21 - Richtig & Falsch

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Samstag, 08.08.2020

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich am nächsten Tag vor Jordans Wohnungstür stehe. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Ist das wirklich eine gute Entscheidung? Passt so ein Verhalten überhaupt zu mir und dem Bild, das andere von mir haben? Oft werde ich als schüchtern und prüde eingeschätzt. Wahrscheinlich, weil ich meinen Körper nicht oft zur Schau stelle und lieber Kleidung trage, die mir etwas zu groß ist. Ich würde behaupten, nur in der Kanzlei sexy auszusehen. Aber ich versuche nicht krampfhaft Blicke auf mich zu ziehen und anderen eine hohe Meinung von meinem Erscheinungsbild zu entlocken. Doch das ist genau das, was ich jetzt vorhabe. Und warum? Weil es sinnvoller ist, als ihn mit anderen Männern eifersüchtig zu machen. Weil ich mehr aus ihm herauslocken möchte und meine persönlichen Grenzen erweitern kann. Na ja, zumindest profitiere ich von der ganzen Sache, auch wenn ich mich vielleicht zum Affen machen werde.

Als ich wie in Zeitlupe den Schlüssel im Schlüsselloch umdrehe, wappne ich mich innerlich auf das, was mich vermutlich erwartet. Was, wenn er fiese Kommentare von sich gibt? Sich vielleicht über mich lustig macht? Das schlechte Gewissen packt mich und ich kehre fast um, um nach Haus zu rennen und mich umzuziehen. Aber bevor ich auch nur einen Fuß wieder aus der Wohnung setzen kann, ruft Jordan mit heiserer Stimme nach mir.

„Rose? Bist du das?" Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen, als ich den Kloß in meinem Hals herunterschlucke und die Tür hinter mir schließe. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Erhobenen Hauptes und mit durchgestrecktem Rücken stolziere ich ins Wohnzimmer.

„Was gibt es?", spreche ich noch bevor ich ihn sehe und bemühe mich um einen selbstbewussten Tonfall. Achtsam lege ich die Handtasche, die Pamela mir geliehen hat, in eine Ecke und blicke zum Sofa, auf dem Jordan es sich unter einer Decke gemütlich gemacht hat. Na ja, so gemütlich es eben geht, wenn man bedenkt, dass seine Beine über die Armlehne baumeln. Nervös nähere ich mich ihm, aber er hat einen Arm über seine Augen gelegt, sodass er mich gar nicht sieht. „Brauchst du etwas?", frage ich diesmal etwas lauter und runzle die Stirn. Mir fällt seine vom Schweiß glänzende Haut auf sowie das schnelle Heben und Senken seiner Brust. „Geht es dir nicht gut?", will ich wissen und kann die Besorgnis in meiner Stimme nicht verbergen. Eilig lasse ich den letzten Meter hinter mir, der uns voneinander trennt und knie mich neben ihn auf den Boden. „Hallo", flüstere ich behutsam und versuche einen Blick in sein Gesicht zu erhaschen, als ich meine Hand auf seinen Bauch lege und sanft an ihm rüttle.

„Mach mir eine Suppe", krächzt er kaum hörbar. Normalerweise würde ich mich über seine unhöfliche Wortwahl ärgern, aber ich denke, dass das nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Schweigend komme ich also seiner Bitte – eher seinem Befehl – nach. Als ich die Hühnersuppe auf einem Tablett und ein paar Scheiben Brot auf den kleinen Glastisch stelle, liegt Jordan immer noch so da, wie ich ihn hinterlassen habe. „Steh auf und iss, bevor es kalt wird." Er murmelt etwas Unverständliches, doch zu meiner Überraschung setzt er sich mühsam auf. Seine Augen sind blutunterlaufen und von dunklen Ringen geschmückt, als hätte er, wieder einmal, keine Minute geschlafen. Als er Pamela, Amber und mich gestern abgeholt hat, hat er auch schlimm ausgesehen, sodass ich es sofort bereut habe, ihn angerufen zu haben. Aber heute sieht er sogar noch furchtbarer aus. Ohne mich eines Blickes zu würdigen oder sich zu bedanken, lehnt er sich vor und beginnt die Suppe zu löffeln. Zugegebenermaßen bin ich nicht sonderlich überrascht. Mittlerweile weiß ich, dass Jordan starke Stimmungsschwankungen hat. Eigentlich habe ich gedacht, dass mich seine mangelnde Aufmerksamkeit demotivieren wird, aber ganz im Gegenteil. Ich bin nun umso angeregter, meine heutige Mission zu erfüllen.

„Dann lass es dir schmecken", flöte ich und stelle mich quälend langsam wieder auf die Füße. Dabei bücke ich mich so vor, dass meine Brust unnötig weit ausgestreckt ist. Doch seine Augen bewegen sich nicht einmal in die Nähe meines Ausschnitts. Nüchtern stelle ich fest, dass es doch schwieriger wird, als ich anfangs gedacht habe.

Blue Rose - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt