12 - Geburtstagsparty

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Montag, 09.02.2009

Meine Nachbarin hält mich in ihren Armen und wiegt mich hin und her. Sie flüstert mir Worte ins Ohr. „Es tut mir so leid, Kleines." Ich glaube, sie weint. Aber ich will nicht in ihren Armen liegen, Mama. Ich will, dass du mich umarmst. Ich habe doch heute Geburtstag. Ich bin jetzt zwölf, weißt du?

„Hey, Kleine", höre ich einen Mann sagen. Ich glaube, dass ich ihn kenne. „Ich bin der zuständige Mordkommissar." Ich verstehe nicht, was er sagt. Wer ist das, Mama? Ängstlich umklammere ich Frau Wilson fester und drücke mein Gesicht an ihren Hals. „Das Mädchen ist die Hauptverdächtige in diesem Fall. Ich fürchte, sie muss uns ein paar Fragen beantworten." Diesmal spricht er zu meiner Nachbarin. „Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Officer O'Connor."

Freitag, 31.07.2020

„Du hast es endlich gelernt, Steven!", lobe ich meinen Praktikanten zum allerersten Mal, seit er bei uns angefangen hat. Er hat es geschafft, die Dokumente richtig zu sortieren und im passenden Ordner abzuheften. Man sollte meinen, dass das mit Abstand die einfachste Aufgabe ist, doch nicht für Steven. Manchmal frage ich mich, ob er sich nur so dümmlich anstellt oder ob er es tatsächlich ist. Ich beobachte ihn schon seit einer Weile und versuche ihn so gut es geht zu analysieren. Allerdings kann ich ihn noch immer schwer einschätzen. Er wirkt wie ein schüchterner Junge, fragt mich aber aus, als wären wir schon seit Jahren befreundet. Ich wäre froh, wenn er mich zumindest etwas über die Arbeit fragen würde, um zu lernen. Aber nein, sein Interesse gilt hauptsächlich meinem Privatleben. Seit meinem Abgang vom Geschäftsessen vor einer Woche fragt er mich ständig über Nicolas und Jordan aus. Wer die Beiden sind, woher ich sie kenne und welche tiefere Beziehung ich zu ihnen habe. Meine Antwort, dass wir nur Freunde sind, ist ihm wohl nicht genug. Ich rede mir ein, dass er mich nur besser kennenlernen will oder ein Auge auf einen von ihnen geworfen hat. Dass er hingegen ernsthaftes Interesse an mir haben könnte, zweifele ich an. Dafür benimmt er sich in meiner Gegenwart zu kindlich.

„Dann kannst du heute pünktlich Feierabend machen?" Das ist seit seinem ersten Arbeitstag hier nie vorgekommen und das wird es wohl auch bis zum Schluss nicht.

Ich lache auf, um zu verstecken, wie sehr mich diese Tatsache eigentlich deprimiert. „Ich denke nicht. Aber dank dir habe ich fünf Minuten gespart."

„Aber du siehst aus, als hättest du noch etwas vor."

„Wie kommst du darauf?", frage ich stirnrunzelnd. Ich habe tatsächlich etwas vor, aber das hätte er nicht wissen müssen.

Steven kratzt sich den Hinterkopf und scheint sogar zu erröten, als er weiterspricht. „Dein Bikiniträger." Mit zitterndem Finger deutet er auf meinen Hals. Eilig ziehe ich die schwarze Bluse enger, um die himmelblaue Schnur zu verdecken. „Du gehst an den Strand?"

Ich schüttele den Kopf. „An den großen See hier in der Nähe. Nicolas feiert seinen Geburtstag."

Er nickt anerkennend und seltsam ruhig. Als er weiterspricht, glänzt etwas in seinen Augen. „Meinst du, es macht ihm etwas aus, wenn ich auch kommen würde?"

„Du willst mitkommen?", frage ich um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört habe. Eigentlich sollte es mich überraschen, aber nach all den Fragen, mit denen er mich gelöchert hat, tut es das nicht.

„Natürlich nur, wenn das für ihn okay ist. Wenn er mich nicht dabeihaben will, ist es auch in Ordnung. Ist ja nicht so, als würden wir uns besonders kennen oder wären Freunde. Aber die Sache ist, ich habe nicht viele Freunde, aufgrund meiner schüchternen Art. Außerdem habe ich heute Abend keine Pläne, also dachte ich mir, ich könnte vielleicht–"

„Steven, denk daran Luft zu holen", unterbreche ich sein Gequassel und hebe beschwichtigend die Hände.

Er lächelt verlegen. „Tut mir leid."

Blue Rose - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt