1 Sonnenwelt

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Das Amulett hörte erst auf, in dem bekannten blau zu leuchten, als sie über die Schwelle der kleinen Holztür trat und somit in den warmen, luftstillen Flur des alten Hauses.

Das Gebäude war groß und von außen unauffällig, nur an der Tür waren ein Auge in einem Kreis und einige Symbole geritzt. Sie wusste nicht, was sie bedeuteten, es waren alte Runen, die vor vielen Jahren hier eingemeißelt worden waren. Die kleine Tür quietschte, als sie sie schloss. In dem breiten Raum waren viele Personen, sie sprachen miteinander oder lasen, manche suchten eine bestimmte Tür und liefen den Gang entlang, der von dem Raum wegging.

Tjamand bemerkte altbekannte Gesichter, aber trotzdem war etwas anders als sonst. Sie waren angespannt und ernst, aber sie dachte nicht weiter darüber nach. Das Wetter wurde kälter und düsterer, es fiel immer mehr Regen und überschwemmte die Straßen. Es war für alle Bewohner des Westlichen Dorfes ein Grund, ein Stück Mut und Hoffnung zu verlieren. Sie verscheuchte die Gedanken, um nicht entmutigt zu werden. Einige lächelten ihr trotzdem zu, sie erkannte Benedictus, ein junger Lehrmeister, den sie seit ihrem ersten Tag hier kannte.

            „Sei gegrüßt, Tjamand!“, begrüßte er sie freundlich und doch bemerkte sie die Müdigkeit, die kurz in seinen Augen aufflackerte.

            „Benedictus“, erwiderte sie höflich, „schön dich anzutreffen. Ich bin spät, das Amulett leuchtet schon sehr lange.“

            „Sie sollten sich etwas anderes überlegen, finde ich“, antwortete er und lächelte wieder. Verlegen erwiderte sie das Lächeln.

            „Ja, da hast du recht. Vielleicht solltest du ein Wort dafür einwerfen“, stimmte sie ihm zu, dann fügte sie schnell hinzu: „Wie gesagt, ich bin spät. Bestimmt sehen wir uns noch einmal.“

            „Ich freue mich darauf“, entgegnete er und sie errötete leicht und nickte. Sie verabschiedeten sich und Benedictus öffnete eine kleine Tür in die Vorratsräume.

Tjamand stattdessen folgte dem Flur hinter dem Raum, vorbei an einer großen Wendeltreppe, bis sie in einen weiten, weißen Saal gelangte. Hohe Säulen säumten den Weg neben dem Saal, wo außerdem zahlreiche Vitrinen mit Büchern, Amuletten oder anderen Papieren standen. Sie nahm nicht den Weg, sondern ging durch den Raum aus weißem Marmor, der nur getrübt wurde durch einen blauen Kreis mit goldener Umrahmung. Am anderen Ende des Saals waren die dunklen Flügeltüren hinaus in den Hof geöffnet und weil sie niemanden in dem weißen Saal antraf, ging sie hinaus in den Hof. Das Gras war an einigen Stellen zusammengetreten worden und wuchs nicht mehr, die bunten Pflanzen hatten ihre Blütezeit hinter sich und ihre Blätter wurden vom Wind ausgerissen und davongetragen. Tjamand schlängelte sich durch die Büsten und Statuen zu einer Gruppe junger Menschen, während die Blütenblätter durch die Luft gewirbelt wurden wie die Blätter der Bäume im Herbst.

Luna, ein Mädchen mit schneeweißer Haut und tintenschwarzen Haaren lächelte ihr zu. Dabei bog sich ihr Mund in einer dünnen Linie nach oben und ihre grünen Augen strahlten, trotz den schlechten Zeiten schien sie guter Dinge.

            „Hallo“, begrüßte sie Tjamand und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und trat zu ihr.

Thoas neben ihr, ein blonder Junge mit brauner Haut, warf ihr einen Blick zu, eine Mischung aus Gereiztheit und Nervosität. Luna beachtete ihn nicht, sondern fuhr fort: „Ich hoffe, dass wir heute wieder etwas Neues lernen. Diese ständigen Übungszauber und Alltagssprüche – sie sind unwichtig!“

Tjamand nickte nur zustimmend, obwohl sie nicht das Gleiche empfand. Im Gegensatz zu Luna fand sie es interessant, immer Neues zu lernen, sie war neugierig, Sprüche austesten zu können. Offenbar wollte Luna mehr Nützliches für Kämpfe, sie wollte Angriffszauber und Verteidigungssprüche. Aber genauso fand Tjamand es wichtig einen Schutzzauber ausüben, oder eine Flamme herbei beschwören zu können. Es war die einfache Magie, die man jedoch auch beherrschen musste. Wie konnte man zu einem Angriffsfluch übergehen, wenn man nicht wusste, wie man Dinge schweben lassen konnte?

