I keep building walls
but your always on my mind
Daichi:
Verdammter Mist! Hektisch nahm ich meine Tasche aus dem Spind und knallte dessen Tür zu. Ich musste schon längst auf dem Weg zu Torioos Schule sein. Es war Donnerstag und mein Neffe hatte einen Arzttermin. Eine Kontrolluntersuchung, ob seine Verletzungen richtig verheilten. Den Nachmittag hatte ich mir freigenommen und eigentlich hätte ich um zwölf Uhr Feierabend gehabt. Aber wie so häufig gab es mal wieder viel zu tun und ich hatte länger arbeiten müssen. Als Polizist war ich es gewöhnt, dass ich nie pünktlich Schluss hatte und normalerweise störte es mich auch nicht. Jedenfalls hatte es mich nie gestört. Jetzt, wo ich mich um meinen Neffen kümmern musste, bemerkte ich zum ersten Mal wie Scheiße es doch war, wenn man nicht pünktlich die Arbeit verlassen konnte.
In früheren Beziehungen waren meine Arbeitszeiten immer ein großer Streitpunkt gewesen. Die Tatsache, dass ich nie genau sagen konnte, wann ich wieder zu Hause war, machte es unmöglich irgendwelche Termine zu vereinbaren. Die meisten meiner Exfreunde hatten sich genau aus diesem Grund von mir getrennt. Ich hatte nie Zeit für sie gehabt. Sie hatten oftmals nicht verstanden, dass ich meinen Job liebte und mir die Überstunden nichts ausmachten. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, wegen einer Beziehung einen anderen Karriereweg einzuschlagen. Wenn meine Partner nicht damit umgehen konnten, dass ich nun einmal einen sehr zeitintensiven Job hatte, konnten sie gehen. Nur konnte Torioo nicht einfach zu einem anderen Verwandten ziehen. Er war auf mich angewiesen und verließ sich darauf, dass ich ihn pünktlich abholte.
Als ich aus der Wache stürmte, erhaschte ich einen kurzen Blick auf die Wanduhr, die über der Rezeption hing. Noch konnten wir es rechtzeitig zum Arzt schaffen.
Eigentlich hatte ich vorgehabt kurz zu Hause vorbei zu fahren, um ihn einen kleinen Snack im Auto geben zu können. Ich wollte nicht, dass der Kleine hungrig beim Arzt saß. Nur würde ich das nicht mehr rechtzeitig schaffen. Wenn wir es noch pünktlich zum Termin kommen wollten, musste ich auf direktem Weg zur Schule fahren.
Wahrscheinlich würde sich meine Schwester die Hände über den Kopf schlagen und mir vorwerfen, dass ich der mieseste Onkel aller Zeiten war, weil mein Zeitmanagement alles andere als perfekt lief. Der Preis für den schlechtesten Onkel ging dieses Jahr an mich. Gut, dass kein Vater war...
Auf dem Weg zur Schule, geriet ich auch noch in den Berufsverkehr, sodass ich erst fünfzehn Minuten nach Schulschluss an der Schule ankam. Heute schien nicht mein Tag zu sein und ich betete, dass wir trotz allem noch den Termin schaffen würden.
Kaum stand mein Wagen, öffnete ich die Autotür und stieg aus. Hoffentlich war Torioo war nicht auf die Idee gekommen, dass ich ihn vergessen hätte. Immerhin hatte ich ihm heute Morgen gesagt, dass ich ihn pünktlich zum Ende der letzten Stunde abholen würde.
Noch nicht mal dieses Versprechen hatte ich einhalten können. Noch ein Punkt, den ich auf der Liste der Dinge, die mich zu einem schlechten Onkel machten, hinzufügen konnte. Mit jedem Tag wurde die Liste immer länger und täglich fragte ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, Torioo in die Obhut eines Heimes zu geben. Dort hätte er wenigstens einen geregelten Tagesablauf gehabt.
So schnell wie der Gedanke gekommen war, verwarf ich ihn auch wieder. Torioo in ein Heim abzuschieben, war das Letzte was ich wollte. Diese Handlung wäre einfach nur herzlos und der Kleine brauchte gerade jetzt eine Familie und ich war der Einzige, den er noch hatte. Ich musste mich verdammt nochmal zusammenreißen und mein Zeitmanagement in den Griff bekommen! Es gab genug alleinerziehende Eltern, die auch den Job und ein Kind unter einem Hut bekamen. Ich würde das auch schaffen. Ich musste mich einfach nur mehr anstrengen.
