Kapitel 8

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I'll love you,
If you ain't got nobody to love.


Daichi:
Die Arbeit war heute besonders anstrengend gewesen und das Einzige, was ich jetzt noch wollte, war schlafen. Eigentlich hätte ich heute nur bis zwölf arbeiten müssen, aber ein Kollege war krank geworden und ich musste seine Schicht übernehmen. Dabei hatte ich doch Torioo versprochen ihn von der Schule abzuholen und direkt in den Park zu gehen. Zusammen wollten wir die letzten warmen Sommertage genießen. Noch am Vormittag hatte ich Nagahama angerufen und sie gebeten, sich um Torioo zu kümmern. Sie hatte mit Freuden zugestimmt. Ich war wirklich glücklich so eine tolle Nachbarin zu haben. Von erstem Moment an hatte sie meinen Neffen ins Herz geschlossen und behandelte ihn, als wäre er ihr Enkel. Wenn ich sie nicht hätte, wäre ich hilflos aufgeschmissen.
Allerdings hatte ich bei meiner Heimkehr einen ihrer Söhne getroffen, der mir berichtete, dass Nagahama nach unserem Telefonat unglücklich gestürzt war und nun mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus lag. Das erklärte auch, warum sie heute Mittag nicht Torioo abgeholt hatte und Sugawara mich auf der Arbeit angerufen hatte. Keine Ahnung, warum er zu mir immer noch so hilfsbereit war, wie früher, aber ich war ihm dafür unendlich dankbar. Wäre das nicht schon genug, hatte er auch seinen Nachmittag geopfert, um auf Torioo aufzupassen.
Die Tatsache, dass nun Nagahama eine Zeit lang ausfiel, erinnerte mich daran, dass ich nicht sofort schlafen gehen konnte. Ich musste schnellstmöglicht jemanden finden, der die nächsten Wochen auf Torioo aufpasste, wenn ich auf Arbeit war. Ich wollte nicht, dass Sugawara mich ein weiteres Mal anrief, weil Torioo nicht von der Schule abgeholt wurde. Wahrscheinlich hatte Sugawara jetzt schon den Eindruck, dass ich als Erziehungsberechtigter versagte. Wie ich ihn kannte, würde er nun ein stärkeres Auge auf Torioo richten und früher oder später das Jugendamt einschalten. Bei dem Gedanken daran, dass man mir Torioo wegnehmen könnte, verkrampfte sich mein Magen. Ich war sein einziger Verwandter und sollte ihn jetzt nicht auch noch im Stich lassen!
Erschöpft schloss ich die Wohnungstür auf und fuhr durch mein zerzaustes Haar. Mit einem leisen Klacken öffnete ich die Tür und trat ein. Die Haustürschlüssel legte ich in die Schüssel, die auf der Kommode stand. Dann zog ich meine Schuhe und Jacke aus. Als ich mich noch nicht um Torioo kümmern musste, wäre ich nach so einem harten Arbeitstag direkt ins Schlafzimmer gegangen und hätte mich aufs Ohr gehauen, aber nun hatte ich noch andere Verpflichtungen.Gerade war ich dabei meine Jacke an die Garderobe zu hängen, als sich zwei Kinderarme um mein rechtes Bein schlangen. Ein leichtes Lächeln schliss sich auf meine Lippen, als ich hinab zu Torioo blickte.
„Hey Großer", begrüßte ich meinen Neffen. „Hattest du einen aufgregenden Tag? Tut mir leid, dass ich dich nicht abholen konnte." Vorsicht löste ich seine Arme von meinem Bein und ging in die Hocke. Liebevoll strich ihm durch sein zerzaustes Haar. Torioo trug seinen grünen Pyjama mit den Dinosauriern und in seiner gesunden Hand hielt er seinen Stoffhasen. Meine Mutter hatte ihn Torioo zum Geburtstaggeschenk.„Na komm, ich bringe dich und Wauzi mal ins Bett", sprach ich und hob Torioo hoch. Warum Torioo de Stoffhasen Wauzi nannte, war mir ein Rätsel. Sobald Torioo im Bett war, müsste ich mich bei Sugawara bedanken, der den ganzen Tag hier verbracht hatte.
„Oh, Da-Sawamura Sie sind endlich da", räusperte sich die vertraute Stimme von Sugawara. Ich wandte meinen Blick von Torioo ab und sah zu meinem ehemaligen besten Freund, der im Türrahmen zum Wohnzimmer stand. Die zwei oberen Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet und die Krawatte gelockert. Sein Haar war zerzaust und seine braunen Augen wirkten müde. So als wäre er erst vor ein paar Minuten aufgewacht. Bei dem Anblick schluckte ich einmal. Wie oft hatte ich mir gewünscht, dass Sugawara mich nach einem langen Arbeitstag zu Hause begrüßte.
„Guten Abend. Ja, ich ähm... Wenn du warten kannst bringe ich noch schnell Torioo ins Bett ", antwortete ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Ich wusste, dass ich mich bei ihm bedanken musste. Das, was er heute getan hatte, war nicht selbstverständlich und er hatte meinen Dank verdient. Aber zuerst sollte mein Neffe ins Bett kommen. Der Kleine sollte fit für den morgigen Schultag sein. Sugawara nickte knapp, während ich mich von ihm abwandte und Torioo in sein Zimmer trug, wo ich ihn aufs Bett absetzte.
„Ich komme gleich noch einmal rein. Ich verabschiede nur noch schnell Herrn Sugawara", sprach ich zu Torioo und deckte ihn zu. Liebevoll strich ich ihn über sein schwarzes Haar.
„Versuch schon zu schlafen, ja?" Torioo nickte kurz, dann richtete ich mich auf und verließ das Zimmer. Hinter mir schloss ich leise die Tür und wandte mich zu Sugawara, der an der Haustür stand. Bereit zum Gehen.
„Vielen Dank, dass Sie auf meinen Neffen aufgepasst haben. Es tut mir sehr leid, dass Sie ihre Freizeit geopfert haben, um auf Torioo aufzupassen. Auf der Arbeit musste ich kurzfristig eine Schicht übernehmen und hatte Nagahama kontaktiert. Ich wusste nicht, dass Sie danach einen Unfall hatte", verlegen rieb ich mir den Hinterkopf.
„Nun ich hatte kaum eine Wahl. Ihre Nachbarin hatte es mir förmlich befohlen", lachte er und rieb sich ebenfalls verlegen den Hinterkopf.
„Ehrlich gesagt war ich schon etwas überrascht, dass Sie keine Partnerin haben, die Sie bei Erziehung Torioos unterstützt." Der Gedanke, dass ich eine Freundin hatte, versetzte mein Herz einen schmerzhaften Stich. Aber genau das hatte ich doch gewollt. Damals habe ich alles daran gesetzt, dass Sugawara glaubte, ich wäre hetero.
„Nun ja", begann ich und zögerte einige Sekunden. Was sollte ich ihm nur darauf antworten? Natürlich könnte ich weiterhin lügen und sagen, dass ich eine Partnerin hätte. Allerdings bezweifelte ich, dass ich die Lüge aufrechterhalten könnte. Torioo würde noch eine Weile auf die Schule gehen und Sugawara würde sicherlich irgendwann merken, dass etwas faul war. Außerdem sträubte sich mein Körper allein schon bei dem Gedanken Sugawara weiter anzulügen. Ehrlich gesagt hatte ich auch nicht mehr die Kraft eine weitere Lüge aufrechtzuerhalten. Der Tag war anstrengend genug gewesen.
„Manchmal kommt es doch anders als man denkt", fuhr ich fort und zuckte nur mit den Schultern. Ich biss mir auf die Unterlippe. Es wäre am Besten, wenn ich mich einfach bedankte und ihn freundlich aber bestimmt bat, zu gehen. Es wäre das Beste. Für uns beide. Aber mein Herz sehnte sich nach Sugawaras Nähe und wollte ihn nicht gehen lassen. Sugawara nickte knapp und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ihm schien die Situation genauso unbehaglich zu sein.
„Wissen Sie wie es ihrer Nachbarin geht?" Natürlich machte er sich Sorgen, um eine Person, die er gar nicht kannte. So war er schon immer gewesen. Er machte sich Sorgen um seine Mitmenschen und wollte, dass es allen gut ging
„Ihr geht es wohl den Umständen entsprechend gut. Vorhin habe ich Ihren Sohn getroffen. Er meinte, dass sie sich wohl das Bein gebrochen hat und eine Weile erst einmal bei ihm leben wird", antwortete ich ihm.Ein leises Seufzen verließ meine Lippen, als ich daran dachte, was das nun für mich bedeutete. Hoffentlich fand ich jetzt noch jemanden auf die Schnelle, der morgen nach der Schule auf Torioo aufpassen konnte.
