3. Zweifel

77 10 2
                                    

 »Khamsa fi ainek!« Fünf in dein Auge.

Wie so viele Male zuvor stellte sie sich vor, es sei Azraels hämisch grinsendes Gesicht, auf das sie eindrosch, als sie eine Energiewelle nach der nächsten in den Wald jagte. Irgendwo in der Dunkelheit fühlte sich ein Waldbewohner in seinem Schlaf gestört und flatterte krächzend davon.

»Nicht schlecht«, meinte Amir und landete mit ein paar kräftigen Flügelschlägen neben ihr.

Seitdem ihre Mutter sowohl von der Existenz der Dämonen als auch von ihren nächtlichen Trainingseinheiten Bescheid wusste, brauchten sie sich nicht mehr heimlich aus dem Haus schleichen. Dennoch fühlte Kalila sich jedes Mal schlecht dabei, ihrem Vater weiszumachen, sie ginge ›joggen‹.

Sie schaltete ihre Taschenlampe ein und bedeutete Amir, ihr zu folgen. Auf dem Weg nach Hause hing jeder still seinen eigenen Gedanken nach, bis Kalila plötzlich wieder das Gespräch mit James einfiel. Ihr unbedachter Kommentar hatte ihn offenbar geärgert.

Sie erzählte Amir von seinen Bedenken, Samuel und Khemu könnten ihre Dämonen anlockten.

»Naja, Unrecht hat er nicht«, sagte Amir, während sie eine der verlassenen Landstraßen Godwick Fields überquerten. »Aber die beiden haben uns das vergangene Jahr über keinen Grund zum Misstrauen gegeben.«

Er hatte Recht; auch wenn Samuel einmal Azraels rechte Hand gewesen war, gab er sich doch Mühe, ihr Vertrauen zu gewinnen. Immerhin war er derjenige, der sein ganzes Wissen über Dämonen beigesteuert hatte, damit Kalila ihre Enzyklopädie füllen konnte. Und Khemu...war vielleicht immer noch eine Nervensäge, aber dafür eine zuverlässige Mitfahrgelegenheit. Innerlich nahm sie sich vor, den beiden eine Chance zu geben.

»Ich glaube, daran liegt es auch gar nicht«, sagte Amir mit einem Mal.

»Was meinst du?«

Sie waren mittlerweile Zuhause angekommen und schlichen durch das dunkle Haus, in dem Versuch, ihre schlafenden Eltern nicht zu wecken.

Amir schloss die Tür ihres Zimmers hinter sich und grinste sie an. »Ich glaube, unser Mr. Clark ist eifersüchtig.«

»Was macht Sie da so sicher, Mr. Dämon?«, fragte sie und warf sich aufs Bett.

»Wir haben ein paar Gespräche geführt – so unter Kerlen.« Amir nahm seinen Stammplatz auf der Fensterbank ein und starrte durch die Scheibe in die Finsternis. »Er hat es nicht wirklich zugegeben, aber auf mich macht er den Eindruck, Sorge zu haben, dass Caroline sich zu sehr mit Khemu anfreundet...oder so.« Er schüttelte den Kopf.

Kalila zuckte unwillkürlich zusammen. Als sie James vorgeworfen hatte, Khemu nicht im selben Studienfach haben zu wollen, hatte sie ihn nur ärgern wollen. Sie hatte nicht gedacht, dass wirklich etwas daran sein könnte. Immerhin sah ihm das gar nicht ähnlich. So weit sie sich an ihre Kindheit zurückerinnern konnte, war James immer die Stimme der Vernunft gewesen.

Darauf bedacht, das Thema zu wechseln, zog sie das rote Notizbuch unter ihrem Kopfkissen hervor und blätterte hindurch.

»Irgendwelche Ideen, wie wir weitermachen?«, fragte sie. Sie waren noch immer nicht in dem Versuch weitergekommen, vertragslose Dämonen aufzuspüren. Dass sie noch keine Ergebnisse vorzuweisen hatte, mit denen sie Erica finden konnte, frustrierte sie. Je länger sie brauchte, um das Mädchen aufzuspüren, desto länger war Ezechiel in ihrem Körper eingenistet – und was das für Folgen haben konnte, wollte sie sich nicht einmal ausmalen.

»Vielleicht sollten wir in den Gebieten suchen, in denen kaum Exorzisten in der Nähe sind«, schlug sie vor. »Umherstreifende wollen immerhin nicht von denen gefunden werden, oder? Es muss doch Orte in Norfolk geben, wo diese Leute sich nicht niedergelassen haben. Erstrecht, nach dem, was mit ihrem Boss Hartley passiert-«

Kalila Edward - RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt