Kapitel 10

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Der zweite Akt neigte sich langsam dem Höhepunkt zu. Ich war noch immer nicht begeistert, aber Alberts Nähe ließ mich die Langeweile des Stücks ertragen.

Ich bemerkte das Loch der Hebebühne. Verwirrt blickte ich dorthin.
Soweit ich wusste, sollte niemand auf diese Art auftauchen.

Die Hebebühne fuhr hoch und zum Vorschein kam Graf Britz Enders, der seltsame Sachen schrie und immer wieder auf einen Mann einstoch.
Blitz schrie immer wieder, der Mann solle sterben und nie wieder auferstehen.

Die Zuschauer realisierten schon bald, dass das nicht zum Akt gehörte und schrien schockiert.

Ich sprang von meinem Platz auf und schaute auf die Bühne herab. Ich wägte ab, ob ich runter springen sollte.
Albert schien meine Gedanken lesen zu können, denn er hielt mich davon ab. “Das ist zu hoch, du wirst dir was brechen.”, hatte er argumentiert. Er hatte recht.
Ich konnte Sherlocks Blick einfangen. Wir nickten uns zu. Danach sah ich rüber zu Cedric. Auch wir nickten uns ernst zu.

Ich drehte mich zu meinem Verlobten um. Ihm war klar dass ich den Kerl nicht davon kommen lassen könnte. Immerhin war ich eine Canvenari.
Albert nickte mir aufmunternd zu: “Ist schon in Ordnung, geh.”
Ich lächelte ihn dankbar an und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. “Danke.”, flüsterte ich und rannte raus auf dem Flur.

Enders schrie unterdessen, dass es in Ordnung wäre jemanden vom Pöbel zu töten, immerhin war er ja ein Aristokrat.
Es war offensichtlich, dass er sie nicht mehr alle hatte.
Enders sprang mit dem Messer von der Bühne. Er wollte weiter töten, aber Sherlock kam dazwischen. Er trat ihm das Messer weg. Kilian kam dazu und warf Enders gegen die Wand. Veronica eilte zum Messer, um es sicher zu stellen.

Cedric und ich kamen gemeinsam mit den Wachleuten unten an. “Los schnappt ihn euch!”, rief Cedric befehlerisch.
Ich zog meine Schuhe aus, die beim Rennen hinderlich waren und warf sie Kilian zu. “Bleib mit deiner Schwester hier, wir kümmern uns um Enders.”, befahl ich den beiden und rannte den anderen hinterher.

Wie gut, dass meine Schwester mir zumeist leichte flatterige Kleider eingepackt hatte. Ich konnte mich hervorragend bewegen. Ich konnte problemlos in Höchstgeschwindigkeit rennen.
Ich nahm eine Gruppe Männer und befahl ihnen mir zu folgen. Wir wollten den Kerl einkreisen.

In seiner Verzweiflung kletterte Enders den Mast hinauf. “Was soll das werden Enders?, fragte mein Bruder, um ihn abzulenken, “Sie können nicht entkommen!”
Ich besorgte mir ein Messer und kletterte auf den anderen Mast. Ich wollte das Seil kappen, mich rüberschwingen und ihn dabei packen. Doch plötzlich rutschte er ab und fiel.

Da ich ihn nicht einfach sterben lassen konnte, schnitt ich das Seil durch und stieß mich vom Mast ab.
Es war so ähnlich wie beim Turntraining, nur auf einem Schiff und ohne Matten. Umgeben vom eiskalten Meer.
Ich hatte jedoch keine Zeit, zum Zögern.

Nur knapp entwischte mir Enders. Während ich auf der Reling landete, fiel Enders ins Meer.
Ich wollte ihm hinterher springen, weil ich überzeugt war ihn noch retten zu können, aber Cedric hielt mich auf: “Lass gut sein Nel. Er ist tot sobald er aufs Wasser aufschlägt und das weißt du.”
Genervt und wütend fuhr ich mir durch die Haare. Durch die Verfolgungsjagd hatte sich die Hochsteckfrisur teilweise aufgelöst. ”Verdammt!”, fluchte ich.

Ich weiß, ich weiß, eine Lady sollte nicht fluchen, aber mit Enders fehlten uns informationen, die wir vermutlich nie herausfinden werden.

Ich drehte mich um und nahm Cedrics Hilfe an. Mit Leichtigkeit fing er mich auf und setzte mich ab.
Bei seinen einen Meter achtundachtzig und seinem fein definierten Körper war das auch kein Wunder.

Cedric legte mir sein Jackett über, da die Meeresbrise ziemlich frisch war. “Gehen wir zurück zu den anderen.”, schlug er vor.
Ich nickte zustimmend. Ich brauchte meine Schuhe.

Während ich mir meine Schuhe wieder anzog, teilte Sherlock seine Erkenntnisse mit uns.
Großmutter kam auch zu uns: “Du glaubst also, dass der Mann schon vorher umgebracht wurde, ja?”
Sherlock nickte.

Auch Cedric und ich schauten uns die Leiche an.
Cedric stand auf: “Er hat recht, die Leiche ist schon seit einer Weile tot, er wurde vermutlich gestern Abend oder Nacht getötet.”
Ich nickte zustimmend und fügte hinzu: “Alle Einstiche sind gleich, die Mordwaffe ist also definitiv das Messer.”, ich deutete auf das Messer, welches Veronica noch immer fest umklammerte.

Großmutter setzte sich hin, ihr Griff war fest um ihren Gehstock umklammert: “Kannst du sagen, welcher Stich zum Tod führte?”
Ich legte ein bissche von der Brust des Opfers frei, um mir die Einstiche besser ansehen zu können. “Er wurde durch einen einzelnen Stich direkt ins Herz getötet.”, antwortete ich und knöpfte das Hemd wieder zu.

Großmutter fasste alles zusammen: “Enders hat also den Mann gestern, vermutlich nachts, durch ein Stich ins Herz mit diesem Messer getötet.”
Wir nickten alle und sie fuhr fort: “Danach versenkte er ihn im Meer.” Erneut nickten wir. Die feuchten Sachen und der Geruch der an dem Opfer haftete beweisten es.

“Aber dann tauchte die Leiche wieder auf?”, fragte sie skeptisch.
Kilian nickte zustimmend. Er sah ganz mitgenommen aus. “Britz sagte etwas von wegen, er solle gefälligst tot bleiben und dass er nie wieder auferstehen soll.”, erzählte er mit wackeliger Stimme.
Cedric legte seine Hand auf Kilians Schulter: “Du musst dir das nicht antun. Nimm Ver und geht aufs Zimmer, wir machen das hier schon.” Er sprach mit einem beruhigenden Ton auf ihn ein.
Kilian widersprach lautstark: “Aber ich will helfen!”
Sherlock kam ebenfalls dazu. Er legte seine Hand auf Kilians blonden Kopf ab: “Du hast schon genug getan, immerhin hast du den Kerl von den Leuten ferngehalten.”
Kilian wollte etwas erwidern, aber ich kam ihm zuvor: “Außerdem muss sich jetzt einer um Ver kümmern.”, sagte ich leise, “Sie braucht jetzt ihren großen Bruder.”
Kilian stimmte geschlagen zu, aber insgeheim war er froh darüber gehen zu können.

Ich ging mit ihm zu unserer Schwester. Vorsichtig nahm ich ihr das Messer ab, an dass sie sich festklammerte, als würde ihr Leben davon abhängen.
Ich versprach den beiden, dass wir nachher gründlich darüber sprechen werden und schickte sie dann weg.
Ich verschränkte die Arme und schaute ihnen besorgt hinterher: “Manchmal vergesse ich, dass sie noch Kinder sind.”
Cedric stimmte mir zu, auch sein Blick war auf unsere Halbgeschwister gerichtet: “Ich weiß was du meinst.”

Sherlock lenkte unsere Aufmerksamkeit wieder auf den Mord: “Also, wie ist unser Freund hier vom Meer aus auf die Bühne gekommen?” Er hatte bereits eine Theorie, aber er wollte das wir mitraten sollten.
“Jemand hat ihn aus dem Meer rausgefischt und auf der Hebebühne unten platziert. Dann wartete er, bis Enders kam und fuhr sie hoch, sodass alle sehen konnten, wie Enders auf den Mann einstach.”, sagte Cedric und bekam von Sherlock ein zustimmendes Nicken.
Ich hielt mir nachdenklich das Kinn: “Doch um die Leiche erfolgreich herausfischen zu können hätte man wissen müssen, wann der Mord passieren würde. Außerdem hätte man Enders weismachen müssen, dass der Kerl hier noch lebt und ihn dann zum Ort locken müssen.”
“Mit anderen Worten:”, begann Großmutter zu sprechen, “Der Mord wurde von jemand anderen inzeniert.”, sagten wir alle gleichzeitig.
Sherlock begann zu grinsen. Er freute sich auf dieses Spiel.

Großmutter befahl uns unauffällig Nachforschungen über gestern nachzustellen. Außerdem betonte sie ausdrücklich, dass wir stillschweigen bewahren sollte.
Sie wollte, bis wir konkrete Beweise hätten, erstmal keine große Sache daraus machen.

Die Jagdhündin der Krone (Moriarty the Patriot / Yuukoku no Moriarty FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt