Das Blutbad

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30...
Grelles Tageslicht blendet mich.
Menschen stehen um mich herum. Wir stehen im Kreis, jeder auf einer erhöhten Plattform. In der Mitte glänzt etwas.
20...
Grau und Grün. Felsbrocken, die auf einer weiten Wiese verteilt liegen. In der Ferne ein dunkelgrüner Strich.
10...
Es ist alles so wirklich
9...
Ich bin hier. Ich bin wirklich bei den Hungerspielen!
6...
Sammeln Sage
5...
Offenes Feld, das schaff ich nie
4...
Wo ist er
3...
Was soll ich tun?
2...
Ich schaff das nicht
1...
Ich schaff das ni-

Das dumpfe trampeln von Füßen auf Gras. Das Geräusch dröhnt in meinen Ohren. Alle bewegen sich. Einige weg, hin zum dunkelgrünen Waldrand in der Ferne, andere zum Füllhorn hin. Ein Junge fällt auf die Knie. Ein Mädchen schubst ein anderes bei Seite. Konzentrier dich, Sage!
Die Tribute links und rechts von mir haben beide die Flucht ergriffen. 4 Tribute sind schneller als die anderen. Sie erreichen das Füllhorn als erste. Etwas blitzt im Licht der Sonne auf. Jemand schreit. Ein Junge, gerade mal 12, fällt zu Boden. Er steht nicht mehr auf. Ein Mädchen bricht nieder. Ein langer Pfeil ragt aus ihrer Brust. Sie kippt nach vorne und kreischt als sich die Spitze durch den Aufprall weiter in ihr Fleisch gräbt. Tribute straucheln. Tribute fallen. Einigen gelingt es einen der Rucksäcke zu ergattern, die rings um das Füllhorn verstreut liegen. Manche schaffen es sogar danach noch die Flucht zu ergreifen. Andere nicht.
Meine Füße kribbeln. Die Sehne in meinem rechten Oberschenkel zuckt. Meine Schultern spannen sich an, genauso wie mein Kiefer. Ich will weg. Jetzt sofort. Ich will laufen. Weg, weg, weg. Weit weg von den Schreien und den Kindern, die am Boden liegen.
Aber ich kann nicht. Wie angewurzelt stehe ich da und beobachte, wie die 4 Gestalten rund um das Füllhorn weiter schlachten. Manche Tribute wehren sich oder laufen vor lauter Panik mit anderen zusammen.
Nicht jeder, der heute im Blutbad sein Leben lässt, stirbt durch die Hand eines Karrieros. Ein Tribut, etwas abseits des Hauptgeschehens den ich im Moment nicht zuordnen kann, wird von dem Mädchen aus 7 mit einer Axt niedergestreckt. Die Kleine schnappt sich den Rucksack des Sterbenden und verschwindet zusammen mit den beiden aus 10, die während dessen das Mädchen aus 6 und den Jungen aus 3 zu Boden werfen.
Sie jagen über die Wisse und verschwinden wie, die anderen Tribute, die das Blutbad überlebt haben, in der Dunkelheit des Waldes. Rund um das Füllhorn stehen nur noch 5 Tribute.
Die 4 Karrieros und ich. Sie sehen mich. Der Mädchen aus 2 schreit den andern etwas zu, dann dreht sie sich in meine Richtung und läuft los. In den Händen hält sie ein Schwert umklammert. Es glänzt rot als sie auf mich zu läuft und bei jedem Schritt reflektiert die blanke Klinge das Sonnenlicht. Mein Herz sinkt in die Hose, ansonsten bleibe ich aber entspannt. Dann soll es also so sein. Es ist keine Schande im Blutbad zu sterben, dieser Tod ist bestimmt kurz, wenn auch nicht schmerzlos, aber besser als nach Tagen des Leidens an einer Infektion zu verröcheln. Meine Knie werden schwach und zittern, aber ich bleibe ruhig. Ich spüre nichts als Leere in mir, während ich beobachte, wie sich das Mädchen auf mich zu bewegt. Dann bemerke ich eine zweite Gestalt. Eine größere, breitere, die sich rasend schnell auf das rennende Mädchen zu bewegt. Die Gestalt holt immer weiter auf und macht keine Anstalt sein Tempo zu drosseln, auch nicht, als er das Mädchen schon beinahe eingeholt hat. Im vollen Sprint prallt er, ohne zu zögern, mit dem Mädchen zusammen. Die Kollision wirft die beiden zu Boden. Das dumpfe Geräusch des Aufpralls wird begleitet von einem hässlichen Knacken und einem schmerzverzehrten Stöhnen. Der bullige Junge sitzt rittlings auf dem Mädchen. Sie kreischt ihm etwas entgegen, aber er zeigt sich wenig beeindruckt und hebt seine Faust.
Ich will nicht hinsehen, aber ich muss.
Ich sehe wie sich die Faust hebt und ich sehe, wie sie auf den hübschen Kopf des Mädchens runter saust. Immer und immer wieder. Das silbrig glänzende Haar färbt sich rot. Die olivfarbene Haut und die grauen Augen nehmen dieselbe Farbe an und das Gras unter ihr ist von ihrem Blut getränkt. Die Fäuste des Jungen sind fleckig, grob und hässlich und sie hören nicht auf. Auch sie sind rot genauso wie die Spritzer, die das T-Shirt und das Gesicht des Jungen verunstalten. Das Mädchen liegt in einer Lake. Sie bewegt sich nicht mehr. Die Faust geht ein letztes Mal auf ihren Kopf nieder. Das Geräusch lässt mich würgen.
Dann richtet er sich auf. Das Mädchen bleibt liegen, das was von ihrem Körper übrig ist, werden die Hovercrafts einsammeln.
Die beiden Tribute aus 1 treten wortlos zu dem Jungen. Sie schauen nicht runter auf die Gefallene, sondern wechseln nur ein paar Worte mit dem Jungen, während das Blut an seiner Hand auf die Erde tropft. Schließlich nicken sich die drei zu und gehen in meine Richtung.
Die beiden aus 1 werden mir einen finstern Blick zu aber der Junge aus 2 strahlt mich an. Das Lächeln auf seinen Lippen glänzt unerträglich weiß in seinem blutverschmierten Gesicht.
Ich stehe immer noch wie angewurzelt auf meiner Plattform, ich habe mich keinen Zentimeter bewegt, seit die Spiel begonnen haben. Die drei kommen vor mir zum Stehen. Wortlos steigt der Junge aus 2 zu mir auf die Plattform und hebt mich hoch. Mechanisch lege ich meine Arme um seinen Hals und versuche zu lächeln, aber mein Gesicht verkrampft sich, als seine feuchten Hände mich umschlingen und meine Kleidung mit warmem Blut beflecken. Er springt von der Plattform und stellt mich auf den Boden. Jetzt sehe ich sein Gesicht und sein Gewand aus der Nähe. Mein Magen verkrampft sich und ein Schaudern durchfährt meinen Körper.
Wäre ich doch bloß gelaufen.
Er sieht nicht die Abscheu in meine Augen, sondern nur das Lächeln auf meine Lippen. Wortlos presst er seien Mund auf meinen.
Mir wird schlecht. Hitze und Kälte wellen lassen meinen Körper gleichermaßen erzittern und ich spüre, wie saurere Magensaft meine Speiseröhre hoch drängt.
Nicht jetzt. Bitte! Wenn ich jetzt Kotze, bin ich Tod.
Der Junge vergräbt seine Hände in meinen Haaren. Seine feuchten, warmen, roten Hände. Ich krieg keine Luft mehr. Alles dreht sich. Vor lauter Angst um zu fallen, klammere ich mich an ihm fest.
Ich weiß nicht wie lange wir so da stehen, ich weiß nur, dass ich mich wie eine Betrunkene fühle, als er von mir ablässt.
Meine Unterlippe zittert und die Spitzen meiner Haare sind verklebt von dem Fremden Blut.
Liebevoll, schaut er mich aus rehbraunen Augen an.
Mir ist schlecht. 

das Mädchen aus  Distrikt 8Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt