Mein Interview

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Mein Herz rast. Das tut es jetzt schon seit einer ganzen Weile, wahrscheinlich ist das furchtbar ungesund und ich stehe kurz davor einen Herzinfarkt zu bekommen. Seine Hände, seine Berührung, das Gefühl, sicher in seinen Armen zu sein. Seit ich bei der Erntezeremonie das Podest betreten habe, ich mich nicht mehr so gefühlt. Sicher. Zuhause.
Ich streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und versuche ruhig zu atmen. Ein und aus, immer wieder, aber mein Herz trommelt trotzdem weiter in einem wilden Takt. Die Assistentin winkt mich zu sich. Jetzt. Jetzt bin ich dran. Ich schlucke und taumle nach vorne. Ich werde in den hohen Schuhen stolpern, da bin ich mir sicher. Mir ist eiskalt aber der Schweiß rinnt mir über den Rücken und meine Stirn glüht, als ich die paar Stufen zur Bühne hinauf stakse, die hinter dem weinroten, Samtvorhang verborgen liegen. Zwei Schritte noch, dann geht es los. Dann werde ich auf den Bildschirmen in ganz Panem zu sehen sein. Das grelle Scheinwerferlicht sticht in meinen Augen und das Tosen des Publikums verstopft meine Ohren. Mein Gehirn fährt auf Stand by.
Lächelnd gehe ich zu dem Mann mit der schmierig zurückgegelten, grell pinken Perücke und dem teuren Anzug hinüber. Caesar Flickerman zeigt mir seine strahlend weiß, gebleachten Zähne und ich beschließe es ihm gleich zu tun. Ich versuche Haltung zu bewahren und lächle was das Zeug hält während ich mich auf ihn zubewege und die aufgedonnerten Gestalten die mir zu jubeln ausblende. In meinem Kopf finde ich an Stelle von Hirnzellen nur mehr Watte und meine Beine sind so zittrig, dass ich mich regelrecht auf die Couch fallen lasse, als mir Caesar den Platz anbietet.
„Meine Damen und Herren, hier ist sie, unsere wunderschöne Blume aus 8, Sage Rosesleeve!"
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber der Lärm der Menge schwillt noch mehr an und macht mir mit einem Mal bewusst, wo ich mich gerade befinde. Verdammt! Mein Gehirn darf jetzt nicht auf Leerlauf laufen! Jetzt ist es an der Zeit meine Rolle glaubhaft zu spielen, dazu brauche ich jeden noch so winzigen Winkel meines Gehirns und alle Sympathie, die ich ausstrahlen kann.
„Hahahaha!,", Flickerman brüllt ins Mikrofon, die Menge beruhigt sich und mir wird schlecht.
„Meine Liebe, du siehst fantastisch aus! Meine Güte, deine Designerin ist wirklich talentiert, du musst mir einfach ihre Nummer geben!"
„Naja, ich schätze nach den diesjährigen Hungerspielen werden Sie sich wohl oder übel hintenanstellen müssen. „
Allgemeines Gelächter. Ich kann nicht glaube, wie schlecht der Witz war, aber Caesar steigt darauf ein.
„Na dann werde ich dir wohl extra nette Fragen stellen müssen um mir einen Platz ganz vorne sichern können, hab ich recht Leute? Ich liebe diese Mode! Ich liebe sie "
Allgemeiner Beifall. Langsam fährt mein Hirn wieder hoch und ich gewöhne mich an die Hintergrundgeräusche, das grelle Licht und den ewig grinsenden Mund des Moderators, der unaufhaltsam auf und zu geht.
„Aber genug von der Mode, heute soll es um dich gehen, und nicht um dein Kleid. "
Vereinzeltes Kichern im Publikum. Gott, diese Kapitol Bewohner sind wirklich leicht zu amüsieren.
Ich lächle wie ein Honigkuchenpferd und versuche dabei so feminin wie möglich zu wirken. Das Image, das ich anstrebe, ist das der „Unschuld vom Lande, die sich selbst nicht bewusst ist, wie hübsch sie ist und dass ihre Oberweite dem Publikum regelrecht entgegen quillt." Najade hat dieses Kleid immerhin nicht zufällig für mich ausgewählt. Ich beuge mich etwas vor, und bemerke, dass Caesar einen kurzen Blick auf meinen Ausschnitt wirft, bevor er mit seinen Fragen beginnt.
„Also Liebes, erzähl uns von dir. Du gehörst immerhin zu den mysteriösesten Tributen in diesem Jahr, irgendwelche Geheimnisse, die du loswerden möchtest?"
Ich ringe mir ein unaufdringliches, mädchenhaftes Kichern ab bevor ich antworte. Meine Stimme ist sich um eine ganze Oktav höher.
„Ich fürchte nicht, Caesar. In dieser Hinsicht ist bin ich nicht die spannendste Person, sie werden sich wohl etwas anstrengen müssen, um ihr Publikum mit mir nicht all zu sehr zu langweilen"
„Ach was, ich liebe Herausforderungen! Es ist immer wieder faszinierend, das bunte Innenleben einer jungen, unscheinbaren Dame ans Licht zu bringen, nicht wahr?"
Beifall
„Ein junges, hübsches Mädchen wie du, da müssen doch tausende Gefühle in dir schlummern. Sag mir Sage, gibt es da vielleicht ganz besondere Gefühle? Für jemand ganz besonderen?"
Ich hab einen Kloß im Hals. Plötzlich will ich nichts lieber als von dieser Bühne runter. Ich war nie der Typ Mensch, der seine Gefühle der Welt präsentiert und es fühlt sich falsch an, jetzt damit anzufangen, auch wenn es nur meinem Plan dient, und die Emotionen gar nicht echt sind. Meine Magen zieht sich zusammen und mein Kopf leer sich auf einen Schlag...oder? Meine Wangen glühen unter dem Make up.
„Nun ja..." Meine Stimme kling noch nervöser als ich befürchtet hatte.
„Jetzt haben wir sie Freunde!"
Gelächter im Publikum. Es kommt mir vor wie Hohn und aber ich beiße die Zähen zusammen. Das ist es doch was sie wollen, Sage. Kitsch, Romantik, eine junge Liebe. Gib es ihnen doch einfach, du willst doch nachhause, oder? Das ist der einzige Weg für dich.

„Sprich dich aus, meine Liebe. Du kannst uns vertrauen, hab ich recht Leute?"
Erneutes Klatschen.
Ich atme tief ein und aus und versuche ich an die Rede zu erinnern, die seit Tagen in meinem Kopf einstudiert habe.
„Ach was soll's, wem mach ich was vor? Jetzt haben sie mich so weit, Caesar". Ich lächle müde. Meine Unterlippe zittert.

„Oh, wir sind gespannt, wie weit wir dich haben, meine Liebe. Los, Sage. Uns zerreißt es vor Spannung. Das ist ja so aufregend!"
„ Ich...ich weiß das ich nicht mehr nachhause komme. Der Gewinner der diesjährigen Hungerspiel steht schon fest".
Totenstille.
„Sie wissen alle wen ich meine."
Ich hatte damit gerechnet, Caesar Flickerman mit dieser Aussage aus dem Konzept zu bringen aber der Moderator ergreift nur meine Hand und schaut mir direkt in die Augen. So seltsam es klingt, aber die Geste ermutigt mich weiter zu sprechen.
Ich senke den Kopf etwas und richte meinen Blick verträumt auf Caesas Hand, die die meine umfasst.
„ Ich bitte Sie, kommen sie jetzt nicht auf falsche Gedanken. Ich bin nicht traurig deswegen. Im Gegenteil... „
Zu ersten Mal in meinem Leben, sehen ich mir das Rot in meinen Wangen herbei.
„ Nichts macht mich glücklicher, als der Gedanke daran, dass er das Leben eines Siegers leben darf."
Mein Magen dreht sich um.
Schweigen im Publikum. Wirklich? Jetzt auf einmal?
Die Stille hält nicht lange an. Nach dem die erste Überraschung verflogen ist, gehen laute „Aaaawwwwww"s und „Ohhhhhh"s durch die Menge, die mir etwas von der Anspannung nehmen. Auch Caesar Flickerman scheint seine Sprache auch nur temporär verloren zu haben, vielleicht wollte er die Information auch nur erstmal beim Publikum sacken lassen bevor er nach bohrt. Jetzt jedenfalls hält ihn nichts mehr davon ab.
„Wow, wow Sage. Das ist mit Abstand das Berührenste, das ich in all den Jahren als Moderator hier auf dieser Bühne hören durfte. Ich möchte dir nicht nur in meinem Namen dafür danken, sondern im Namen all jener, die du mit deinen Worten berührt hast und die nicht das Glück haben ganz Panem davon mitteilen zu können. Welche Gefühle. Welch ehrliche, berührende Gefühle."
Erst jetzt lehnt er sich wieder in seinem Sessel zurück und lässt meine Hand los.
„Meine Güte, Mädchen. Wie kannst du uns nur so in die Irre führen? Vor einer Minute entschuldigt sie sich dafür nicht aufregend zu sein, und dann haut sie so etwas raus!"
Das Publikum lacht verhalten. Meine Worte hallen noch nach aber Caesars Versuch, die Stimmung wieder etwas unbeschwerter zu machen, wird Dankbar von den Zuschauerinnen und Zuschauern angenommen. Sein Witz hilft die geladene Atmosphäre etwas zu entspannen und ebent den Übergang zum nächsten Interview.
„Mädchen, du bist wirklich wie eine dieser Wunderkugeln. Ihr wisst wovon ich rede, nicht wahr Leute? Diese Unscheinbaren Süßigkeiten, die von außen zwar ganz hübsch aber eher unscheinbar wirken, innen drinnen aber bunt wie ein Regenbogen sind. Daran hab ich mir als Kind immer die Zähen ausgebissen!"
Zustimmendes, heiteres Murmeln, die Anspannung im Publikum ist verflogen. Ich beschließe mich noch einmal zu Wort zu melden, bevor ich von der Bühne muss.
„Nur als Kind Caesar?"
Ich lächle verschmitzt, der kleine Spaß macht mich nahbarer.
„Ahahahah! Schuldig!
Ladys und Gentleman, die bezaubernde Sage Rosesleeve aus Distrikt 8!"
Ich stehe auf und mache einen kleinen Knicks.
Der Applaus löst eine Welle der Entspannung in mir aus, ob wohl das sicher der lauteste Teil meines Interviews ist. Es ist vorbei. Endlich darf ich von der Bühne gehen.
Nein. Sage. Das ist nicht wahr.
Dieses Interview war nur eine Stufe rauf zur eigentlichen Bühne.
Der Arena.

das Mädchen aus  Distrikt 8Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt