27 - Die Gerichtsverhandlung

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Samstag, 15.08.2020

Am Morgen bin ich mit meinem Handy und Jordans regelmäßigen Atemzügen am Ohr aufgewacht. Das breiteste Lächeln überhaupt hat sich auf meine Lippen geschlichen, als ich unser nächtliches Gespräch habe Revue passieren lassen. Es ist nur banales Gerede über nichts Bestimmtes gewesen. Die Vorkommnisse und mein verrückter Stalker sind nicht ein einziges Mal Thema geworden, worüber ich sehr froh bin, weil ich das Gefühl habe, dass das alles ist, worüber wir je reden. Es hat gutgetan, mich auch auf privater Ebene freundlich mit ihm zu unterhalten. Ich weiß zwar nicht was in ihn gefahren ist, dass er plötzlich so liebevoll geworden ist, aber ich wäre die Letzte, die sich deswegen beschweren würde.

Nachdem ich beschlossen habe ihn nicht zu wecken, habe ich aufgelegt. Mit diesem einen Knopfdruck habe ich mich geradewegs in die harte Realität katapultiert. Ob es wohl gesund ist, dem wahren Leben so oft auf diese Weise zu entkommen?

Den ganzen Morgen über habe ich versucht, nicht an Robert und den gruseligen Hausmeister zu denken. Und jedes Mal, wenn meine Gedanken doch zu ihnen geschweift sind, habe ich mich gezwungen, mir Jordan vor Augen zu rufen. Bis vor kurzem ist Blue Rose immer mein einziger Anker gewesen. Aber seit sich meine Gefühle für Jordan gewandelt haben, stehen die Beiden zusammen auf meiner Prioritätenliste.

Nun ist es kurz vor zwei Uhr, als ich aufgeregt auf dem Stuhl im Gerichtssaal auf und ab hüpfe. Steven, der sich ungefragt neben mich gesetzt hat, betrachtet mich schmunzelnd von der Seite. Obwohl es mir auf der Zunge liegt, wage ich es nicht, ihn auf die letzte Nacht anzusprechen. Mich interessiert es brennend, wie und warum er sich so gut mit Patrick versteht. Komischerweise werde ich auch das Gefühl nicht los, dass er nur durch Kontakte den Praktikumsplatz bekommen hat. Ich übe diesen Beruf schon seit einiger Zeit aus und wage es zu behaupten, dass er beim besten Willen nicht für die Stelle eines Rechtsanwaltsfachangestellten geschaffen ist. Neben dem Kopieren von Unterlagen, habe ich ihm die Grundlagen einer professionellen Gesprächsführung und einer Mandantenberatung nähergebracht, aber er tut sich sehr schwer damit. Schließlich stellt sich mir die Frage, ob er Robert auch persönlich kennt. Was haben die Drei miteinander zu tun?

Stevens Blick ignorierend, halte ich Ausschau nach Patrick. Ich entdecke ihn an der großen Doppeltür mit zwei weiteren Männern in schwarzen Anzügen. Er hat gesagt, dass wir in der Früh über das reden werden, was passiert ist, aber bisher sind wir nicht dazu gekommen und jetzt muss ich wohl oder übel bis nach der Gerichtsverhandlung warten. Auch wenn es meinem Stolz einen Knacks versetzt, muss ich mich bei ihm bedanken. Dafür, dass er mich gerettet hat, auch wenn es vielleicht gar nicht seine Intention gewesen ist. Aber dass er versucht hat mich zu beruhigen und die Situation zu klären, ist das Netteste, was er je für mich getan hat. Wir mögen unsere Differenzen haben und uns nicht ausstehen, aber gute Taten sollten belohnt werden, oder nicht? Da ist ein Dank das Mindeste, das ich ihm entgegenbringen kann.

Während wir alle gespannt darauf warten, dass die Gerichtsverhandlung endlich losgeht, sehe ich auf meinem Handybildschirm, dass ich eine neue Nachricht von Blue Rose habe.

Blue Rose: Hey Rosie. Ich bin froh, dass du mir geschrieben hast. Ich habe es dir oft genug gesagt und sage es dir gerne noch mal so oft: Du kannst immer mit mir sprechen, egal über was. Ich bin gerne für dich da, das weißt du. Nicht umsonst hat deine Mama mich gebeten, für dich da zu sein.

Blue Rose: Du hast mir nie einen Grund gegeben, wütend auf dich zu sein, also was sollte ich dir überhaupt verzeihen? Bitte, erzähl mir was dir auf dem Herzen liegt und friss es nicht in dich hinein.

Blue Rose: Ich habe es ernst gemeint, als ich geschrieben habe, dass ich mir Sorgen um dich mache.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen als ich seine SMS mehr als nur einmal lese. Er ist wahrhaftig ein wunderbarer Mensch mit einem großen Herzen. Ist es wirklich selbstverständlich, so viel für eine fremde Person zu tun, wie er es immer tut? Seit ich ihn kenne, ist er kein einziges Mal wütend auf mich gewesen. Zumindest hat er es sich nie anmerken lassen. Selbst als ich meine trotzige, zickige Phase in der Pubertät gehabt habe. Ich habe das Gefühl gehabt, und habe es auch heute noch, dass er immer weiß, wie es mir geht. Er überhäuft mich mit so vielen liebevollen Nachrichten, Geschenken und Rosen, dass ich mich frage, womit ich einen Menschen wie ihn überhaupt verdient habe. Mag sein, dass er all das nur tut, weil Mama ihn darum gebeten hat, aber ist das wirklich genug, um so weit zu gehen, wie er es tut?

Blue Rose - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt