1. Unter Verdacht

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Der Polizist musterte Kalila mit Argusaugen. Laut des Ausweises, den er ihr zu Beginn des Verhörs unter die Nase gehalten hatte, war sein Name Thomson. Detective Thomson hatte dunkle Haare, einen kurz gestutzten Bart und einen Blick, unter dem selbst der hartnäckigste Verbrecher klein beigegeben hätte.

»Wie war deine Beziehung zu Erica?«, fragte er sie mit einem schottischen Akzent.

Kalila rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. So unauffällig, wie möglich, warf sie einen Blick durch den Verhörraum. Die heruntergelassenen Blenden ließen nur spärlich Licht herein, sodass die dunkle Gestalt mit Flügeln, die in der Ecke stand und nur für Kalila sichtbar war, kaum auszumachen war. Kalilas Blick wanderte von Amir zu ihrer Mutter, welche neben ihr am Tisch saß, in der Hoffnung, sie würde irgendein Ass aus dem Ärmel ziehen, das sie aus dieser Situation befreien würde.

»Khemu wird im Raum nebenan vernommen«, warnte Thomson. »Und sobald Delia aus dem Krankenhaus entlassen wird, vernehmen wir auch sie. Uns fällt also auf, wenn eure Geschichten nicht übereinstimmen.«

Kalila verstand nicht, warum sie behandelt wurde, wie ein Schwerverbrecher. Sie hatte nichts mit Ericas Verschwinden zu tun – wenn überhaupt hatte sie versucht, ihr das Leben zu retten. Aber da diese Geschichte mit einer Handvoll Dämonen zu tun hatte, konnte sie ihm das natürlich nicht sagen.

»Wir hatten nicht viel miteinander zu tun«, antwortete sie und zuckte mit den Schultern, »und waren nicht wirklich Freunde.« Das war nicht einmal gelogen.

Detective Thomson zog den kleinen Pappkarton, der neben ihm auf dem Tisch gelegen hatte, heran und holte eine Plastiktüte heraus. Er hielt sie hoch; ein kleines schwarzes Handy lag darin. »Warum sind dann auf Ericas Handy mehrere Anrufe von und an deine Nummer?«

Sofort wurde ihr eiskalt. Der Polizist hatte Recht; sie hatte mehrmals mit Erica telefoniert, bevor...es passiert war.

Unsicher, wie sie reagieren sollte, gab sie zurück: »Ich sollte ihr nur von unserem Sportlehrer ausrichten, dass sie ihren Abschluss nicht schafft, wenn sie weiterhin in der Schule fehlt.«

Doch letztendlich hatte Erica ihren Abschluss nie gemacht. Kalila dachte daran zurück, wie bei ihrer Abschlussfeier die gesamte Schule eine Schweigeminute für die Vermisste abgehalten hatte. Abgesehen von den Ermittlungen der Polizei deutete nichts mehr auf Ericas Existenz hin. Es war, als hätte es sie nie gegeben.

Neben ihr schlug Kalilas Mutter die Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ein paar Anrufe sind nicht Grund genug, um meine Mandantin mit dem Verschwinden des Mädchens in Verbindung zu bringen.« Ihre Stimme war knallhart. Kalila fand es seltsam, von ihrer eigenen Mutter ›Mandantin‹ genannt zu werden.

»Wenn sie danach gehen, sollten sie jeden, der jemals etwas mit dem Mädchen zu tun hatte, verhören. Dass meine Mandantin und Erica Kent dieselbe Schule besucht haben, war kein rechtswidriger Tatbestand und wird auch nie einer sein.«

Doch Detective Thomson ließ sich von dem Tonfall ihrer Mutter nicht aus der Ruhe bringen. Er holte einen weiteren Gegenstand aus dem Karton; diesmal war es ein großer Zeichenblock.

»Der hier gehört Erica«, erklärte er, doch das brauchte er ihr nicht zu sagen. Sie erkannte den bis auf die letzte Seite mit Zeichnungen gefüllten Block, den Erica sich immer an die Brust gedrückt hatte, wenn sie sich unsicher fühlte, auch so.

Thomson schlug eine bestimmte Seite auf und drehte den Block so, dass Kalila sie sehen konnte. »Wer ist das?«, fragte er und musterte sie dabei eingehend.

Aus der Ecke des Verhörraums war ein Keuchen zu hören. Amir trat zu ihnen an den Tisch und starrte mit vor Überraschung aufgerissenen Augen auf den Zeichenblock. Kalila konnte sein Entsetzen nur teilen. Ein Blick auf die Bleistiftzeichnung reichte, um Ezechiels Gesicht wiederzuerkennen. Der Anblick der Locken, die in der Realität blond waren und die Augen, die Schlangenhaut glichen, traf Kalila wie ein Schlag ins Gesicht. Es war, als betrachte sie keine Zeichnung, sondern als stünde der Dämon direkt vor ihr.

Kalila Edward - RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt