Das Finale

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Die Büsche liegen hinter uns. Vor uns erstreckt sich eine saftige Wiese und in der Ferne glänzt das Füllhorn in der Mittagssonne. Ich wirble herum. Die Wolke ist hinter den letzten dürren Baustämmen zum stehen gekommen und die Insekten sind ganz plötzlich verstummt. Hastig zerstreuen sich die Insekten vor meinen Augen, und ich kann kaum glauben, dass ich vor den paar Biene, die friedlich zurück in den Wald kehren, vor wenigen Sekunden noch Todes Angst hatte. Dann fällt mir die Kanone ein. Für einen von uns, haben die Viecher wohl wirklich das Aus bedeutet. Lapis und Emerald ringen genauso um Luft wie ich, das ist das erste Mal, dass ich sehe, dass sie sich wirklich angesträngt wirken und für eine kurzen Moment verschafft mir das so etwas wie Genugtuung, aber die Freude währt nur kurz, den mit einem Schlag wird mir klar, was jetzt kommt.
Das Final hat begonnen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir uns noch gemeinsam zum Füllhorn aufmachen würden. Ich dachte eher, das Lapis und der Junge aus 2 noch in derselben Sekunde auf einander los gehen würden, in der sie sich ihre Lungen von der Flucht erholt hätte, aber keiner der beiden macht Anstalt die Waffen zu ziehen.
„Es wartet immer noch ein Tribut auf uns. Wir habe keine Zeit uns aus zu ruhen", bringt der Junge zwischen zwei Schnaufern hervor währende er seinen Oberkörper wieder aufrichtet.
Falsch, denke ich. Es stehen noch 3 dem Sieger im Weg, aber ich nicke. Mir ist nicht entgangen, dass Lapis viel schneller wieder zu Atem gekommen ist, natürlich. Sie ist immer noch so frisch und unversehrt wie am ersten Tag, während der Bienenangriff dem Jungen einen Teil seiner Kräfte geraubt hat, was sich jetzt mehr bemerkbar macht den je. Im Wald ist es mir nicht weiter aufgefallen, ich dachte er hätte sich schon vollständig erholt, aber als er mich bei der Flucht hinter sich hergezogen hat und ich tatsächlich Schritt halten konnte, ist mir klar geworden, wie eingeschränkt mein Beschützer immer noch ist.
Wir gehen über die Wiese, hin zum Füllhorn. Mit jedem Schritt werden meine Knie etwas zittriger und das beklemmende Gefühl in meiner Brust stärker. Mit jedem Atemzug verkrampfen sich meine Eingeweide stärker, aber ich schreite mit erhobenem Kopf neben den anderen her, mit einem Gesicht aus Stein, das meine Angst verbirgt und mich fast beinahe so unverwundbar macht, wie die beiden Karrieros neben mir. Aber ich bin nicht so dumm zu glaube, dass beim Füllhorn ein Happy end auf mich wartet. Ich weiß, dass mein Plan riskant, wahnsinnige und mit Sicherheit nicht Fehler los ist, aber und, dass ich gerade in diesem Moment auf meinen Tod zu gehen könnte, aber ich versuche den Gedanken aus zu blenden, auch wenn er immer wieder, wie ein gleisender Blitz durch meinen Kopf jagt und Wellen der Panik durch meine Körper schickt.
Das silberne Horn kommt näher und näher. Lapis zieht ihre Axt und auch der Junge greift nach seinem Schwert. Ich hohle mein Messer hervor und fühle mich wie eine schmächtige Witzfigur.
10 Meter trennen uns noch vom Füllhorn, nicht mehr und so weit ich es erkennen kann, scheint auch niemand dort auf uns zu warten. Plötzlich beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Kalter Schweiß rinnt mir über den Rücken und mein Magen dreht sich um. Was wenn wir eine Kanone überhört habe?
Etwas fliegt nur Zentimeter an meinem Kopf vorbei. Mein Freund zieht mich zu sich und kugelt mir dabei beinahe die Schulter aus, aber seltsamerweise fühle ich keine Angst, sondern Erleichterung.
„Aufs Füllhorn!" Ein zweites Messer fliegt durch die Luft, dieses Mal bohr es sich weiter weg in den Boden, aber da fliegt auch schon das nächste auf Lapis zu, die einen Hechtsprung zur Seite macht und in einer fließenden Bewegung wieder zurück auf die Beine kommt. Der Tribut aus 2 schreit mich nochmal an, aber ich verstehe seine Worte nicht. Benommen taumle ich auf das Füllhorn zu aber als ich vor der glatten Metallwand stehe, wir mir schlagartig bewusst, dass ich mich niemals da rauf hiefen kann. Ich drehe mich um und beobachte den Kampf, der sich nur wenige Meter von mir entfernt ab spielt und komme mir dabei so nutzlosvor, wie in den ersten Tagen in der Arena.
Die Überlebende ist die Tributin aus 7, die anscheinend nicht nur mit einer Axt umgehen, was sie schon beim Training gezeigt hat, sondern auch noch Messerwerfen kann und obwohl die Messer nicht mit der tödlichen Präzision geworfen werden, die Emerald an den Tag gelegt hat, segeln die Geschosse hin und wieder nur knapp an den beiden Karrieros vorbei. Vor allem Mein Freund gibt eine breite Zielscheibe ab und muss sich deswegen ständig ducken oder zur Seite springen. Wie viele Messer hat dieses Mädchen, bitte? Sie steht einige Meter entfernt aber ich kann erkennen, dass so etwas wie eine Scherpe um ihre linke Schulterhängt aus der sie immer wieder Wurfmesser zieht. Bei jedem Messer hoffe ich, dass es das letzte ist aber noch geht der Vorrat nicht zur Neige und selbst wenn sie ihre Waffen für den Fernkampf alle verschossen hat, steckt eine Axt griff bereit mit dem Kopf voran neben ihr im Gras, so dass sie nur nach dem Griff greifen muss und bereit ist ihrem Gegner den Schädel damit zu zertrümmern. Dieses Mädchen hat sich ihre Position und Vorgehensweise genau überlegt, ich schätze, dass sie schon eine ganze Weile beim verlassenen Füllhorn gewartet und die Zeit bestmöglich genutzt hat, aber an ihrem gehetzten Blick merkt man ihr an, dass sie nicht damit gerechnet hat es mit zwei Karrieros gleichzeitig auf nehmen zu müssen. Hätte sie nur einem der beiden gegenüber gestanden, hätte sie zweifellos schon eine tödlichen Treffer landen könne, aber während sie auf den großen Junge zielt, gegen den sie ganz sicher keine Chance hat, wenn es zu einem Nahkampf kommen sollte, wird sie von Lapis abgelenkt, die sich ihr immer weiter nähert und ihren Messer mühelos ausweicht in dem sie immer wieder Haken schlägt. Verzweiflung macht sich in dem Gesicht des Mädchens breit und auf einmal wird mir bewusst, wie jung sie noch ist. Sie greift nach einem Messer und wirft den Gurt weg. Das ist ihr letztes. Sie schleudert es Lapis entgegen, die mit erhobener Axt auf sie zugelaufen kommt und das Wurfgeschoss ganz einfach mit der flachen Seite ihrer Waffe aus seiner Flugbahn bringt. Die Klinge bleibt surren im Boden stecken, aber da ist noch ein anders Geräusch. Ein dumpferes. Fast zeitgleich schnappt jemand nach Luft.
Ich schaue rüber zu dem Jungen, dem ein Wurfmesser in der Schulter steckt. Die Klinge ist beinahe bis zum Schaft in seinem Fleisch vergraben doch grotesker Weiße, blutet er kein bisschen, was die Verletzung wie einen schlechten Scherzartikel aussehen lässt. Der Junge wir kreidebleich im Gesicht, erst jetzt sickert es rot aus der Wunde. Ein weiterer dumpfer Schlag lässt mich erneut herumfahren. Lapis hat kurzen Protzes gemacht und dem Mädchen die Axt in den Kopf gerammt eher sie, das die Hand noch zum Werfen erhoben hält, nach ihrer eigenen greifen konnte. Das alles hat sich innerhalb Sekund abgespielt, aber es kommt mir vor, als hätte sich jedes kleinste Detail fest in mein Hirn gebrannt. Das Gras, dass sich rot färbt. Der glänzende Stahl, verschmierte rote Flecken, die im Sonnenlicht wie Rubine glänzen und ein lebloser Haufen aus Fleisch, Haut und Haare, der vor wenigen Augenblicken noch ein Mensch gewesen ist.
Plötzlich befinde ich mich wieder beim Blutbad. Auf einmal ist es so, als hätte ich meine Plattform nie verlassen und als ob all die Tage, die ich mit den Karrieros verbracht habe, nichts weiter als Fantasien und Hirngespinste davon sind, was in der Arena auf mich zukommen könnte. Aber dieses mal bin ich kein kleines verängstigtes Mädchen, dieses mal schaue ich dem verstörten, jungem Ding von oben zu. Ich schwebe über ihr, wie ein Geist oder als ob mich ein Hovercraft schon geholt hätte, und beobachte, wie sie mit weit aufgerissenen Augen dem Gemetzel zu schaut, das sich vor ihren unschuldigen Augen abspielt. „Lauf weg!" schreie ich ihr zu, aber ich habe keine Stimme mehr. Das macht mich nichts aus. Ich habe keine Wünsche mehr, keine Gefühle, Sorgen oder einen Willen . Ich schwebe über allem und schaue mir unbeteiligt und unbekümmert die Szenen an, die sich in der Arena abgespielt haben. Ich sehe einen Kuss, ich sehe eine Gruppe zum Tode Verurteilter, die in die Sterne schauen, ein schreiendes Mädchen neben einem erloschenen Feuer und eine blaue Schlange im endlosen Grün. Zwei Körper drängen sich vor meinen Augen dicht aneinander und werden in eine dunkle Wolke gehüllt. Ein Junge mit Smaragden als Augen flieht vor der selben Wolke und bleibt in einem Baum hängen und ein Mädchen versteckt sich hinter einem Horn aus Metall, als sich eine Gruppe Jugendlicher nähert. Ich sehe ein Mädchen das Haken schlägt wie ein Hase und ein Messer, das sich tief in eine Schulter gräbt, aber das alles ist mir vollkommen gleichgültig. Hier oben bin ich nur eine Zuschauerin, eine von Millionen anderer.
Dann werde ich zurück in meinen Körper gerissen. Das hässliche Geräusch von Stahl, der aufeinanderprallt und plötzlich bin ich wieder mitten drinnen. Das Mädchen aus 7 ist tot. Sie ist weg. Steht meinem Sieg nicht mehr im Weg. Noch 2. Mehr sind es nicht mehr. 2 von 24. Das kann ich schaffen, ich kann nachhause, ich kann-.
Ein Schrei und ein dumpfes Geräusch. Die beiden Karrieos kämpfen und Lapis hat einen Treffer gelandet. Ein Zittern durchfährt mich und meine Knie geben nach. Ich stütze mich am Füllhorn ab, um nicht zusammen zu klappen.
Nein, nein, nein, nein! Nicht Lapis! Nicht sie!
Der Junge aus 2 gibt sich nur einen kurzen Moment seinen Schmerzen hin. Lapis Axt hat seinen linken Oberarm zwar nur gestreift, aber der nasse, dunkle Fleck, der sich dort ausbreitet, wo die Axt ihn getroffen hat, breitet sich schnell aus. Dem Jungen bleibt keine Zeit die Wunde näher zu begutachten, geschweige denn sein Schwert zu senken, denn schon saust Lapis Axt erneut auf ihn nieder. Immer und immer wieder. Unerbittlich hageln ihre Schläge auf ihn ein. Während er bei jedem Hieb, den er abwehrt das Gesicht verzieht, bleibt ihre Miene stoisch und unbewegt. Sie kämpft um den Sieg. Der Junge, neben dem sie nur wenige Stunden zuvor als Kamerad aufgewacht ist, ist jetzt ihr Gegner. Ihre Wahrnehmung hat sich problemlos umgestellt, als hätte sie nur einen Schalter in ihrem Kopf betätigen müssen, um die Erinnerungen an die letzten Tage aus zu löschen. Er wir verlieren. Sie weiß es ebenso wie ich und der Junge, der jetzt immer weiter zurücktaumelt und dabei nicht einmal versucht den Angriff zu erwidern. Er ist vollkommen damit beschäftigt die Axtschläge abzuwehren, aber sogar für mein ungeübtes Auge ist klar zu erkennen, dass der Tribut sich nicht wohl in der Defensive fühlt und es nicht gewohnt ist zurückgedrängt zu werden. Er wird sterben, und mit ihm gehen meine Chancen jemals wieder meine Geschwister in die Arme zu schließen dahin. Ich bleibe ruhig. Panik lässt mich klarer denken, das habe ich in der Arena gelernt. Ich lasse meinen Blick wandern. Ich mustere jeden Quadratmeter des Füllhorns und der Wiese, in meiner Sichtweite, und bleibe bei etwas hängen, dass nur wenige Schritte entfernt von mir, neben einem der Plattformen liegt. Es ist ein krummes Ding aus Holz, wahrscheinlich selbst gemacht, aber es sieht aus, als könnte es funktionieren. Ein einzelner Pfeil liegt daneben. Er hat nicht einmal ein Spitze aus Eisen, aber das angespitzte Ende ist auf die beiden Kämpfenden gerichtet. Ich bin nicht abergläubisch. War ich noch nie. Aber in diesem einen Pfeil, in diesem spitze Stock der auf die beiden Kämpfenden weist, sehe ich ganz plötzlich mein Ticket aus der Arena. Ich denke nicht darüber nach. Es ist dumm, so furchtbar dumm, aber es ist so, als könnte ich nicht anders. Als gebe es einen Grund, warum die Waffe genau hierliegt, beinahe so, als hätte sie auf mich gewartet.
Mir bleibt nicht viel Zeit, das weiß ich, ebenso ist mir bewusst, dass mir das mein Leben kosten könnte, aber mir ist klar, dass das gleichzeitig auch meine einzige Chance ist hier wieder lebend raus zu kommen.
Es liegen nur wenige Sekunden zwischen dem Moment, in dem ich den Bogen sehe und den Pfeil spanne. Der Holzbogen ist so viel leichter als die aus Eisen, mit denen ich im Trainigscenter schießen geübt habe. Die Sehne ist auch nicht so festgespannt, sie scheint aus einer Art Schnur zu bestehen, und lässt die Waffe wie ein Kinderspielzeug wirken. Ich denke nicht nach. Ich beachte weder den Wind, noch die Bewegungen meines Ziels. Ich ziele und schieße.

das Mädchen aus  Distrikt 8Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt