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Ich lief über den Flur des Krankenhauses, den ich an so vielen Tagen zuvor schon entlanggegangen war. Es hatte nur einen Moment gegeben, in all den Tagen, an dem ich ebenso nervös war, wie jetzt. Als ich erstmals sein Zimmer betrat, nicht wissend was mich erwartete und genau dieses Gefühl war es nun auch. Wie würde er reagieren? Was würde er sagen? Wie immer klopfte ich kurz an. Wartete dieses Mal allerdings, bis er reagierte.

»Ja«, sagte er und ich öffnete die Tür.

»Hey Nachbar«, meinte ich verlegen und lugte durch den Spalt.

»Komm rein, Jen.« Er saß aufrecht im Bett und grinste mich auf die klassische unverschämte Christian Natherson Art an, wie er es einfach immer machte.

»Wie geht es dir?« Ich blieb unsicher in der Nähe der Tür stehen.

»Ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen. Sonst sieht es danach aus, als könnte ich bald wieder mein Unwesen auf der BU treiben.« Er deutete mir an, näher zu kommen. Aber ich blieb in der Nähe der Tür stehen.

»Verdammt Jenny, schwing deinen hübschen Hintern hier her und setz dich, wie all die Tage zuvor auch.« Man hörte wie sehr die Worte ihn anstrengten.

»Du solltest dich ausruhen, Chris.« Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, entschloss mich dann aber doch seiner Anweisung zu folgen und mich zu setzen.

»Als meine Mom mir von einer umwerfenden jungen Frau erzählte, die jeden Tag hier war, war ich mir nicht sicher, ob wir über die gleiche Jenna sprachen.« Er zwinkerte. »Aber als sie sagte, dass sie sich ganz klar von den anderen Mädchen, und sie nannte sie wirklich Mädchen, distanziere, war mir klar, es konnte nur um Jenna Martens handeln.«

Seine Worte beschämten mich. Ich wusste nicht, was ich darauf hätte sagen sollen. Ich hob mich also ab?

»Deine Mom liebt dich im Übrigen wirklich sehr.« Ich erinnerte mich noch gut an die letzten Worte zwischen uns. Sie taten mir wirklich sehr leid.

»Uh, Jen. Den Seitenhieb habe ich fast schon vergessen. Aber Danke, dass du mich daran erinnerst.« Er griff sich an sein Herz und lachte kurz auf. Sein Lachen war ansteckend, auch weil die Angst es nicht mehr zu hören, so groß gewesen war.

»Aber dich liebt sie im Übrigen auch.« Seine Worte waren nur ein Flüstern. Es war kein Geheimnis, dass ich nur meinen Vater hatte. Jeder wusste es, weil ich immer schon sehr offen und direkt damit umgegangen war. Aber irgendwie war es dennoch tröstlich zu hören, dass Amelia mich in ihr Herz geschlossen hatte.

»Du kannst sie gerne behalten. Sie ist schließlich deine Mom. Sie tat mir nur wahnsinnig leid, so allein hier.«

»Das ist sehr nett von dir. Wie geht es meinem Zimmergenossen und besten Freund?«

Ich war dankbar, dass er das Thema wechselte. Über seine Eltern wollte ich nicht sprechen. Seine Mom war wirklich bezaubernd, aber sein Vater. Ich wusste nicht, wie er zu ihm stand und daher war es besser, wenn ich meine Meinung über ihn für mich behielt.

»Er hat eine neue Freundin.«

»Die Arme, kann einem leidtun.« Christian lachte kurz auf.

»Danke, ich richte es ihm aus.«

Er sah einen Moment verwirrt aus und begann anschließend zu lachen, verzog jedoch kurz darauf schmerzverzerrt das Gesicht.

»Alles okay?« Ich konnte nichts gegen meinen panischen Tonfall tun. Ich hatte mich gerade noch so weit im Griff nicht verängstigt aufzustehen und nach dem Rechten zu sehen. Wenn er nur im Ansatz mitbekommen hätte, was hier teilweise los gewesen war, würde er mich nun nicht so skeptisch anzusehen. Die vielen Herzalarme. Wenn Familien weinend auf dem Flur standen, sich verabschiedet hatten. Auf der Intensivstation waren Tod und Überleben so nah beieinander, dass es einem noch viel bewusster machte, wie kurz, aber Wertvoll das Leben sein konnte.

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