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Als sie am nächsten Morgen aufwachte, spürte sie noch das Brennen, das von ihrem verletzten Fuß kam. Erschöpft versuchte sie sich aufzurappeln und stemmte sich mit zitternden Armen nach oben.

Das Feuer war erloschen, die Glut funkelte nur noch matt und der Rauch hing in der Luft. Tjamand war allein in dem Raum, die Frau war fort. Ein Ziehen ihrer Verletzung ließ sie ächzen. Keuchend schwang sie ihre Beine über das Bett und schloss kurz die Augen. Plötzlich fühlte sie sich allein, so unendlich allein. Ihre Familie war fort. Benedictus weit weg und Thoas war der einzige gewesen, der mit ihr gesprochen und die Wahrheit erzählt hatte.  Sie dachte an Luna, die jetzt wohl daheim saß und von ihren Eltern mit auf das Feld gebracht wurde und an Benedictus, der in Sicherheit in dem großen Gebäude war.

Tjamand öffnete die verschlafenen Augen wieder. Ja, sie war allein. Unendlich allein. Aber sie war ihr ganzes Leben ein bisschen allein gewesen. Und das würde sie vermutlich immer sein. Seufzend versuchte sie, ihren Fuß aufzusetzen. Angestrengt biss sie die Zähne aufeinander und stolperte wankend auf die Tür zu.

Ein Fehler.

In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken wild herum. Thoas, ihre Gefühle, ihre Familie, dass sie Schuld an alledem war, wie es weitergehen sollte.

Ein Fehler.

Sie öffnete die Tür und stützte sich an dem Holz. Früher hatte sie gedacht, dass es wehtat, wenn man hinfiel, dass es wehtat, wenn man in einen Nagel trat. Und nun? In ihrem Fußgelenk war ein tiefer Biss, in ihrem Herz ein großer Riss.

Ein Fehler.

Ihr wurde heiß und der Schweiß brach ihr aus. Es war mühsam, jeder Schritt war geprägt von unglaublichen Schmerzen. Sie schleppte sich weiter, die quietschenden Treppen nach unten und atmete die stickige Luft ein.

Staub flirrte im Licht und sie hielt inne und sah sich um nach Menschen ihrer Gruppe. Wo waren sie? Tjamand fühlte eine Hand an ihrer Schulter und zuckte zusammen. Als sie den Kopf hob, starrte sie in dunkle Augen. Ein junges Mädchen, nur wenige Jahre älter als sie, musterte sie besorgt.

„Wo sind die anderen?", stieß sie ruckweise hervor.

Das Mädchen blinzelte. „Du musst dich ausruhen", erwiderte sie ausweichend.

Sie sind schon weg. Sie sind schon fort gegangen.

Was sollte sie jetzt tun? Ihnen nachreiten? Wo immer sie hin waren? Oder zurück nach Sovrial? Sollte sie hierbleiben? Tjamand atmete tief aus und nickte schließlich. „Ja", antwortete sie. Während sie sich ausruhte, konnte sie darüber nachdenken, was sie noch tun sollte.

Das Mädchen begleitete sie zurück in ihr Zimmer und Tjamand hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Erschöpft setzte sie sich wieder, als ihr ein Zettel auffiel. Misstrauisch nahm sie ihn in die Hand und las die krakelige Handschrift.

Tjamand, wenn du aufwachst, dann sind wir bereits fort. Wir reiten im Morgengrauen, ohne dich. Falls du hierbleiben willst, ist das Zimmer für dich. Wenn nicht, unternimm keine langen Reisen, du musst dein Bein schonen. Pass auf dich auf,
Lydia.

Tjamand legte das Blatt zurück. Der Brief verriet er nichts, was sie noch nicht gewusst hätte.
Unruhig betrachtete sie das Zimmer.
Die Entscheidung, was sie jetzt tun sollte, fiel ihr schwer. Noch immer ohne einen Entschluss legte sie sich auf das Bett und schloss die Augen, um sich weiter auszuruhen.

Gehetzt öffnete sie die Augen. Sie brauchte einen kurzen Moment, um zu realisieren, was sie wirklich geweckt hatte, doch als sie es merkte, klopfte ihr Herz wild und sie warf einen Blick aus dem Fenster in die Nacht. Rauch und Feuer waren zu sehen, überall und Gestalten, die die Straßen einnahmen wie Wasser, das in jeden Spalt fließt. Flammen erfassten die Gebäude. Tjamand atmete schneller. Jetzt waren sie hier. Instinktiv wollte sie die Stadt verteidigen, sie wollte den Menschen helfen, doch sie wusste, dass sie es nicht konnte. Noch eher würde sie sterben. Und das wollte sie nicht riskieren. Seit sie in Sovrial gewesen waren, wusste sie, wozu sie imstande waren.
Keuchend lief sie zur Tür, riss diese auf und rannte die Treppe nach unten, bis sie auf die Straße hastete. Die kalte Nachtluft war erfüllt von Schreien und Klirren von Waffen. Der Rauch biss in ihrer Lunge, als sie auf den Stall zu sprintete und ein Pferd suchte. Einige hatten sich losgerissen und flohen jetzt über die Straßen mit ihrem lauten Wiehern, ihre Hufe klapperten auf den Steinen. Das trockene Stroh würde bald Feuer fangen, schneller als es jedes Holz tat.

Tjamand sah sich mit Panik in den Augen um und schwang sich auf eines der Pferde, das schwarz war wie der Himmel über ihr. Gestalten stellten sich ihnen in den Weg, doch das Tier galoppierte darüber hinweg, bis sie die angstvollen Schreie und den Lärm in ihrem Rücken hörte. In ihren Ohren rauschte das Blut, sie klammerte sich an die Zügel und lehnte sich nach vorn, damit der raue Wind sie nicht schlug. Hinter ihr stiegen die Rauchfahnen in die Luft und sie trieb das Pferd weiter an. Sie musste hier fort. Schnell! Jetzt erst spürte sie den Schmerz in ihrem Fuß, doch er war nicht mehr so schlimm und sie war erleichtert, dass die Salbe geholfen hatte.

Tjamand wusste nicht, wohin sie reiten sollte, sie folgte nur dem Pfad, bog bei Kreuzungen immer in dieselbe Richtung ab, denn ihr war egal, wo sie landen würde. Die Hauptsache war, dass sie hier fort kam. Keine Pausen einlegen, so weit wie möglich reiten.
Der Lärm, alle Geräusche verstummten, wurden von dem Rauschen der Bäume verschluckt und schließlich ritt sie langsamer. Sie konnte das Pferd nicht schinden, die Strecke war bergig und steil gewesen und sie war erschöpft und zermürbt.

Die Nacht war ruhig, nur ihr Keuchen war zu hören. Sie suchte mit ihren brennenden Augen die Umgebung ab, doch nichts konnte sie als Lager nutzen, weswegen sie das Pferd weiter antrieb, um noch ein Stück zu reiten.

Das Klappern der Hufe zerschnitt die dunkle Nacht und sie lauschte angestrengt, um jedes Geräusch zu hören, auch, wenn sie so müde war, dass sie glaubte, auf der Stelle einschlafen zu können.
Zwischen den knorrigen Bäumen waren immer häufiger große, steinige Felsen zu finden, die mit Moos und kleinen Sträuchern bewachsen waren.

Als sie einen schmalen Spalt gefunden hatte, stieg sie ab und führte das schwarze Pferd über das sperrige Dickicht und band es im Schutz einiger dichter Büsche an einen Baum, bevor sie in die Höhle kroch. Es war feucht und kalt in dem Felsen, doch sie legte sich auf den eisigen Stein und schloss die Augen. Obwohl sie fror entzündete sie kein Feuer, da sie Angst hatte, entdeckt zu werden und nach einiger Zeit glitt sie in einen unruhigen Schlaf.

Tjamand schlug die Augen auf und fand sich an einem Platz wider. Misstrauisch rappelte sie sich auf. Wo war sie? Dichter Nebel waberte über dem Boden und um sie herum standen kleine Häuser. Ihr Holz knarrte, obwohl kein Wind wehte und das Geräusch zerriss die Luft. Es war kalt und sie fror, als sie plötzlich erstarrte.

Eine Gestalt stand einige Schritte von ihr entfernt auf dem Weg, den Kopf hielt sie gesenkt. Ihr schwarzes Kleid wehte im Wind und die ebenso farbigen Haare verdeckten die Haut, die kalkweiß war.
Sie wusste nicht, ob sie auf die Frau zugehen sollte, als auf einmal eine Stimme erschallte.
„Und wenn die Schwarzen Seelen die Macht erlangen, wird die Sonne verdunkelt werden und nie wieder erstrahlen."
Die Worte jagten ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken und sie zitterte. Die Frau wiederholte die Worte, immer schneller, energischer und lauter.

„Und wenn die Schwarzen Seelen die Macht erlangen, wird die Sonne verdunkelt werden und nie wieder erstrahlen."

Sie schrie es heraus, als sie plötzlich zusammen brach und auf die Knie fiel. Tjamand erschrak und machte zögernd einen Schritt auf die Frau zu, als ein markerschütterndes Kreischen ertönte.
Die Häuser um sie herum fingen Feuer und brannten in knisternden Flammen, die Frau fing an hysterisch zu lachen und warf den Kopf in den Nacken. Ihre Augen drehten sich nach hinten, sodass das Weiße zu sehen war und Tjamand zuckte zurück.

„Die Hoffnung stirbt mit dem, der sie erschuf", stieß sie unter den Lachkrämpfen hervor und verstummte urplötzlich.
Das Feuer knisterte und die Gestalten kamen, ihre Gewänder rauschten. Wesen sprangen in den züngelnden Flammen herum, oder glitten im Schatten über den Boden. Sie nahmen die Straßen ein und schritten auf sie zu. Tjamand schrie, es gab kein Entkommen.
Die Frau grinste irr und streckte die Hand aus.

Ein unvorstellbarer Schmerz durchschoss sie, von ihrem Herzen ausgehend.
Sie fasste sich an die Brust und schrie auf. Ein schwarzes Gewebe breitete sich von ihrem Herz aus, wie ein dunkles Spinnennetz und kroch an ihr herauf, an ihrem Gesicht nach oben. Es war kalt und nass. Sie kreischte und versuchte das Gewebe zu entfernen und riss daran, aber sie schaffte es nicht und schließlich gab sie es auf und brach in sich zusammen.

Schwarzes Feuer / on holdWhere stories live. Discover now