54. Wieder vereint

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Beim Abendessen saß ich - wer hätte etwas anderes erwartet - zwischen Gally und Newt. Während ersterer viel weniger reinhaute als normalerweise, aß ich für meine Verhältnisse recht viel. Zum ersten Mal fühlte ich mich wieder komplett, als wären die fehlenden Teile wieder alle zusammengekommen.
Und so war es auch. Während ich auf meinem Brokkoli herumkaute, ließ ich ein weiteres Mal den Blick durch den Raum schweifen. Wir hatten uns nicht weit verteilt. Neben Newt auf meiner linken Seite saß Thomas, von dessen Seite Brenda nicht mehr weichen zu wollen schien. Ich fragte mich, ob es nun endlich so weit war und er sehen würde, wie viel sie letztendlich für ihn empfand. Mir gegenüber saß Minho, auf dessen rechten Seite nun auch Francesca wieder aufgetaucht war. Gally gegenüber saß Fry Pan, der das Essen genau betrachtete, was mich schmunzeln ließ.
"Gar nicht schlecht", bemerkte er nach den ersten paar Bissen.
Jorge saß neben Francesca und berichtete gerade, wie Fry Pan ein Stück der Strecke bis hierher geflogen war, damit er sich hatte ausruhen können. Unser ehemaliger Koch wirkte sichtlich stolz und der Blick, den der Mann ihm zuwarf, sagte mir, dass auch er stolz auf ihn war.
Die andere Hälfte unserer Gruppe saß am Tisch direkt neben uns. Zuerst schwiegen sie noch, begannen dann aber nach und nach sich leise untereinander zu unterhalten. Es dauerte keine zehn Minuten und ein Gespräch über beide Tische hatte sich entwickelt. Shepherd hatte uns alleine gelassen und nur einen Soldaten dagelassen, der mit der Appartementbelegung betraut war.
Gerade als Heath davon berichtete, wie es gewesen war, als die anderen ohne uns zurückgekehrt waren, nachdem Brenda erzählt hatte, dass Francesca meinte, ihre Schulter würde wieder ganz einsatzfähig werden, räusperte sich eben dieser Soldat.
"Ich will Ihre Gespräche wirklich nicht unterbrechen, aber die Doktoren Shepherd und Avery planen morgen eine frühe Lagebesprechung zur Planung des weiteren Vorgehens und Sie und ihre Freunde sollten genügend Schlaf bekommen, Miss Anna, Mr. Thomas."
Ich sah zu ihm auf und nickte. "Ist gut. Ich glaube, wir sind alle müde."
"Wir werden noch genug Zeit haben, uns unsere Geschichten zu erzählen", sagte Minho und nickte ebenfalls. "Jetzt, wo wir keine Gefangenen mehr sind." Seine Stimme hatte einen bitteren Unterton bei diesen letzten Worten.
Der junge Soldat schien sichtlich nervös. "Nun denn... Wenn Sie mir alle bitte folgen würden."
Als wir ihm durch die Korridore zu den Appartements folgten, fühlte ich mich noch immer wie in einem Traum. Konnte dies wirklich real sein? War es möglich, dass sie wirklich alle hier waren? War dies nicht eigentlich zu viel des Guten, um wahr zu sein? Es war in jedem Fall mehr als ich mir je zu wünschen getraut hätte.
In dem Gang, in dem auch unser Zimmer lag, machten wir Halt und ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen. Der Soldat räusperte sich.
"Also gut. Dr. Shepherd hat mir folgenden Plan ausgehändigt. Zimmer 205", - er deutete auf die erste Tür auf der rechten Seite - "ist ausgelegt für vier Personen. Die Doktorin sprach von 'den vier letzten Lichtern'. Können Sie etwas damit anfangen?", fragte er verunsichert und sah von Thomas zu mir.
"Pan, Gally, Minho und Newt", entgegnete ich.
Sofort spürte ich, wie Newt meine Hand noch ein wenig fester umschloss, als wolle er sagen 'Ich will dich nicht schon wieder loslassen müssen'. Und ich wollte das auch um jeden Preis nicht. Aber ich wusste, dass wir auf Shepherds Anordnungen hören sollten, nickte ihm also zu und ließ ihn los, sodass er Fry Pan, Minho und Gally, der mich mit einem langen Blick bedachte, folgen konnte. Schließlich musste auch Francesca sich jetzt von Minho trennen und ich konnte mir vorstellen, dass es ihr genauso schwer fallen musste.
Ich konnte hören, wie Fry Pan und Gally im Inneren des Raumes lautes Prusten und anerkennende Laute von sich gaben, während Minho und Newt stumm blieben. Ich wusste, sie hatten noch immer ganz anderes im Hinterkopf, jeder hatte seine eigenen, ganz besonderen Erfahrungen mit Aufenthalten bei WICKED gemacht.
Der Soldat fuhr fort, als die Tür hinter den vier Lichtern zugefallen war und deutete auf das Zimmer gegenüber.
"Drei Personen. Die Probandinnen aus Gruppe B."
Ich hörte, wie Vince ein Schnauben von sich gab, als Harriet, Sonya und Rachel auf die Tür zutraten, die der Mann ihnen aufhielt. Die Wortwahl hatte ihm ganz offensichtlich nicht gefallen. Ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt, aber ich wusste, wie es für ihn und die anderen klang.
Jetzt war die nächste Tür auf der linken Seite dran. "Doppelzimmer. Miss Francesca und das letzte Mädchen."
Sichtlich verspannt, da sie durch ihre alte Bezeichnung an ihre Zeit bei WICKED erinnert worden war, ging Francesca an mir vorbei und streifte dabei meine Schulter mit ihrer. Brenda löste sich erstmals von Thomas' Seite und ich erkannte, dass sie und Jorge einen Blick austauschten, der soviel sagte wie, 'Vertrauen wir ihnen - für's Erste'.
Nun waren noch Aris, Heath und Nico übrig, denen der Soldat das Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite zuwies. Jorge und Vince bekamen das Zimmer neben ihnen, welches unserem direkt gegenüber lag. Sie verschwanden darin, nicht ohne dass Vince Thomas und mir noch einen durchdringenden Blick zuwarf, als wollte er uns daran erinnern, dass er dies alles nur uns zuliebe tat.
Jetzt waren wir wieder alleine. Der Soldat wünschte uns eine Gute Nacht und verschwand dann schnellen Schrittes, sichtlich glücklich darüber, seine Aufgabe erledigt zu haben. Wir standen noch einige Sekunden da, dann wandte ich mich unserem Appartement zu, als Thomas mich am Arm festhielt.
"Das meinst du doch nicht ernst, oder?", fragte er und zog eine Augenbraue hoch. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass du genauso gut weißt wie ich, wie das jetzt laufen wird."
"Was -?", begann ich, aber er schüttelte nur den Kopf und drehte sich um.
Mit wenigen Schritten war er bei der ersten Tür angekommen und klopfte. Verwirrt folgte ich ihm. Nur Sekunden, nachdem er seine Hand wieder gesenkt hatte, wurde sie bereits aufgerissen. Newt stand da und sah ihn mit großen Augen an, als habe er darauf gewartet, dass er kommt.
Und da wurde mir auch klar, was Thomas vorhatte, warum Newt so schnell geöffnet hatte und warum er jetzt so von ihm zu mir sah. Sie hatten sich nicht abgesprochen, aber beiden war klar, was unausweichlich sein musste, auf was mein Herz seit drei Monaten wartete, wonach jede Faser meines Körpers verlangte, was ich vor gar nicht allzu langer Zeit, bevor ich Proband A5 in seiner Zelle gesehen hatte, niemals mehr für möglich gehalten hätte.
"Na los, Kumpel", war alles, was Thomas sagte.
Er nickte aufmunternd und grinste dann schief, als Newt sich an ihm vorbei auf den Gang und dann zu mir schob, nur um mich ein weiteres Mal in die Arme zu schließen. Ohne ein weiteres Wort schob er sich durch die Tür und zwinkerte mir verschmitzt zu, bevor er diese schloss und somit bei Minho, Fry Pan und Gally verschwand.
Newt und ich standen einige Sekunden stumm da und sahen zu dem Punkt, an dem mein Bruder verschwunden war. Dann legte er mir eine Hand unters Kinn und hob mein Gesicht an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. In seine wunderschönen, gesunden, braunen Augen.
"Was meinst du, wollen wir Thomas' Angebot annehmen und rein gehen?", fragte er.
Ich nickte, vollkommen hypnotisiert von seinem Blick. Dann folgte ich ihm zu unserem Appartement und öffnete die Tür.
Drinnen angekommen war ich völlig überfordert. Anstatt sich in diesem von allen garantiert am luxuriösesten eingerichteten Zimmern umzuschauen, galt Newts Aufmerksamkeit ausschließlich mir. Und mir war einfach nur schwindelig und ich betete die gesamte Zeit, dass dies nicht nur eine Simulation war. Denn mittlerweile war mir klar, dass selbst wenn nicht alles plötzlich schrecklich werden würde, allein die Tatsache, dass es nicht real gewesen war, dass meine Freunde, dass Newt nicht tatsächlich hier war, mich vollkommen zerbrechen würde, irreparabel.
Ich fühlte mich nicht in der Lage dazu, einen klaren Gedanken zu fassen. Also standen wir eine Weile einfach so da, nachdem die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war. Newt hatte meine Hände in seinen und blickte zu mir herunter, während ich ihm einfach ins Gesicht starrte und jede einzelne Pore, jeden Kratzer in mich einsog.
Als ich endlich wieder sprechen konnte, fiel mir nichts ein, außer der gleichen Frage, die Minho mir damals gestellt hatte, als wir ihn und Francesca im WICKED-Tower endlich gefunden hatten.
"Ist das real?" Konnte es das überhaupt sein?
Jetzt breitete sich auf Newts Gesicht ein breites Lächeln aus.
"Ja", flüsterte er. "Ja. Das passiert wirklich."
"Du bist wirklich hier."
"Ich bin wirklich hier."
"Das ist keine Simulation. Es endet nicht einfach."
"Das ist keine Simulation. Ich gehe nicht mehr weg", entgegnete er.
"Versprochen?"
Ich wusste, wie dämlich ich klingen musste, aber ich musste es einfach hören. Von ihm.
Er nickte. "Versprochen."
Mir entfuhr ein Schluchzer. Ich schlang die Arme um ihn und drückte mein Gesicht an seine Brust. Sog seinen Geruch ein, kostete ihn aus, ließ ihn meinen ganzen Körper füllen. Mein Herz fühlte sich an, als würde es jeden Moment explodieren.
"Ich verspreche dir, dass ich dich nie wieder verlassen werde", flüsterte er, das Gesicht in meinen Haaren, zwischen zwei meiner Schluchzer.
Ich konnte spüren, dass auch er weinte.
So standen wir da, hielten uns fest, weinten. Weinten vor Freude, vor Überwältigung, aber auch über all den Schmerz und Verlust, den wir durchgemacht hatten. Wir hatten einander verloren und das nicht nur ein Mal. Aber jetzt waren wir wieder vereint. Und nichts auf dieser Welt würde uns ein drittes Mal trennen.
Das würde ich nicht zulassen.

Till The WICKED End | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt