Kapitel Dreißig

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Am nächsten Morgen erwache ich durch einen spitzen Schrei. Er fährt mir durch Mark und Bein. "Mutter." flüstere ich und laufe die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
Meine Mutter kniet neben dem Bett und hält eine weiße Hand. Ihr Gesicht ist erschüttert von Schmerz und Trauer. Dann wandert mein Blick weiter, hinauf bis zu seinem Gesicht.
Meine Hand fährt hoch zu meinem Mund, und ich stöhne laut auf. Es ähnelt eher einem gedämpften Schrei eines Geistes. "Schatz, was ist pass.." Henry tritt neben mich und verstummt augenblicklich.

Dann reißt er seinen Arm hoch, packt mich und führt mich aus dem Raum.
Etwas weiter im Flur bleibt er stehen und schaut mich prüfend an. "Du bist nicht allein." sagt er und umfasst meine Schultern. "Hast du das verstanden?".
Ich nicke und schaue geschockt in sein Gesicht.
"Mein Vater ist tot."

Ich kann es kaum glauben. Schluchzend lasse ich mich an der Wand hinunter gleiten und weine. Henry setzt sich stumm neben mich und nimmt meine Hand.

Am späten Nachmittag, als es alle erfahren haben, sitzen wir alle am großen Konferenztisch und blicken uns ausdruckslos an. Die Kinder sitzen neben mir und schweigen. Sie sollten hier mit Vater Zeit verbringen. Und jetzt müssen sie seiner Beerdigung beiwohnen.

Dann kommt der Verwalter meines Vaters rein, begrüßt uns kurz und setzt sich ebenfalls an den Tisch. Vor ihm liegt Vaters Testament. Etwas, was uns zeigen wird, wie es weitergehen soll. Wer soll das Reich führen?

"Erst einmal wollte ich Euch mein Beileid aussprechen. Es tut mir sehr leid."

Nachdem er sich ein paar Mal geräuspert hat, beginnt er mit einer etwas wackeligen Stimme, weiterzureden.

"Das Testament beinhaltet nur Briefe an die Königin und die Prinzessin  Ebenfalls eine Erklärung für die Briefe. Ich lese vor:

Meine liebe Familie,

Ich weiß, dass ich, wenn ihr dies lest, nicht mehr da sein werde. Aber seid nicht betrübt. Ihr bekommt was euch zusteht. In den Briefen steht alles, was ihr zu wissen braucht, um mein geliebtes Reich zu versorgen. Ich hoffe ihr denkt an mich, auch wenn ich nicht mehr da bin.

Ich liebe euch."

Mutter schluchzt und nimmt Vaters Brief entgegen. Henry nimmt meinen.

"Ich wünsche Euch noch eine ehrenvolle und bedeutsame Beisetzung."
Mit diesen Worten verabschiedet er sich.
Eine Zeit später sitzen Henry, die Kinder und ich in meinem alten Schlafgemach und reden über den Brief.

"Mutter, lies ihn." Sophie lächelt mich an und streicht meine Hand.
Ich nicke und reiße das Papier auf. In geschwungener Handschrift steht:

Meine liebe Tochter,

Mein Engel,

Mein Stolz und meine Ehre,

Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben. Von dem Moment an, als du zum ersten Mal geschrien hast, als du zum ersten Mal meine Hand mit deinen kleinen Fingern umklammert hast, habe ich dich geliebt. Du bist mein größter Schatz und ich wollte dich mit niemandem teilen. Doch es gibt viele Menschen in deinem Leben, denen du genauso wichtig bist, wie mir.

Deine Mutter, Antonio und auch Henry.

Ich bin so stolz auf die Frau, die du geworden bist. Auf deine Kinder und wie du sie liebevoll anlächelst.

Und es tut mir so leid, was ich Antonio und Melodie angetan habe. Ich hoffe du konntest mir verzeihen.

Nun zu meinem Thronfolger. Ich weiß, du gehst davon aus, dass ich keine weiteren Kinder hab. Doch hierbei liegst du falsch. Ich habe einen, einen sehr guten Thronfolger sogar. Er ist mein Sohn, dein Bruder. Ich habe ihn niemals erwähnt, da er einer unehelichen Beziehung entstanden ist. Es tut mir leid. Sein Name ist Silas und er lebt in einem Dorf, in dem wir früher oft waren. Erinnerst du dich? Finde ihn. Wenn du auch damit einverstanden bist, kann er als Regent eingesetzt werden.

In Liebe

Dein Vater

Henry murmelt etwas unverständliches und schickt die Kinder raus.

"Dein Vater war ein Mann mit großen Geheimnissen, oder?" Er steht auf und blickt wütend umher. "Wie kann er es nur wagen, dich da mit reinzuziehen?"

Ich zucke mit den Schultern und blicke den Brief an. Ich habe noch einen Bruder. Früher hielt ich es für unmöglich, aber jetzt leuchtet es mir ein. Antonio war immer mit in dem Dorf. Dort musste es einen Jungen geben, der Silas heißt. Ich werde ihn finden und hierher bringen.

"Henry, es ist okay. Keine Sorge. Wir schaffen das.".

Er beruhigt sich und umarmt mich. "Ich mach mir nur solche Sorgen um dich." gesteht er und küsst mich.



Liebe PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt