06 - Diebstahl

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Freitag, 17.07.2020

„Wie findest du das?" Pamela dreht sich einmal um die eigene Achse damit ich sie von allen Seiten betrachten kann. Ein enges rotes Kleid schmiegt sich um ihre perfekten Kurven und lässt nicht mehr viel für die Fantasie übrig. Ihre blassen Beine wirken in dem kurzen Stoff noch länger als sie eigentlich sind. Die platinblonden Haare hält sie sich mit den Händen hoch und entblößt somit ihren langen schlanken Hals und ihr Dekolleté.

„Du siehst scharf aus", pfeife ich anerkennend und halte den Daumen in ihre Richtung hoch. „Chris wird Augen machen."

„Glaubst du?" Ein hoffnungsvoller Schimmer taucht in ihren Augen auf, als sie mir ihren Kaffee aus der Hand nimmt und daran nippt.

„Warum auch nicht?", frage ich und lehne mich auf dem ungemütlichen Klappstuhl zurück. „Wäre ich ein Mann, wärst du schon längst mein." Grinsend zwinkere ich ihr zu, was sie mit einem lauten Lachen quittiert. „Aber ehrlich mal. Was ist mit euch beiden? Ihr seid sonst immer ein Herz und eine Seele. Aber seit ein paar Nächten höre ich euer Bett nicht mehr einkrachen."

„Du hörst das?"

„Die Wände sind dünn, Pam."

Während sie seufzend und ohne ein weiteres Wort wieder in die Umkleidekabine geht, um sich umzuziehen, sehe ich mich im Geschäft um. Außer zwei Mitarbeiterinnen sind sonst keine Personen mehr hier. Die beiden jungen Frauen sehen mich an als möchten sie mir sagen, dass wir endlich verschwinden sollen, damit sie pünktlich Feierabend machen können. Aus dem Grund shoppe ich nur ungern so spät. Wenn ich etwas kaufen will, dann möchte ich das in Ruhe machen. Da kann ich niemanden gebrauchen, der mich hetzt. Aber heute geht es um Pamela. Am Morgen hat sie mich angefleht, dass ich mit ihr in die Stadt fahre. Eigentlich ist sie der Online-Shopping-Typ und wenn sie dann mal in Geschäfte will, dann hat sie höchstwahrscheinlich Frust, den sie loswerden muss. Und obwohl sie mir noch nicht erzählt hat, was sie belastet, kann ich mir schon denken, dass es etwas mit Chris zu tun hat.

Als meine beste Freundin wieder aus der Umkleide kommt, reiche ich ihr ihre Tasche und ihren Kaffee. Nachdem sie dann schließlich für das rote Kleid bezahlt hat, schlendern wir weiter durch die Stadt bis in den nächsten Laden.

„Was brauchst du von hier?" Skeptisch bleibe ich vor dem Eingang eines Männermodegeschäfts stehen.

Pamela lächelt unsicher. „Ich will Chris eine Kleinigkeit holen."

„Eine Kleinigkeit?", wiederhole ich und folge ihr in den fast menschenleeren Laden. „Weißt du, wie viel eine Kleinigkeit hier kostet?" Wir sind umgeben von teuren Designerklamotten und Armbanduhren, die so viel kosten, wie meine Arbeit in einer Woche. Bedacht darauf, bloß nichts anzufassen, schlängele ich mich durch die Gänge, um mit Pamela mithalten zu können. Zielstrebig steuert sie auf eine bestimmte Ecke im Raum zu und bleibt schließlich vor einer Vitrine stehen. In diesem liegen Armbanduhren in allen möglichen Größen und eine glänzt mehr als die andere.

„Du willst ihm eine Uhr schenken?", frage ich leise als wäre es ein Geheimnis.

Als Antwort nickt sie, ohne den Blick von den silbernen Accessoires abzuwenden. „Welches würde ihm mehr gefallen?"

„Das da drüben gefällt mir, aber– hey!" Murrend drehe ich mich zu der Person um, die mich angerempelt hat. Hinter mir steht ein junger Mann, wahrscheinlich nicht älter als zwanzig. Er hat einen mintgrünen Pullover an, der bei den Temperaturen viel zu warm sein muss. Die Kapuze hat er sich so weit über den Kopf geschoben, dass ich seine Augen nicht erkennen kann. „Pass besser auf", schimpfe ich und drehe mich wieder weg. Pamela sieht verdattert zwischen uns hin und her, ehe sie den Kopf schüttelt und wir uns wieder den Uhren widmen. Einige Sekunden kann ich seine Gegenwart noch hinter mir spüren, doch als er wortlos geht, verschwindet mit ihm auch langsam der unangenehme Geruch.

Blue Rose - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt