Unter dem Wasserfall

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Die Wasserstelle, die Jasper und Emerald uns versprochen haben, verdient den Namen kaum. Auf ihrem Streifzug sind sie auf eine steile Felswand gestoßen, die meiner Vermutung nach, den Rand der Arena bildet. An ein paar wenigen Stellen ist der Stein feucht und mit Moos bewachsen und an einem Vorsprung, der plötzlich aus dem Felsen ragt, rinnt ein kleines Bächlein herunter. Das Wasser tropft in eine Pfütze, von der aus sich ein Rinnsal seine Weg durch das Gras bahnt, und kleine babyblaue Blüten, das endlose Grün der Wiese unterbrechen. Ich kenne die Blumen.
Auf der Survival Station, waren sie in der Kategorie „niemals essen. Der Verzehr führt zum sofortigen Tod", was sie für mich und die suizidinteressierte Stimme, die manchmal in meinem Kopf gespukt hat, interessant gemacht haben.
Während sich der andere Staub, Blut und Schweiß der letzten Tage abwaschen, stecke ich ein paar Exemplare der Pflanze in meine Tasche. Der Stiel der Pflanze ist seltsam fleischig und an der Stelle, an der ich die Blume ausgerissen habe, tritt ein zäher, milchiger Saft aus dem Stängel aus. Bevor ich mir Wasser ins Gesicht spritze, wasche ich gründlich meine Hände. Das Wasser ist kühl und frisch und verursacht eine angenehme Gänsehaut auf meine Armen. Das dürftige Säubern von Haar, Haut und Kleidung ist zwar nicht mit einer richtigen Dusche vergleichbar, aber ich fühle mich so sauber und wohl in meiner Haut wie schon lange nicht mehr. Wir beschließen unser Lager für die Nacht hier neben dem Wasser auf zu schlagen und beginnen mit den Vorbereitungen. Emerald und Lapis albern herum, wie Kleinkinder. Sei jauchzen und springen um die Pfütze herum und bespritzen sich gegenseitig mit dem Wasser, weswegen die meiste Arbeit an meinem Freund und mir hängen bleibt. Seit unserem Gespräch im Wald bin ich verwirrt. Die Stimmung zwischen uns ist deutlich besser geworden, aber ich bin mir nicht sicher, ob mich das freut, oder beunruhigt.
Einerseits ist es gefährlich den starken Jungen zu verärgern, andererseits sitzt er eindeutig am längeren Hebel und gibt das Tempo unserer Beziehung vor, und ich bin mir nicht sicher wie geduldig er mit mir in dieser Situation sein wird, in der wir nur wenige Tage haben um die Gesellschaft des anderen „zu genießen". Das hab ich alles schon tausendmal durch dacht. Schon vor der Arena. Aber jetzt wo es so weit sein könnte...
Mein Magen dreht sich um. Jedes Lächeln, jedes Wort das er mir schenk macht mich nervös. Und seit unserem Gespräch im Wald...
Ich dachte ich könnte ihn damit hin halten, dass ich mich dreckig und unwohl fühle, aber jetzt haben wir Wasser gefunden.
Der Himmel wird immer dunkler und die ersten Sterne zeigen sich am Taubengrauen Himmel. Die Nacht bricht langsam über die Arena herein.
In der Dämmerung dröhnt das Tropfen des Wassers in meinen Ohren.

Sein Atem kitzelt in meinem Nacken und hält mich wach. Er hat seine Arme um meinen Körper geschlungen, aber die selbe Geste die mir früher ein Gefühl von Geborgenheit gegeben hat, scheint mich jetzt zu erdrücken. Seine stählernen Arme sind wie die Stäbe eines Käfigs. Ich wage es nicht mich zu bewegen.
Seinem ruhigen Puls nach, ist er eingeschlafen. Ich dagegen liege wach und starre in den Himmel, tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf, allen voran die Ereignisse des heutigen Abends.
Wir haben viel geredet, er und ich, und dabei sind wir uns immer nähergekommen. Irgendwann bin ich dann zu ihm in den Schlafsack gekrochen.
„Weißt du, die Mädchen in meinem Distrikt haben immer das Gesicht verzogen, wenn sie mit mir geredet haben. Dabei haben sie mir nicht mal ins Gesicht geschaut."
Ich drücke ihm als Antwort einen Kuss auf die Stirn. Ein Lächeln hat sich auf seine Lippen gestohlen und er hat weitererzählt. Von seiner Mutter, seiner Kindheit, der Schule, dem Training...
Ich war schrecklich müde vom vielen Gehen aber ich habe ihm aufmerksam zugehört. Er ist als Einzelkind aufgewachsen. Über seinen Vater, hat er kein einziges Mal mit seiner Mutter geredet, aber er vermutet, dass er ein Friedenswächter war, der dann weiter gezogen ist. Seine Mutter hat viel von ihm verlangt, hartes Training, Selbstaufopferung und Perfektion. Die besten Schulnoten, den stärksten Körper, trotzdem war sie immer endtäuscht darüber, dass er nicht auch das hübscheste Gesicht hat. Sie hatte sich so sehr eine Freundin für ihn gewünscht, aber diesen Wunsch hatte er ihr nie erfüllen können. Jedenfalls bis jetzt nicht.
In der Schule war er immer der beste, aber die Spitze ist einsam. Um ihn herum haben sich zwar jede Menge Schülerinnen und Schüler versammelt, aber nicht wegen ihm, sondern wegen der Privilegien beim Lehrpersonal und der Trainingsmannschaft, die sein Freundeskreis genossen haben.
Als er sich bei der Ernte freiwillig gemeldet hat, waren die anderen Jungen keine Konkurrenz für ihn, es war von vorneherein klar, dass er in diesem Jahr ins Kapitol fahren würde. Dort war es auch nicht anders als in seinem Distrikt. Schon wieder wimmelten Jugendlichen um ihn herum, die sich nur mit ihm abgeben, um sich in seinem Schatten sicher zu fühlen und ihm dann ein Messer in den Rücken zu rammen. Dann bin ich gekommen.
All diese Dinge habe ich mir schweigen angehört, dann habe ich mich an seine Schulter gekuschelt. Teils um ihm Wärme zu spenden und teils aus der Hoffnung, heraus dass das seine Hand davon abhalten würde auf Erkundungstour zu gehen.
Ich habe ihm Fragen gestellt, über seine alte Schule, seine Kindheit, Distrikt 2, aber meine Gedanken waren ganz wo anderes während er mir die Antworten ins Ohr geflüstert hat. Lavender, Basil, Parsley, Mum und Dad. Ihre Gesichter tauchten vor mir auf, verblassten und verschwanden wieder. Ich dachte an Fabrikschlote, and Webstühle, eine weißgetünchte Klasse und sogar an Frau Haklsey, meine Klassenlehrerin. Ihre schrille Stimme hallte in meinem Kopf wider und wurde zum Klingeln einer Pausenglocke. Ich dachte sogar an Najade mit ihren leuchtend blauen Augen, und an meine Mentorin, die jetzt irgendwo mit einer Dosis Opium sitzt und die Spiele verfolgt. Sie alle schauen mir zu. Sie alle können ganz genau beobachten, was auch immer ich mit diesem Jungen anstellen und den anderen Tributen antuen werde.
Zum ersten Mal an diesem Tag, wurde mir schlecht. Fast 24 stunden ist mein letzter Brechreiz her, das muss ein neuer Rekord sein. Der Junge neben mir hat seine Arme um mich gelegt und mich wie einen Teddybären an sich gedrückt. Jetzt liege ich da und lausche seinem Atem. Diese Nacht bin ich nochmal davongekommen.
Mir war von Anfang an klar, was es bedeutet dieses Spiel zu spielen aber jetzt in diesem Moment wünsche ich mir nichts mehr als die Regeln ändern zu können. 

das Mädchen aus  Distrikt 8Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt