Kapitel 15

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I'm tired, can we give up

The art of moving on

Sugawara:

Eigentlich gab es nichts mehr zu bereden. Damals war die Sache eindeutig gewesen und ich bezweifelte, dass sich in den letzten Jahren etwas an Daichis Einstellung geändert hatte. Trotzdem ließ ich mich auf das Gespräch ein.

Um in Ruhe miteinander reden zu können, waren wir nach draußen gegangen. Inzwischen war es Anfang Oktober und die Blätter an den Bäumen hatten sich alle bunt verfärbt. Es war eine sternenklare Nacht und der Mond schien hell am Himmel. S

Wir schlugen den Weg zum Park ein. Meine Hände vergrub ich in den Taschen meines Mantels und blickte stur auf den Weg vor uns. Im Moment fühlte ich mich nicht bereit dazu Daichi anzusehen. Ich wollte nicht seine Abneigung sehen, die er gegenüber Leuten wie mir hegte. Menschen, die auf das gleiche Geschlecht standen.

Unsere erste und letzte gemeinsame Nacht war für ihn nur ein Ausrutscher gewesen. Ein Abenteuer, um seine Neugier zu stillen und festzustellen, wie sehr es ihn anwiderte einen Kerl zu ficken. Noch heute kreisten seine Worte in meinen Kopf herum, zebrachen mein Herz. Wie einfach ich doch zu haben war, nachdem er wusste, was ich für ihn empfand. Wie blind ich doch durch meine rosarote Brille gewesen war und nicht erkannte, dass mich Daichi nur ausnutzte. Der Person, der ich am meisten vertraut hatte. Eigentlich war ich ihm nicht schuldig mit ihm zu reden. Ich sollte ihm eine reinhauen und dann gehen. Nicht mehr auf seinen Neffen aufpassen und einfach ihm sein Schicksal überlassen.

Wir hatten uns auf der Karasuno kennengelernt und ich hatte ihm mein Herz geschenkt. Als Teenager war Daichi der wundervollste Mensch auf Erden. Zu jeder Tageszeit war er für seine Freunde da. Er war ein guter Zuhörer und Mentor. Selbst in schwierigen Situationen behielt er den Überblick und war ein Fels in der Brandung. Immer wenn es mir zu viel wurde, konnte ich zu Daichi gehen und mich an seiner Schulter anlehnen. In der Schulzeit hat er mir so unfassbar viel Halt gegeben und natürlich musste ich mich in ihn verlieben.

Die Zeit war hart. Ich war verwirrt und verängstigt. Ich wusste, wie meine Eltern zur Homosexualität standen und mich nicht weiter unterstützten, sobald mein gut behütetes Geheimnis ans Licht kam. Zu Beginn habe ich mir versucht einzureden, dass es nur eine Phase ist und ich einfach mit ein paar Mädchen ausgehen musste. Dann würde ich mich schon in ein hübsches Mädchen verlieben und meine Gefühle für meinen besten Freund würden von selbst verschwinden. Falsch gedacht.

Im ersten Schuljahr konnte ich meine Gefühle noch gut verbergen. Aber als wir in der zweiten Hälfte unseres zweiten Oberschuljahres waren, bemerkte Daichi, dass mich etwas beschäftigte. Anfangs habe ich ihm noch versichert, dass alles in Ordnung war. Zwar hatte Daichi nicht weiter nachgefragt, aber ich habe seine besorgten Blicke gespürt. Ich wusste, dass sich mein damals bester Freund um mich Sorgen machte. Er war nur zu höflich, um mich nicht zu drängen. Stattdessen gab er mir die Zeit, die ich gebraucht hatte. Er wartete bis ich bereit war mit ihm über meine Probleme zu reden. Eine Eigenschaft, die ich sehr schätze.

Ich erinnerte mich noch genau an jene Nacht, die unsere Freundschaft komplett veränderte. Es waren gerade Sommerferien und die Sonne schien schon seit Tagen erbarmungslos auf die Erde nieder. Selbst in den Nächten herrschte noch eine drückende Schwüle, die es einem unmöglich machte zu schlafen. Jeder wartete nur noch auf den Regen, der Abkühlung verschaffen konnte. Meine Gedanken kreisten unablässig und hielten mich wach. Im Nachhinein weiß ich gar nicht, was mich dazu brachte in jener Nacht Daichi aufzusuchen und Kieselsteine gegen sein Fenster zu werfen, bis er davon wach wurde.

Nie werde ich den Anblick vergessen, als er das Fenster geöffnet hatte und mit zerzausten Haaren und verschlafenen Gesicht zu mir hinabblickte. Trotz der Hitze trug er ein weißes Shirt, welches vom Schlafen ganz zerknittert war.Bei dem Anblick hatte mein Herz kurz schneller geschlagen, aber ich war zu nervös um den Anblick zu genießen. In Gedanken war ich schon bei dem Gespräch, welches ich gleich mit Daichi führen wollte. Schlaftrunken fragte er mich, was ich hier noch so spät mache. Es sei mitten in der Nacht und das Einzige, was Daichi im Moment tun wollte, war zu schlafen. Ich rieb meine schwitzigen Hände an meiner Jeans trocken und schluckte den Kloß, der sich in meinen Hals gebildet hatte, hinunter.

Art of Moving onWo Geschichten leben. Entdecke jetzt