvas runzelt die Augenbraun und dreht den Kopf leicht in meine Richtung, seine Haltung, lässt aber darauf schließen, dass er sich nicht auf ein längeres Gespräch mit mir einstellt.
Er seufzt und schließt die Augen in auf eine Art, als hätte er es mit einem bockigen Kleinkind zu tun, dass gerade etwas unglaublich Dummes gesagt hat. Das hilft mir zwar nicht wirklich bei meinem Versuch mich in der Situation wohler zu fühlen, aber wenigsten gibt er mir eine Antwort, auch wenn er diese, mit einem Seufzer beginnt:" Hör mal Mädchen, ich versteh ja, dass du unsicher bist und Angst hast, jetzt wo du mit einer Situation konfrontiert wirst, die direkt aus deinen Albträumen stammen könnte, aber du bist Sibylls Schützling." Er wirft der Frau einen Blick zu, den sie aber weder erwidert noch zu bemerken scheint.
Er kennt sie länger als ich. Vielleicht gibt es eine Art Trick, oder eine bestimmte Art zu sprechen, die sie reagieren lässt. Meine Hoffnung wird im Keim erstickt, als er nur gleichgültig mit den Schultern zuckt und mit der gleichen, abfälligen Art weiterspricht:" Sie hat eben manchmal ihre...Aussetzer".
Drogenexzesse, würde es wohl eher treffen. Auch wenn ihr Mund verschlossen bleibt, aus ihren Augen spricht das Morphium. Die Obdachlosen, die mich auf dem Weg zur Fabrik von der Seite anglotzen haben denselben Ausdruck, verwirrt und weltfremd mit einer eigentümlichen Seligkeit. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht laut los zu schreien, das ist nicht der Ausdruck den die Mentorin einer Siegerin hat.
„Ich bin für den Jungen zuständig. Sibyll für die Mädchen. So ist das nun mal. Tut mir leid Kleine, aber ich hab schon alle Hände voll damit zu tun ihn hier durch zu boxen."
Belt scheint um einen Kopf kleiner als zuvor und nimmt die genervte Stimme seines Mentors sichtlich als Beleidigung hin, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen.
Ich hauche ein „Okay" und belade mit gesenktem Kopf meinen Teller mit noch mehr Backwaren. Eine jämmerliche Antwort, aber immer noch besser als wortlos vor mich hin zu schmollen.
Konzentration.
Ich versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren und das Gespräch, das Tribut und Mentor neben mir führen, ohne weiter von meiner Anwesenheit Notiz zu nehmen, in meinem Gehirn ab zu speichern.
Nach einer Weile ist mein Teller leer und mein Bauch voll. Draußen vorm Fenster rauschen Landschaften an uns vorbei, die ich noch nie gesehen habe und wahrscheinlich auch nie wieder sehen werde.
Da draußen ist Panem, und hier drinnen, sitzen zwei zum Tode verurteilte, ein Sieger und eine Drogenabhängige.
Da draußen ist die Welt.
Mein Kopf leer sich.
Nur ein Gedanke hallt in der Leere wider.
Ich will nicht sterben
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das Mädchen aus Distrikt 8
FanfictionWillkommen, willkommen, zu den 56. Hungerspielen! Die 17-jährige Sage Rosesleeve aus Distrikt 8 verfolgt eine nie dagewesen Strategie um die diesjährigen Spiele zu gewinnen...eine Beziehung mit einem Karriero! Der starke, schüchterne Junge aus 2 sch...