Mit einem Seufzen ließ ich meinen Blick über den Schulhof schweifen und suchte nach meinen Neffen.
Vielleicht hatten wir ja noch Zeit, um unterwegs an einem McDonalds vorbeizufahren. Fast Food war alles andere als gesund und keine geeignete Mahlzeit für einen Siebenjährigen. Aber so wäre er wenigstens nicht hungrig und müsste nicht bis heute Abend warten. Sobald wir zu Hause waren, müsste ich auch noch etwas kochen, was auch Zeit in Anspruch nehmen würde. Ich hatte noch nicht mal eine Ahnung, was es heute Abend zu essen geben sollte. Curry hatten wir schon die letzten Tage und so langsam konnte ich das Zeug nicht mehr sehen. Vielleicht wagte ich mich heute an ein anderes Gericht. Heute war Mittwoch, was bedeutete, dass der Supermarkt in der Nähe länger geöffnet hatte. Ich könnte noch Zutaten- Verdammter Mist! Siedend heiß fiel mir in diesem Moment ein, dass heute der Elternabend war! Ich hatte gar keine Zeit irgendetwas zu kochen! Zu allem Überfluss hatte ich Asahi versprochen ihn vom Bahnhof abzuholen.
Ich konnte nur von Glück reden, dass Asahi heute schon kam und mir bei unserem heutigen Telefonat versichert hatte, dass, vollkommen in Ordnung war heute auf Torioo aufzupassen, anstatt mit mir gemeinsam den Abend zu verbringen. Zwar hatten wir noch das Wochenende mehr oder weniger für uns, aber trotzdem fühlte ich mich schlecht. Immerhin war Torioo mein Neffe und ich sollte auf ihn aufpassen und nicht irgendein Freund. Vor allem dann nicht, wenn es wegen einem Termin war, den ich schon vor einigen Wochen erfahren hatte.
Im Laufschritt betrat ich das Schulgelände und entdeckte Torioo auf den Stufen der Treppe vor dem Eingang. Er saß dort mit gesenktem Kopf und schien geduldig auf mich zu warten. Sein Rucksack stand neben ihm.
„Torioo. Tut mir leid, dass ich so spät bin!", rief ich ihm zu. Als er meine Stimme hörte, hob er den Kopf und seine Mundwinkel hoben sich leicht an. Das war die einzige Begrüßung, die ich von ihm bekam.
„Wir sind spät dran, also müssen wir uns beeilen, in Ordnung?", fuhr ich fort, als ich bei ihm ankam. Im selben Atemzug hob ich seinen Rucksack auf.
Torioo nickte ein weiteres Mal und stand eilig auf.
Gemeinsam gingen wir wieder zurück zum Auto. Noch immer sprach Torioo nicht und mit jedem Tag, der verging, ließ meine Gewissensbisse größer werden. Sollte ich nicht als Onkel irgendetwas dagegen tun? Natürlich sollte ich es, aber ihn zum Reden zu zwingen wäre genauso falsch, wie ihn ins Heim abzuschieben. Ich musste mir eine Lösung für das Problem überlegen und zwar schnell. Ich war mir sicher, dass meine Schwester schon längst eine Lösung für das Problem gefunden hätte. Nur ich versagte mal wieder auf ganzer Linie...
Beim Wagen angekommen, schloss ich die Tür auf und ließ Torioo hinten einsteigen. Seinen Rucksack verstaute ich ihm Kofferraum, bevor ich ebenfalls in den Wagen stieg und losfuhr. Zwar wusste ich schon, dass wir viel zu spät waren, aber ich warf trotzdem einen Blick auf die Uhr im Auto. Dabei hatte ich die banale Hoffnung, dass jemand die Zeit zurückgedreht hätte. Natürlich war dies nicht der Fall.
„Also willst du einen Hamburger, Pommes und eine Apfelschorle?", fasste ich Torioos Bestellung nochmal zusammen, während ich in den McDrive einbog. Über den Rückspiegel blickte ich kurz zu meinen Neffen, der bestätigend nickte. Inzwischen war es später Nachmittag und wir hatten den Arzttermin hinter uns gebracht. Auch wenn wir uns beeilt hatten, waren wir doch einige Minuten zu spät gekommen, was mir mal wieder bewies, dass ich nicht geeignet war ein Kind großzuziehen.
Der Arzt hatte zwar nichts gesagt und Torioo untersucht – sein Arm verheilte gut – aber ich machte mir Vorwürfe. Wie sollte Torioo jemals vermitteln, dass Pünktlichkeit wichtig war, wenn ich selbst die einfachsten Termine nicht einhalten konnte?
Als wir die Praxis verlassen hatten, war mir Torioos Magenknurren ins Ohr gesprungen.
Der Junge hatte Hunger, was auch kein Wunder war. Immerhin waren wir den ganzen Tag unterwegs gewesen und seine letzte Mahlzeit war das Pausenbrot in der Schule gewesen. Wobei ich mir noch nicht mal sicher war, ob ich ihm etwas mitgegeben hatte. Beunruhigt biss ich auf meine Unterlippe und wartete darauf, dass ich zu der Sprechanlage vorfahren konnte, um meine Bestellung abzugeben. Ich wusste, dass Fast Food gänzlich ungeeignet für einen Siebenjährigen war und meine Schwester immer darauf geachtet hatte, dass Torioo sich gesund ernährte.
Allerdings hatte ich keine Zeit zum Kochen und wir würden auch noch nicht nach Hause fahren. Zuerst mussten wir zum Bahnhof und Asahi abholen, der sicher schon auf uns wartete.
Mit einem leisen Seufzen, lenkte ich den Wagen durch den McDrive, gab unsere Bestellung auf und nahm am Ende die Tüte mit dem Fast Food von der Bedienung entgegen.
„Hier. Guten Appetit", sprach ich, während ich mich kurz zu der Rückbank des Autos umdrehte und Torioo die Tüte mit dem Essen reichte. Während wir zum Bahnhof fuhren, konnte Torioo im Auto zu essen. Wieder etwas, was nicht gesund für ein Kind war. Früher hatte meine Mutter mir immer eine Standpauke gehalten, wenn sie mich dabei erwischt hatte, wie ich eine Mahlzeit auf den Weg zum Volleyballtraining oder zur Schule heruntergeschlungen hatte. Noch immer konnte ich ihren Vortrag darüber hören, was das Hinunterschlingen von Essen mit dem Körper machte und wie sehr das Sättigungsgefühl dadurch gestört wurde. Eigentlich hatte ich vorgehabt mir diese Angewohnheit wegen Torioo abzugewöhnen, aber gerade brachte ich es ihm selbst bei. Noch ein Punkt auf der Liste, warum ich als Erziehungsberechtigter auf ganzer Linie versagte....
Wie schon erwartet stand Asahi schon auf dem Parkplatz des Bahnhofes, als ich eine freie Parklücke fuhr. Inzwischen hatte Torioo seinen Burger gegessen und machte sich nun über die Pommes her.
Nachdem Asahi erfahren hatte, dass ich nach dem Tod meiner Familie meinen Neffen bei mir aufgenommen hatte, hatte er sich angeboten mich in der erster Zeit zu unterstützen. Ich hatte sein Angebot vehement abgelehnt. Ich musste es irgendwie allein schaffen, mich um meinen Neffen zu kümmern. Außerdem würde Asahi mit mir über das was passiert war reden wollen und dazu war ich noch nicht bereit. Allein schon der Gedanke daran, dass ich meine gesamte Familie verloren hatte, lähmte meinen Körper. Jetzt schon viel es mir schwer jeden Morgen aufzustehen und vor Torioo ein fröhliches Gesicht zu machen. Ich musste ihm zeigen, dass das Leben auch ohne seine Mutter weiterging und dass alles wieder gut wird. Selbst wenn ich nicht daran glaubte. Wenn ich darüber reden würde, würde ich am Ende nur zusammenbrechen und das konnte ich mir beim besten Willen nicht leisten.
Mein alter Schulfreund hatte es zwar akzeptiert, aber darauf bestanden mich demnächst besuchen zu kommen. Er musste mit eigenen Augen sehen, dass ich mit der Situation klarkam. Dabei hatte ich ihm tausendmal am Telefon versichert, dass es mir gut ging. Auch, wenn es gelogen war.
Sobald das Auto stand, schaltete ich den Motor ab und stieg aus. Asahi, der meinen Wagen schon erkannt hatte, kam mit seinen Taschen zu uns.
„Hallo Asahi. Tut mir, dass du warten musstest", begrüßte ich entschuldigend meinen Freund. Verlegen rieb ich mir den Hinterkopf.
„Ach was. Kein Problem, waren doch nur ein paar Minuten, die ich warten musste", winkte er ab und lächelte freundlich. „Ich freue mich einfach dich und deinen Neffen."
Torioo, der noch immer im Auto saß und seine Pommes aß, blickte neugierig aus dem Autofenster und musterte Asahi. Einige meiner Freunde, wie Hinata und Kageyama kannte er schon, aber Asahi hatte er bis jetzt noch nicht gesehen. Hoffentlich flößte Asahis Aussehen ihm keine Angst ein. Noch immer hatte er dieselben langen braunen Haare, wie zu Schulzeiten, die er stets zu einem Dutt zusammengebunden hatte. Früher hatte der Anblick viele Mitschüler verschreckt. Dabei konnte er keiner Fliege was zu leide tun. Immerhin musste er heute Abend auf Torioo aufpassen und ich würde keine ruhige Minute haben, wenn ich wüsste, dass mein Neffe sich vor Asahi fürchtete.
Als ich an den bevorstehenden Elternabend dachte, lief es mir kurz kalt über den Rücken. Sicherlich würden dort nur Mütter sitzen, die ihr Leben perfekt auf das ihrer Kinder abgestimmt hatten. Sie kümmerten sich liebevoll um ihre Kinder und schafften es ihnen vernünftige Mahlzeiten zu geben. Nicht so wie ich. Heute Abend würde ich mich zwischen den ganzen Müttern, wie ein Versager fühlen.
„Gut, dann stelle ich euch mal vor", antwortete ich und öffnete die hintere Tür des Wagens.
„Torioo, würdest du kurz rauskommen und Asahi Hallo sagen?" Er nickte kurz und legte die Tüte Pommes neben sich auf den Sitz, dann schnallte er sich ab und stieg langsam aus dem Auto. Zuerst wollte ich ihm dabei helfen, doch Torioo schüttelte nur den Kopf.
Vor dem Auto senkte er seinen Blick mal wieder auf seine Schuhspitzen. Kurz biss ich mir auf die Lippen und betrachtete den Kleinen besorgt. Wenn ich nur wüsste, was gerade in seinem Kopf vor sich ging, dann könnte ich ihm vielleicht helfen besser mit allem klar zu kommen. Aber selbst, wenn ich ihn fragen würde, würde es wenig bringen. Schließlich beschränkte sich unsere Kommunikation auf Kopf schütteln und nicken.
„Also Asahi. Das hier ist mein Neffe Torioo. Er hat übrigens vor kurzem mit dem Volleyball spielen angefangen", stellte ich meinen Neffen vor und legte sanft eine Hand auf seine Schultern. Ich selbst wusste nicht so genau, warum ich die Tatsache mit dem Volleyball spielen erwähnt hatte. Inzwischen spielte Asahi kein Volleyball mehr. Als Designer hatte er nicht die Zeit dazu und wenn er mal Freizeit hatte, reiste er lieber mit Noya durch die Weltgeschichte. Das ehemalige Ass Karasunos lächelte freundlich und ging in die Hocke, sodass er mit Torioo auf Augenhöhe war.
„Freut mich dich kennenzulernen, Torioo. Ich bin Asahi und habe früher mit Daichi Volleyball gespielt. Damals war ich das Ass im Team", stellte er sich vor und hielt ihm eine Hand hin. Kurz hob Torioo seinen Blick und sah zunächst in Asahis Gesicht, dann auf die ausgestreckte Hand. Für einen Moment zögerte er, dann schüttelte er Asahis Hand und versuchte zu Lächeln.
„Ich kann dir später einige Geschichten über deinen Onkel erzählen. Er war ein echt toller Kapitän und Diagonalspieler", fuhr Asahi fort und lächelte freundlich. Daraufhin nickte Torioo und ich stieß erleichtert die Luft aus. Zum Glück schien er keine Angst vor meinen besten Freund zu haben, was hieß, dass beide den Abend ohne mich überstehen würden.
„Stimmt. Du hast einiges zu erzählen. Zum Beispiel, wie du im letzten Schuljahr einen ganzen Monat das Volleyballtraining geschwänzt hast, was nicht in Ordnung war", erwiderte ich und lächelte kurz.
Ich erinnerte mich noch gut daran, wie damals die Erstklässler zusammen mit Noya unser Ass wieder dazu überredet hatten zum Training zu erscheinen. Das war damals der Beginn einer wunderbaren Zeit gewesen. Tatsächlich hatten wir es bis zum nationalen Frühlingsturnier geschafft. Eine Erfahrung, die ich niemals vergessen werde. Jedenfalls war bis dahin alles wunderbar und ich war nie glücklicher gewesen. Aber als unser letztes gemeinsames Spiel beendet war, änderte sich mein Leben komplett. Es folgte eine Zeit in der ich ganz allein war. Wofür ich aber selbst verantwortlich war.
Inzwischen bereute ich meine Taten, aber ich konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Irgendwie musste ich mit meinen Fehlern leben und sie akzeptieren.
Verlegen rieb sich Asahi den Hinterkopf und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf.
„Das waren noch Zeiten", murmelte das ehemalige Ass und zuckte mit den Schultern.
„Du sagst es", erwiderte ich und schwelgte kurz in meinen Gedanken. Was würde ich nur dafür tun in diese Zeit zurückzukehren. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr holte ich mich aus meinen Erinnerungen. Entsetzt schnappte ich nach Luft und ich hatte das Gefühl, dass mein Herz einen Moment stehen blieb. Es war schon 18:30 Uhr und eigentlich sollte ich schon längst auf dem Weg zum Elternabend sein. Mein Zeitmanagement war wirklich miserabel. Am liebsten hätte ich lauthals geflucht, besann mich im letzten Moment aber eines Besseren. Ich wollte nicht in der Anwesenheit meines Neffen fluchen.
„Mist. Wir müssen los. Eigentlich sollte ich schon längst wieder unterwegs sein", zischte ich und schob meinen Neffen sanft, aber bestimmt, zur Autotür. Asahi nickte verständnisvoll und stieg ebenfalls ein.
„Mach dir keine Sorgen. Setz uns einfach vor deiner Haustür ab. Um den Rest kümmere ich mich", versuchte mir Asahi ein bisschen den Stress zu nehmen -wenn auch erfolglos. Sicherlich würde ich auf die Klassenlehrerin einen miserablen Eindruck hinterlassen und ich vermutete, dass sie so oder so schon eine negative Meinung von mir hatte. Ich meine, wer lässt ein Kind mitten im Schuljahr die Schule wechseln und dann auch noch mit einem gebrochenen Arm! Und zum Überfluss sprach es auch noch kein einziges Wort. Natürlich war es nicht Torioos Schuld. Er stand unter Schock und musste selbst einmal verarbeiten, dass er seine Eltern auf einen Schlag verloren hatte und die neue Umgebung half ihm wahrscheinlich auch nicht gerade dabei. Aber es ging nicht anders. Mein Job war nun einmal hier und ohne ihn könnte ich mich auch nicht vernünftig um Torioo kümmern.
Ich war ganze fünfzehn Minuten zu spät! Torioos Klassenlehrerin würde mich sicherlich für einen totalen Versager halten und wenn ich Pech hätte, würde sie in Zukunft ganz besonders ein Auge auf meinen Neffen werfen, um Gründe zu sammeln, warum ich ein schlechter Erziehungsberechtigter war. Dabei war der gesamte Tag einfach nur stressig. Warum musste auch heute ausgerechnet dieser verdammte Elternabend sein? Nicht nur die Klassenlehrerin würde mich als Versager betrachten, sondern auch all die anderen Mütter. Welcher Elternteil kam bei einem Termin seines Kindes zu spät?
Hastig joggte ich durch die Schulflure zu Torioos Klassenzimmer. Ich konnte von Glück reden, dass ich auch früher auf diese Grundschule gegangen war und mich daher hier auskannte. Die Raumbezeichnungen hatten sich bis heute nicht geändert und gerade in diesem Moment war ich dafür unendlich dankbar. Ansonsten würde ich orientierungslos durch die Gänge irren und mich nur noch mehr verspäten. Vor der Tür blieb ich kurz stehen und stützte meine Hände auf die Oberschenkel. Wenn ich heute Abend nach Hause kam, musste ich mit Asahi dringend ein Bier trinken. Dieser Tag war einfach nur beschissen. Ich nahm mir die Zeit, um ein paar Mal tief durchzuatmen und mich auf die kommenden Blicke vorzubereiten.
Sobald sich meine Atmung etwas normalisiert hatte, richtete ich mich auf und klopfte an die Tür. Als Polizist war ich schon in vielen unangenehmen Situationen gewesen, dann würde ich mich auch einer Horde Mütter und der Klassenlehrerin meines Neffen stellen. Ich meine, wie schlimm konnte jemand sein der Kinder unterrichtete?
Ich wartete nicht auf ein „Herein", sondern öffnete die Tür und trat in das Zimmer.
„Entschuldigen-", begann ich, aber als ich die braun-goldenen Augen des Mannes vor mir sah, mit dem Muttermal unter seinem rechten Auge, verschlug es mir die Sprache. Wie viele Jahre war es jetzt schon her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten? Nie hätte ich damit gedacht, dass ich ihn noch einmal wiedersehen würde. Nicht nachdem, was zwischen uns vorgefallen war...
„Kosh-", platzte es aus mir heraus, fing mich aber noch rechtzeitig. Sugawara und ich standen uns nicht mehr so nahe, dass wir uns mit Vornamen ansprechen würden und vor allem nicht vor anderen Erwachsenen. Früher - zu Schulzeiten - waren wir Freunde gewesen, aber jetzt waren wir noch nicht mal entfernte Bekannte. Seit unserem Abschluss hatten wir keinen Kontakt mehr gehabt und ich war mir sicher, dass Koshi jetzt auch nichts mehr von mir wissen wollte.
Koshis Augen weiteten sich für einige Sekunden überrascht und sein Mund war leicht geöffnet. Jedoch fing er sich relativ schnell wieder, schluckte und schüttelte den Kopf.
„Dürfte ich fragen, was Sie hier wollen?", seine Stimme klang gefasst und distanziert. Sie klang nicht im Geringsten nach der warmen und liebevollen Stimme, die ich einst gekannt hatte. Natürlich nicht. Immerhin waren wir nicht mehr die Jugendlichen von früher. Sondern zwei völlig fremde Erwachsene.
Auch ich musste einmal schlucken, bevor ich Koshi auf seine Frage eine Antwort geben konnte.
„Ich bin der Onkel von Torioo Miwa und entschuldigen Sie die Verspätung. Der Verkehr hat mich aufgehalten." Koshi musterte mich einige Sekunden, bevor er nickte und auf den einzigen freien Stuhl deutete.
„Setzen Sie sich Herr Miwa, damit wir weitermachen können." Mit diesen Worten wandte er sich ab und sprach wieder zu den anderen Eltern, die im Raum saßen.
----
Hello,
Ich wünsche euch ein frohes neues Jahr :) Ich glaube so gut wie alle haben auf diesen Moment hingefiebert! Daichi und Suga haben sich nun endlich getroffen :D Ich kann euch auch verraten, dass die Geschichte ab jetzt so wirklich Fahrt aufnimmt :3 Ich hoffe, dass euch das aufeinander treffen gefallen hat und ihr wie immer Spaß am Lesen hattet!
Viele Grüße
Liss
DU LIEST GERADE
Art of Moving on
ФанфікиDas Leben geht weiter. Auch dann, wenn das Schicksal einem unüberwindbare hohe Steine in den Weg legt. Vor genau so einem unüberwindbaren hohen Stein steht gerade Daichi Sawamura. Durch einen Autounfall verliert der Polizist seine gesamte Familie...