„Haben Sie schon jemand anderen, der auf Miwa aufpasst, wenn Sie auf Arbeit sind?" Eine Frage, die mich die Luft anhalten ließ. Verdammt! Was sollte ich ihm jetzt darauf antworten? Sugawara hatte durch den heutigen Tag wahrscheinlich schon genug Gründe mitbekommen, warum ich ein schlechter Erziehungsberechtigter war. Ihm jetzt noch zu sagen, dass ich im Moment nicht wusste, wer morgen auf Torioo aufpasste, würde mich nur in ein noch schlechteres Licht zu rücken. Allerdings wollte ich ihn auch nicht anlügen.Ich ließ den Kopf hängen und nuschelte durch zusammengepresste Lippen: „Nein, noch nicht. Ich muss gleich noch telefonieren"Es fiel mir verdammt schwer das zuzugeben.
„Wollen Sie wirklich jetzt noch telefonieren?" Sugawara warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. „Es ist ja schon 22:30 Uhr. Jetzt erreichen sie doch niemanden mehr. Morgen kann ich auch nach Schulschluss auf Torioo aufpassen."Überrascht schnappte er nach Luft und seine Augen verrieten mir, dass er das eigentlich nicht sagen wollte. Eigentlich sollte ich das Angebot nicht annehmen. Es wäre für uns beide besser, wenn ich ablehnte. Ansonsten würden wir uns auch morgen sehen und unweigerlich an unsere gemeinsame Zeit erinnert werden. Dabei tat ich doch alles, um sie zu vergessen. Nicht, dass ich Sugawara nicht sehen wollte. Im Gegenteil, am liebsten würde ich ihn an mich ziehen und nie wieder gehen lassen. Ihm für das Angebot danken, aber ich hatte kein Recht dazu.
„Ich-", begann ich, stoppte aber kurz. Er hatte recht. Bis morgen würde es schwer werden jemanden zu finden und ehrlich gesagt war ich furchtbar müde und wollte nur noch ins Bett.
„Ich nehme Miwa morgen einfach nach dem Unterricht mit zu mir. Sie können ihn dann da abholen. Ich schreibe Ihnen noch schnell meine Adresse auf und meine Handynummer, falls was sein sollte", unterbrach mich Sugawara und gab mir keine Zeit für Widerworte. Sugawara fischte einen Zettel und einen Stift aus seiner Tasche und schrieb mir seine Daten auf, die er mir bestimmend in die Hand drückte.
„Dann sehen wir uns Morgen, Sawamura", mit diesen Worten verabschiedete er sich von mir und verließ eilig meine Wohnung. Es schien so, als hätte er Angst davor, dass er einen Rückzieher machte.
„Danke, Suga. Bis morgen", murmelte ich ihm hinterher und starrte für einen Moment meine Wohnungstür an, während mein Gehirn gerade noch dabei war zu verarbeiten, dass Sugawara mir gerade tatsächlich aus der Patsche geholfen hatte. Trotz allem, was passiert war.
Leise öffnete ich Torioos Zimmertür und spähte ins dunkle Zimmer. Ich hatte ihm versprochen, dass ich noch einmal zu ihm kommen würde, wollte ihn aber nicht aufwecken, wenn er doch schon eingeschlafen war. Er brauchte seinen Schlaf und normalerweise hätte er schon längst im Bett sein sollen. Es dauerte einen Moment bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ich die Silhouette Torioos in seinem Bett liegen sah. Einige Sekunden dachte ich, dass er schon schlief, aber dann hörte ich die Bettdecke rascheln und sah wie mein Neffe sich aufrichtete.
„Onkel Daichi?"
Torioos Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Seine Stimme klang rau und ließ mich für einen Moment erstarren. Ich spürte, wie meine Schultern erleichtert nach unten sackten, als eine der vielen Lasten, die ich trug, zu Boden fielen. Torioo hatte nach so langer Zeit endlich wieder gesprochen! Mein Herz machte einen erleichterten Satz und ich stieß hörbar den Atem aus. Zwischenzeitlich hatte ich geglaubt, dass er nie wieder auch nur ein Wort sagen würde. Ruhig bleiben. Jetzt nicht bloß nicht überreagieren! Behandle ihn einfach ganz normal, als wäre alles so wie immer!Ich spürte, wie sich meine Lippen zu einem erleichterten Lächeln verzogen und ich trat in das Zimmer ein.
„Ich bin hier", murmelte ich als Antwort und setzte mich neben ihm aufs Bett. Mein Neffe umklammerte sein Plüschtier fest und musterte mich mit großen Augen.
„Bist du in Ordnung?", seine Stimme war zittrig und ich hörte deutlich die Angst heraus.Ich spürte, den Kloß in meinen Hals und schluckte einmal. Wie schrecklich musste für ihn der heutige Nachmittag gewesen sein? Ich hatte ihn versprochen gehabt, dass ich ihn von der Schule abholen würde und war einfach nicht aufgetaucht. Seine Mutter hatte er durch einen Autounfall verloren. Ohne jegliche Vorwarnung.Beruhigend legte ich einen Arm um ihn und zog ihn etwas näher an mich.
„Ja. Tut mir leid, dass ich mein Versprechen nicht einhalten konnte. Auf der Arbeit ist ein Kollege kurzfristig krank geworden und ich musste seine Schicht übernehmen. Eigentlich sollte Nagahama dich abholen, aber sie hat sich das Bein gebrochen", erklärte ich und hoffte so seine Angst etwas lindern zu können.Torioo lehnte sich an meine Seite und nickte leicht.
„Ich dachte schon, Aliens hätten dich entführt", murmelte er und konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Der Tag war für ihn anstrengend und so langsam überrollte ihn die Müdigkeit. Zwar hatte Sugawara ihn sicher schon früher ins Bett geschickt, aber so wie ich Torioo kannte, hatte er sich einfach schlafend gestellt. Wenn ich ihn in Yamagata bei meiner Schwester besucht hatte, war es auch so gewesen.
„Aliens?", fragte ich und schmunzelte kurz. Obwohl er seine Mutter bei einem Autounfall verloren hatte, waren Aliens der Grund, warum ich ihn nicht von der Schule abgeholt hatte?
Torioo nickte und seine Augenlider fielen kurz zu. „Ja, Sato meinte, dass Aliens dich entführt haben. So etwas tun sie doch. Eltern und Onkels entführen..."
„Sato?", fragte ich. Es musste wohl ein Klassenkamerad von Torioo sein. Wieder fiel mir ein Stein vom Herzen. Obwohl Torioo bis jetzt nicht gesprochen hat, schien er in der Schule Freunde zu finden. Was gut so war. Ich wollte, dass er trotz allem ein normales Leben führte. „Nun, da liegt er wohl falsch. Ich kann dir aus geheimen Quellen sagen, dass Aliens nur kleine Jungs entführen, um mit ihnen Volleyball zu spielen."Ein leises Kichern entwich Torioos Lippen und kurz grinste er.
„Sato würde das gefallen. Aber nur wenn diese blöden Schweiden Adlers Spieler auch auf dem Ufo sind...", murmelte er, während die Müdigkeit endgültig über ihn siegte und ihn ins Reich der Träume schickte.
Eine Weile blieb ich noch neben Torioo sitzen und beobachtete meinen Neffen dabei wie er schlief.„Deine Mutter wäre so stolz auf dich", murmelte ich und küsste kurz seine Stirn. „Schlaf gut, Torioo."Vorsichtig legte ich ihn wieder in sein Bett und deckte ihn zu. Diese Zeit war auch für ihn unheimlich schwer und trotzdem meisterte er sie so wunderbar. Ich war mir sicher, dass ihn diese Zeit nur noch stärker machen würde.

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Hello,
Endlich wieder ein Update! Ja ich weiß hat etwas länger gedauert, aber so ist das nun einmal :p Endlich müssen Daichi und Sugawara wieder mehr Zeit miteinander verbringen und Torioo spricht wieder! Nun kann die Geschichte ja endlich mal richtig loslegen ^^
Hoffe euch hat das Kapitel gefallen.
Viele Grüße
Liss

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