Kapitel 3

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'cause the drinks bring back all the memories

And the memories bring back memories bring back you

Sugawara:

Am nächsten Tag führte mich mein erster Weg zum Büro des Rektors. Als ich gestern meine letzte Unterrichtsstunde beendet hatte, war er nicht mehr da gewesen. Vielleicht hatte er noch Informationen über Torioo, die sein Verhalten erklärten und mir den Umgang mit dem zurückhaltenden Jungen erleichtern würde. Während des restlichen Tages waren meine Gedanken ständig um den Jungen gekreist. Zwar kam es immer mal wieder vor, dass mir Schüler noch weit nach dem Unterricht Kopfzerbrechen bereiteten, aber normalerweise konnte ich spätestens zu Hause meine Gedanken auf etwas anderes richten. Ich wusste, dass es nicht gut war, wenn ich mit meinen Gedanken ständig bei meiner Arbeit war. Aber aus irgendeinem Grund, wollte der Junge nicht aus meinem Kopf verschwinden.

Schon öfters hatte ich mit schüchternen Kindern arbeiten müssen und ich wusste, dass es durchaus Charaktere gab, die eher in sich gekehrt waren. Aber bei Torioo war es anders. Ich spürte, dass mehr dahinterstecken musste.

Selbst das schüchternste Kind sprach und wenn es nur ein paar Sätze waren. Es interessierte sich für seine Umwelt und nahm diese wahr. Zwar wusste ich, dass eine neue Schule sehr angsteinflößend sein konnte, jedoch war Miwa den ganzen Tag über apathisch gewesen. Während des Unterrichts hatte er stur auf die Arbeitsblätter oder in sein Buch gestarrt und in den Pausen, schienen seine Schuhe interessanter zu sein als alles andere.

Vielleicht brauchte er auch einfach nur etwas Zeit, um sich an alles zu gewöhnen, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass nur Zeit sein Verhalten nicht verbessern würde. Da steckte mehr dahinter und ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Wenn ich mehr über ihn wusste, konnte ich besser interagieren und ihm vielleicht helfen sich im Schulalltag besser zurecht zu finden. Außerdem war es auch meine Aufgabe als Lehrer Kindern bei familiären Problemen zu helfen. Wahrscheinlich machte ich mich selbst verrückt, aber was war, wenn Torioos Verhalten darauf hindeutete, dass er misshandelt wurde? Natürlich war ein einziger Tag kein Beweis dafür, aber allein der Gedanke, dass ein Schüler misshandelt wurde, ließ mir der Magen umdrehen.

Wenn ich rational an die Lage heranging, hatte ich die Sache wahrscheinlich einfach nur überdacht. Meine Mutter hatte früher immer gesagt, dass ich mir immer viel zu viele Gedanken um andere machte. Aber meine Mitmenschen lagen mir nun einmal am Herzen und wenn es ihnen schlecht ging, fühlte ich mich mies.

Wäre die Beziehung zu meinen Eltern noch in Ordnung, hätte ich Mutter um Rat gefragt. Aber sie hatten nie ganz akzeptieren können, dass ich mich zum gleichen Geschlecht angezogen fühlte. Für sie war es Homosexualität etwas Abnormales. Eine ekelhafte Krankheit, die, ihrer Meinung nach, therapiert werden sollte. Nach meinem Outing hatte es eine Zeit gegeben in der wir keinen Kontakt zueinander pflegten. Sie waren enttäuscht von mir gewesen und hatten gewollt, dass ich mir Hilfe suchte. Ich hatte mich geweigert, denn anders als meine Eltern wusste ich das schwul sein keine Krankheit war, sondern etwas vollkommen Normales. Trotzdem hatte mich ihre Ablehnung sehr stark getroffen und die Zeit war nicht einfach gewesen. Besonders, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch immer meiner Jugendliebe nachgetrauert hatte. Eigentlich hätte ich ihre Liebe und Unterstützung gebraucht, aber ich wollte mich nicht mehr länger vor der Welt verstellen. Schon während der Schulzeit war es schwer gewesen, so zu tun, als würde ich auf Mädchen stehen. Als Student war es noch schwieriger. Ich hatte gewusst, dass mich meine Eltern verstoßen würden, sobald sie von meinen Gefühlen erfuhren. Aber letztendlich war mein Outing notwendig gewesen und es hatte mir eine schwere Last von meinen Schultern genommen. Es hatte mich große Überwindung gekostet, aber Hinata hatte mir den Mut dazu gegeben. Zu dieser Zeit war er in Brasilien gewesen und hatte dort ein unbeschwertes, glückliches Leben. Das wollte ich auch. Wir hatten regelmäßig miteinander geskypt und egal wie schlecht die Verbindung war, ich konnte immer sehen, wie seine Augen vor Lebensfreude gestrahlt hatten. Er war dort glücklich gewesen und ich hatte mich danach gesehnt.

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