            „Langsam wird es langweilig. Es ist es nicht mehr wert, sich hierherzuschleichen. Meine Eltern fragen mich jedesmal energischer, wo ich denn bin. Bis jetzt haben sie sich zufriedengegeben, wenn ich Brot mitbrachte, aber es wird schwerer, eine Ausrede zu finden. Und wenn es weiter so langweilig ist, werde ich nicht mehr erscheinen, das Risiko ist mir dafür zu hoch und der Erfolg, den ich hier erziele, nicht von Bedeutung“, fuhr Luna fort und wollte weiterreden, als sie unterbrochen wurde.

            „Sei still“, knurrte Thoas plötzlich. Seine Stimme klang lauernd und eine Spur von Misstrauen lag darin.

Luna wirbelte zu ihm herum, aber als sie ihn anfauchen wollte, hörte Tjamand es auch und sagte ebenfalls: „Sei still.“

            „Wie kannst du es wagen? Was ist los?“, zischte sie Tjamand an, aber die ließ sich nicht beirren, auch wenn sie Luna nur ungern verärgerte.

            „Sei leise!“, fuhr Thoas sie wütend an und Tjamand fügte freundlicher hinzu: „Hörst du es denn nicht?“

Jetzt blieb Luna still und auch die anderen, die sich noch in ihrer Nähe aufhielten, lauschten.

Nun hörte man es ganz deutlich. Schreie.

            „Was ist da los?“, fragte Luna und riss die Augen vor Schreck weit auf.

Es zischte laut.

            „Hört ihr das?“, raunte Thoas, dann riss er Tjamand hinter eine der Statuen und nur Bruchteile von Augenblicken später wurde ein Feuerball über den Hof geschleudert und ließ Funken und Flammen auf sie niederregnen. Luna schrie panisch auf und lief zu ihnen.

Tjamand atmete schnell. Was ging hier vor?

            „Schüler“, ertönte eine gehetzte Stimme, „wir müssen fliehen. Kommt!“

 Es war ein junger Lehrmeister, er winkte sie hektisch zu sich, aber Thoas lief in die andere Richtung.

 „Thoas!“, schrie Tjamand panisch und rappelte sich auf und folgte ihm, direkt auf die panischen Schreie zu, die immer mehr anschwollen.

Im weißen Saal und in den anderen Räumen und Gängen der Gilde herrschte schiere Panik und Aufregung. Die Schüler und Lehrmeister wurden beauftragt zu fliehen und der Bevölkerung zu helfen, während die älteren und erfahrenen Magier nach draußen auf die Straße schritten.

Tjamand schubste die Menschen unachtsam zur Seite und folgte Thoas, der sich schnell wie eine Schlange durch die Menge wand. Keuchend rannte sie auf die Gasse und erstarrte.

Sovirials Bewohner waren in hellem Aufruhr, die Frauen brachten ihre laut weinenden Kinder in die nahen Wälder, drängten sie fort, in Sicherheit.

Die Männer zogen Waffen, Schwerter, Pfeil und Bogen, Fackeln und Messer und gingen auf ihre Feinde los, schützten ihre Familien.

Gestalten in schwarz-roten Gewändern schritten langsam durch die Straßen und verwüsteten die Häuser. Mit Magie und Waffen griffen sie die verängstigten Bürger an. Und nicht nur solche, sondern auch groteske Wesen, sie waren schwarz und gingen gebückt, manche sprangen Menschen an und bissen ihnen in die Kehle, in die Augen. Unter diese Gestalten mischten sich Wesen mit stechend roten Augen, die die Menschen mit einem schwarzen Sekret angriffen, die aus der Hand schoss, wo sich bei ihnen die Pulsader befand.
Personen, die damit in Berührung gekommen waren, schrien auf, es war, als wäre das Sekret flüssig gewordenes Feuer.

Tjamand suchte mit ihren Augen Thoas, als sich ihr eine der Gestalten in den Gewändern zu wandte. Ihr Gesicht war verborgen von den Kapuzen und sie erkannte nur die dunklen Augen und die fahle Haut. Sie schoss einen gleißend weißen Blitz auf sie ab und ohne zu realisieren was sie tat, übte sie den Schutzzauber aus. Sie spürte, wie sie zurücktaumelte. Sie spürte, dass ihr sonst nichts geschehen war, doch ihr Gegner ließ sie nicht zu Atem kommen und schoss einen neuen, blutroten Blitz auf sie ab und sie spürte einen stechenden Schmerz. Verwirrt taumelte sie zurück und hielt sich die Hand an den Bauch. Etwas Warmes floss, ihr Blut. Ihr wurde übel und schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie spürte, wie sie die Leute zur Seite stieß, bis sie in eine leere Gasse einbog. Kisten waren dort in Flammen aufgegangen, doch sie hatte keine Zeit mehr ein anderes Versteck zu suchen, denn die Kraft verließ sie und sie verlor das Bewusstsein.

Schwarzes Feuer / on holdWhere stories live. Discover now