07 - Trübsal

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Samstag, 18.07.2020

Es gibt Situationen, in denen ich mir wünsche, dass der Boden sich auftun und mich verschlingen könnte. Meistens ist das, wenn ich in der Öffentlichkeit stolpere, etwas verschütte und andere es mitbekommen und neuerdings auch dann, wenn eine junge Frau in ihrer Geburtskleidung vor mir steht – splitterfasernackt. Das wäre nur halb so schlimm, wenn sie nicht unglaublich attraktiv wäre und ich wie das komplette Gegenteil von ihr aussehen würde. Während sie perfekt geschminkt, lässig am Waschbecken lehnt und ihre goldenen Locken hin und her wirft, hocke ich in meiner verwaschenen Jeans und einem verdreckten T-Shirt auf dem Boden und versuche, diesen von mysteriösen gelben Flecken zu befreien. Verdammt sei Nicolas und sein ständiger Damenbesuch.

„Was bekommst du für das, was du hier tust?", fragt die goldbraune Frau mich und es scheint, als hätte sie mich nicht zum ersten Mal angesprochen, doch alle anderen Male bin ich zu tief in Gedanken versunken gewesen.

„Geld", gebe ich zurück und haue mir für meine glorreiche Antwort mental eine rein.

„Geld?", wiederholt sie ungläubig und ich wage einen Blick zu ihr hoch. Dabei versuche ich sie nicht anzustarren. Obwohl ich kein sexuelles Interesse an Frauen habe, kann ich nicht leugnen, dass Nicolas einen guten Fang gemacht hat. „Du wischst all den Urin weg, für was? Für Geld?"

„Urin?", stöhne ich und schleudere den Wischlappen angeekelt auf den Boden. „Und dabei wurde extra betont, dass Bad und Toilette hier getrennt sind."

Goldlöckchen stößt ein herzhaftes Lachen aus, ehe sie mir mit einer Handbewegung bedeutet, aufzustehen. Unsicher erhebe ich mich und lasse meinen Blick an ihren nicht-enden-wollenden Beinen hochfahren. Dabei bleibe ich an den Katzenohren hängen, die kurz über ihrem Schambereich gezeichnet worden sind. „Du bist also die vom letzten Mal. Ich wusste, du kommst mir bekannt vor."

„Ich weiß nicht, wovon– ah! Du bist es!" Plötzlich erinnere ich mich an das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Da ist sie zwar bekleidet gewesen, hat ihre Zunge aber in Nicolas' Hals stecken gehabt. Ich versuche mir ein freundliches Lächeln abzuringen, um nicht zu zeigen, wie unwohl ich mich gerade fühle und wie überrascht ich bin, dass Nicolas sich mehr als nur einmal mit ihr getroffen hat.

„Mir ist es lieber, wenn du mich beim Namen nennst", lacht sie und legt ihre zarten Finger um meine Schulter. „Amber."

„Rose", stelle ich mich vor und versuche selbstbewusst in ihre goldbraunen Augen zu sehen. „Freut mich." Kurz entsteht eine Stille, in der ich mich frage, was ich nun tun soll. „Wo ist eigentlich Nicolas?" Als ich heute geklingelt habe, wurde mir die Tür von Amber aufgemacht, die, allem Anschein nach, jemand anderes erwartet hat. Wenn sie nicht hier gewesen wäre, würde ich vermutlich immer noch vor verschlossener Tür stehen. Da fällt mir ein, dass ich die Jungs bitten muss, mir einen Schlüssel für die Wohnung zu geben.

Lässig zuckt sie die Schultern und setzt sich auf den Rand der Badewanne. Dabei schlägt sie ihre schlanken Beine übereinander und wirft sich die Haare vor die Brust. Erleichtert atme ich aus. „Ich dachte, das könntest du mir sagen. Er hat vor einer Stunde angerufen und gesagt, ich soll unter der Dusche warten." Bevor ich überhaupt über eine Antwort nachdenken kann, wird die Badezimmertür gegen die Wand geschlagen, was Amber und mich erschrocken zusammenfahren lässt.

„Was macht ihr Zwei hier?" Ich bin ziemlich überrascht, als ich Jordans ruhige Stimme höre, die im Gegensatz zu seinem finsteren Gesichtsausdruck steht. Völlig verschwitzt und mit zerzaustem Haar steht er an der Tür und hält meinen Blick fest. Auch wenn die Luft dicker zu werden scheint, weil niemand von uns etwas sagt, muss ich ihn für seine Selbstbeherrschung loben. Seine Augen auf etwas anderes zu richten als Ambers nackte Haut, erfordert sicher einiges an Willenskraft. Selbst für mich.

Blue Rose - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt