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Tjamand übte die Handbewegungen immer wieder und in ihr breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Wenn sie so schnell dies alles lernen mussten, würden die unbekannten Angreifer schneller zurückkommen, als sie bis jetzt angenommen hatte oder war es nur Vorsicht?

Sie musste diesen Gedanken, diesen ewigen, angstvollen Gedanken entkommen, nur für einen kurzen Moment. In ihrem Kopf wirbelten Fragen, Antworten, Bilder und Eindrücke durcheinander, vermischten sich und spiegelten sich als abstrakte Formen in ihren Träumen wider.

Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung an ihren Traum zu verscheuchen und zog sich ein neues, sauberes Gewand über. Es war blau und grün und erinnerte sie an einen tiefen See. Eine breite Kordel betonte ihre Taille, doch sie lockerte sie ein wenig, damit es nicht drückte. Ihre braunen Haare band sie neu zusammen, sie waren von den letzten Tagen verknotet und zerzaust. Schließlich verließ sie ihr Zimmer und ging leise durch die Gänge.

Auf ihrem Weg traf sie Benedictus.

„Tjamand, wie schön!", rief er und kam auf sie zu.

Sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte, denn einerseits wollte sie gerne dem allen entfliehen und einen klaren Gedanken fassen, andererseits war sie erleichtert, dass es ihrem Freund wieder gut ging. Deswegen lächelte sie.

„Wie geht es dir?", fragte sie und wusste, dass ihre waldgrünen Augen dabei besorgt aussahen. Sie gab sich nicht die Mühe, es zu verbergen.

Benedictus verzog das Gesicht. „Es gab bessere Zeiten, aber es bessert sich."

Sie beide schwiegen, bis er sich erkundigte, wohin sie den wolle.

„Ich wollte einmal spazieren, weg von dem Chaos, das hier herrscht", gestand sie und er nickte mitfühlend. „Das kann ich verstehen."

Eigentlich sollte ich Mitleid haben, er ist schwer verletzt!

„Darf ich dich begleiten?", fragte er lächelnd. Verlegen versuchte sie, seinem Blick auszuweichen, doch er suchte den ihren immer wieder.

„Ja, gerne", antwortete sie ehrlich erfreut und bedeutete ihm, vorauszugehen.

Es war noch niemand auf, alle schliefen noch und die Gassen und Straßen waren leer. Die Sonne ging gerade auf und es wurde heller und freundlicher. Die Sterne verblassten am Himmel und der Mond war eine fast durchsichtige Scheibe, die am Himmel leuchtete.

Schweigend gingen sie nebeneinander her und verließen Sovrial. Es war kalt und es ungeschützt hier, weswegen sie in den Schutz der Bäume liefen. Über ihnen rauschten die Blätter in den Bäumen und ließen die Wipfel schwanken.

Tjamand hätte gerne mit ihm gesprochen, ihm irgendetwas gesagt, doch sie wusste nicht, wie sie das Schweigen brechen sollte. Deswegen warf sie ihm immer kurze Seitenblicke zu und lächelte, wenn er zurück sah.

In diesem Moment fühlte sie sich unsagbar gut und sie war froh, dass sie nicht allein gegangen war.

„Wir sollten zurück nach Sovrial gehen, es wird bald dunkel", sagte Benedictus schließlich und sie war fast enttäuscht, doch trotzdem nickte sie zustimmend. „Ja, wir sollten uns auf den Weg machen."

Sie wusste nicht, wie weit sie gegangen waren, deswegen suchten sie sich den Weg und folgten ihm.

Der Wind ließ langsam nach, dennoch fröstelte sie.

„Was ist das?", fragte Benedictus plötzlich und Tjamand versuchte zu verstehen, was er meinte. Dann sah sie es. Vor ihnen auf dem Weg liefen zwei Gestalten humpelnd auf sie zu.

„Geh hinter mich", knurrte er und wollte sie hinter ihn schieben, aber sie wehrte sich.

„Was? Nein!", rief sie und stellte sich wieder neben ihn. Kurz funkelte sie ihn an, doch dann merkte sie, dass er sie hatte beschützen wollen und wie schön das von ihm war. In ihr breitete sich ein warmes Gefühl aus und sie musste unwillkürlich lächeln.

Dann wendete sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Gestalten zu, die auf sie zu getaumelt kamen.

Tjamand wollte reflexartig flüchten, aber Benedictus blieb stehen. Mehr noch. Er ging darauf zu. „Was tust du?", zischte sie ihm entsetzt zu und wollte ihn zurück halten, aber sein Gewand entglitt ihren Fingern und er machte noch einen Schritt.

Sie selbst trat einen kleinen zurück, dann riss sie sich zusammen und folgte ihrem Freund, der weiter auf die Gestalten zu lief. Er hatte sie beinahe erreicht.

In Tjamand kroch die Angst hoch. Nicht, dass diese Gestalten gefährlich waren und ihn angriffen. Waren ihre Feinde etwa zurück gekehrt, um sie noch einmal anzugreifen?

„Benedictus, ich weiß nicht, ob du das tun solltest", murmelte sie, jedoch lief sie jetzt, wie er, auf sie zu. Innerlich rügte sie sich, weil sie ihn beinahe im Stich gelassen hätte. Was bin ich für eine Freundin?

Er starrte entschlossen auf die Gestalten, jetzt hatten sie sie erreicht und Tjamand zuckte unmerklich zusammen.

Es waren drei Personen, drei männlich und eine weiblich. Sie hatten Verletzungen und waren blutüberströmt. Ihre Augen blickten verzweifelt und panisch. Entsetzt schnappte sie nach Luft.

„Was ist passiert?", fragte sie hysterisch und spürte, dass ihre Beine bei dem Anblick des Blutes zitterten.

„Sie...sie waren da! Chyndal liegt in - in Schutt und Asche. Sie waren da!", schrie die Frau und schluchzte auf.

„Wir sollten sie nach Sovrial bringen", entschloss Benedictus. Selbst seine sonst feste Stimme schwankte ein wenig, als er das sagte und seine Augen flackerten unruhig.

Tjamand nickte, sie war nicht in der Lage zu sprechen.

Sie stützten die Verletzten und gingen langsam in Richtung ihres Heimatortes. Tjamand spürte das Blut der Frau an ihrem Arm und ihren stolpernden Herzschlag. Sie selbst musste darauf Acht geben, dass ihre Beine nicht nachgaben. Währenddessen leuchteten über ihnen die Sterne, als wäre nichts geschehen.

Schwarzes Feuer / on holdWhere stories live. Discover now