~37~ ✔

3.8K 188 10
                                    

Ich konnte die Bilder nur schwer unterdrücken, die sich in meinem Kopf breit machten. Meine Finger strichen an der Wand entlang. Es war kaum etwas von all dem zu sehen, außer dass die Wand neu gestrichen wurde. Fiona drückte mich fest an sich und dann umschlossen mich auch all die anderen.

Ben bot an das Zimmer zu räumen, wenn ich die Nacht lieber bei Christian bleiben wollte, Fiona hatte angeboten bei Ben zu schlafen, wenn ich in meinem Bett schlafen wollte und Rick, dass er mir sofort die Schlüssel zu unserer Wohnung geben würde, wenn ich das wollte. Aber was wollte ich? Ich wollte das einfach alles wie immer war, wie vor diesem Abend. Es war jedoch offensichtlich. Nichts würde mehr so sein, wie vor diesem Abend. Die Nacht war hart. Albträume jagten mich mitten in der Nacht schweißgebadet aus dem Bett. Es war eine dumme Idee allein schlafen zu wollen. Aber ich konnte Christian nicht bitten bei mir zu bleiben. Müde warf ich mir einen Hoodie über. Auf dem Flur war es still, fast schon unheimlich. Meine Finger strichen kurz über die neu gestrichene Wand, die alles vertuschte. Während die Bilder von Christians Unfall in manchen Momenten so deutlich und klar in meinem Kopf waren, war von Matts Angriff nichts wirklich in meiner Erinnerung zu finden. Es waren verschwommene Wortfetzen und Geräusche.

»Solltest du nicht schlafen?« Ben kam gerade aus der Gemeinschaftsküche, mit einem Tee in der Hand. Seine Worte ließen mich erschrocken zusammenfahren.

»Könnte ich dich auch fragen?«

»Komm, ich mach dir auch einen.« Er deutete auf den Tee.

Während er den Wasserkocher füllte, nahm ich auf der Anrichte Platz.

»Wie geht es dir wirklich, Jenna.«

»Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich habe das Gefühl nichts von dem Abend zu wissen, als wäre ich nie dabei gewesen.« Ich blickte auf meine Hände, unsicher, wie er meine Worte auffassen würde.

»Es war ein merkwürdiger Abend.« Er zuckte die Schultern. Nie könnte ich ihm verübeln, wenn er nicht aussprechen wollte, was passiert war.

»Ich verstehe nun Christian.« Ich nippte an dem Tee, der nach Honig schmeckte. »Er konnte gar nicht begreifen, wie sich alle anderen gefühlt hatten. Und genau so geht es mir. Ich kam hier an, suchte meinen Schlüssel und dann drückte Matt mich gegen die Wand. Es ging so schnell. Alles wurde dunkel und jetzt sitze ich hier und trinke Tee.«

Ben nickte. Ich war mir sicher, Christian beschrieb seinen Unfall ähnlich. Ich erinnerte mich daran, wie er versuchte mir klarzumachen, dass er sich nicht den Helm selbst abgezogen hatte.

»Schon interessant, wie der Körper auf solche Dinge reagiert.« Er stellte die Tasse ab und sah dann auf. »Wir dachten du seist... Es war, ich habe...« Ben fehlten die Worte, für etwas, was man nicht so leicht aussprechen wollte. Mir war an den Gesichtern meiner Freunde schnell klar gewesen, dass sie damals glaubten, ich wäre nicht mehr am Leben.

»Und genau da liegt mein Problem. Jeder hat Angst, das ich wegbreche, weil ich beinahe gestorben wäre. Aber ich erinnere mich nicht.« Ich trank einen weiteren Schluck von dem Tee. Ben schien über meine Worte nachzudenken, denn er nickte nur vorsichtig.

»Es tut mir leid, euch in diese Lage gebracht zu haben.«

»Falls es dir noch keiner gesagt hat, Jenna. Es ist nicht deine Schuld. Keiner konnte ahnen, was passieren wird, auch du nicht.« Er legte seine große Hand auf meine Schulter und drückte sie sanft.

»Doch, ich koste dich wertvollen Schlaf und ich will dir Fiona nicht wegnehmen.«

Neugierig grinsend zog Ben eine Augenbraue nach oben, während ich mir entsetzt mit der Hand vor den Mund schlug.

»Wir sind nur Freunde, wie du und Chris.« Er zwinkerte mir zu, jedoch glaubte ich ihm kein Wort.

»Wir sind wirklich nur Freunde Ben.«

»Wenn du das sagst, Jen.« Er wendete sich zur Tür, seine Tasse in der Hand, ehe er mir ein vielsagendes Lächeln schenkte.

»Ja, sag ich. Danke für den Tee.« Ich rutschte von der Anrichte hinunter. Es war an der Zeit es doch noch mal mit ein wenig Schlaf zu versuchen.

»Jederzeit, Jen.« Er nahm mich fest in den Arm und drückte mich. »Du bist nicht allein.«

Die Bettdecke um meine Beine gewickelt saß ich kurz darauf in meinem Bett und lehnte gegen das Kopfteil, die Tasse Tee in meinen Händen und starrte die Wand an. Was wenn Christian mich an diesem Abend begleitet hätte? Es hätte viel schlimmer enden können. Ich griff dem kleinen orangefarbenen Döschen auf meinem Nachttisch, schüttelte kurz den Kopf und legte es wieder zur Seite.

Obwohl alle meinten, ich sollte es langsam angehen, stürzte ich mich direkt wieder in den Alltag. Mir ging es gut. Mein Dad war den letzten Tag in Boston, ehe er wieder nach Hause fahren würde. Er wollte sicher sein, dass es mir wirklich gut ging. Er war nun mal mein Dad und würde sich wohl auch immer Sorgen um mich machen.

»Was sagst du zur Galerie?«

Er konnte nie viel mit Kunst anfangen, die war mehr das Ding meiner Mutter gewesen.

»Es sind keine Graffiti. Du hast dich also weiterentwickelt.«

Neben dem Motorrad fahren, war ich auf die grandiose Idee gekommen zu sprayen. Ich konnte recht gut zeichnen, aber Graffiti gehörten nicht zu meinen Talenten. Schon gar nicht, als mich die Polizei erwischte.

»Ich interessiere mich wieder mehr für Fresken, Fotografie und Acryl.« Stolz lächelte ich meinen Vater an. Er sollte sehen, dass mir Boston guttat und ich wieder mehr zu mir selbst fand.

»Das freut mich, aber ich glaube nur zu beraten und zu verkaufen war auch nicht das, was du wolltest.«

Ich schüttelte den Kopf. Mein großer Wunsch war es immer alte Gemälde zu restaurieren und vielleicht würde ich dies auch tun, aber derzeit war ich zufrieden mit dem, was ich hatte.

»Ich habe ewig nicht mehr gezeichnet«, gestand ich. Seit ich hier war, kein einziges mal.

»Vielleicht solltest du es mal wieder versuchen.« Er griff in seine Jackentasche und zog ein kleines Päckchen Zeichenkohle heraus. »Und die könnten der Anfang sein.«

Zögerlich griff ich danach, spürte wie es mich in den Fingern juckte. Es war so lange her, dass ich zuletzt gezeichnet hatte. Viel zu lange. Ich hatte mich ziemlich verloren und fand scheinbar nur sehr langsam zurück.

»Du hast dich damals mit Matt verloren, aber hier scheinst du wieder zu dir selbst zu finden. Bewahre es dir.« Dad lehnte sich zurück und betrachtete mich mit seinen grünen Augen. Meine Augen hatte ich von meiner Mutter. Es war sicher nicht leicht für ihn, sie immer wieder in mir zu sehen. Je älter ich wurde, umso mehr sah man die Ähnlichkeit zwischen uns.

»Ich weiß nicht.«

»Glaub mir, Liebes.« Er griff nach meiner Hand und drückte sie fest. Es war ein schönes Gefühl, dass er stolz auf mich zu sein schien und mir wurde jetzt erst klar, wie sehr ich es vermisste. Wie sehr ich wollte, dass er stolz auf mich war und jetzt konnte er es auch wieder sein.

Ich würde versuchen wieder zu mir zurückzufinden, der Mensch, der ich vor all dem war, was meine Welt erschütterte und meinen Dad und mich entzweite, wenn ich ihn dafür zurückbekam.

by your sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt