Als Samuel gegangen war, fuhr sie sich mit einem Stöhnen durchs Gesicht. Was für ein Tag...
So sehr sie sich über Samuel und seinen Ausraster gegenüber Amir auch ärgerte, änderte das nichts daran, dass sie ihren eigenen Beitrag zu diesem Katastrophentag geleistet hatte. Nicht nur, dass sie sich wie ein ahnungsloses Dummerchen auf dem Friedhof hatte überwältigen lassen, sie hatte auch noch zugelassen, dass Amir gegangen war.
Hör endlich auf, dir selbst an allem die Schuld zu geben, hatte sie zu ihm gesagt. War das zu unsensibel gewesen?
Sie wollte sich gerade zurück an den Schreibtisch setzen, um ihre restlichen Notizen zu vervollständigen, als sie die Sportjacke auf der Erde bemerkte. Amir hatte sie ausgezogen, als sie aus Helhoughton zurückgekehrt waren. Kalila hob die Jacke auf und schüttelte die restlichen Federn heraus. Mit einem Mal fiel aus einer der Seitentaschen nicht nur eine dicke schwarze Daunenfeder, sondern auch ein kleines Stück Papier. Verdutzt hob sie den Zettel auf und faltete ihn auseinander.
Du bist der Grund, warum Azrael sich Erica und fast auch Delia schnappen konnte. Mehr stand dort nicht. Doch die saubere, gerade Handschrift erkannte Kalila sofort. Samuel.
Augenblicklich flammte der Zorn in ihr erneut auf. Sie zerknüllte den Zettel und schleuderte ihn durchs Zimmer.
Das durfte doch nicht wahr sein! Wie konnte Samuel ein so helles Bürschchen sein und sich trotzdem derart kindisch verhalten? Noch immer konnte sie kaum fassen, dass er Amir diesen Zettel geschrieben hatte.
Andererseits erklärte es, warum Amir so aufgelöst war; es lag nicht nur an dem Überfall auf dem Friedhof. Unwillkürlich fragte sie sich, wie lange Samuel schon auf ihrem Dämon herumhackte, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Kalila hängte die Jacke in den Schrank und hob den zerknüllten Zettel wieder auf. Sie glättete, drehte und wendete ihn, aber es war unmöglich, einzuschätzen, wie alt er war. Es konnte sowohl Tage als auch Monate her sein, dass Samuel ihn geschrieben hatte.
Allmählich beschlich sie die Vermutung, dass Samuel aus Enttäuschung über Azraels Verrat einen Hass auf Dämonen entwickelt hatte und den nun an Amir ausließ. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie sich fühlen würde, wenn Amir ihr jahrelang falsche Loyalität vorgespielt hätte, und musste schlucken. Wie es sich anfühlte, von einem Dämon besessen zu sein, hatte sie im letzten Jahr am eigenen Körper erfahren – es gab deutlich angenehmere Freizeitbeschäftigungen, als die Kontrolle über den eigenen Körper abzugeben. Dass Samuel bestimmt innerlich vor Wut kochte, war also verständlich.
Kalila setzte sich zurück an den Schreibtisch und dachte an ihre letzte Trainingseinheit mit Amir: Er hatte Samuel sogar noch verteidigt und gemeint, dass er und Khemu keine Gefahr mehr darstellten... Dann musste der Hass also nur von Samuels Seite her zeugen. Natürlich. Amir war nicht der Typ, sich absichtlich Feinde zu machen. Er wollte Samuel und Khemu genauso sehr eine zweite Chance geben, wie sie.
Für einen kurzen Augenblick fragte sie sich trotzdem, ob James mit seinem Misstrauen gegenüber den beiden nicht doch recht hatte. Nachdenklich schob sie die Notizzettel auf dem Tisch hin und her. Wann war sie das letzte Mal derart zwiegespalten gewesen? Einerseits war da der Zettel in Amirs Jacke...Andererseits hatte Samuel sich entschuldigt und das hatte aufrichtig geklungen...
Ihre Gedanken wurden mit einem Mal unterbrochen, als es unten an der Haustür klingelte. Unwillkürlich zuckte Kalila zusammen. Wer stand um diese gottverdammte Uhrzeit vor ihrer Tür?
Sie überlegte für einen Moment, das Klingeln zu ignorieren, sich in ihr Bett zu kuscheln und endlich Schlaf zu gönnen. Doch dann würde stattdessen ihre Mutter die Tür öffnen, also stapfte sie missmutig nach unten.
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Kalila Edward - Rebellion
Paranormal~ Band 2 ~ Auf in die Hölle! Als wären die Ereignisse des vergangenen Jahres noch nicht genug gewesen, taucht eine namenlose Gestalt in Godwick Field auf. Die Absichten des mysteriösen Unbekannten werden schnell klar: die Dämonen ein für alle mal au...