24. Zellen in der Wand

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Die Zukunftsaussichten, die ich während der Fahrt zum Berg noch gehabt hatte, waren von der einen auf die andere Sekunde wieder völlig verändert. Mit dem Befehl, Thomas entführen zu lassen, hatte Avery besiegelt, dass eine Allianz zwischen uns nicht möglich war. Mein anfängliches Vorhaben, mich WICKED völlig hinzugeben, solange sie meine Freunde gehen ließen und ich Proband A5 retten konnte, waren über den Haufen geworfen. Ich konnte nicht zulassen, dass Thomas leiden musste.
Schon während der kurzen Fahrt zurück zu ihrem neuen Hauptquartier spann ich den Plan, zu tun, was sie von mir verlangten, bis wir das Heilmittel hatten. Dann würde es Zeit für uns sein, zu gehen und diese Arschlöcher endgültig hinter uns zu lassen. Zwar hatte ich noch keine Idee, wie wir das anstellen sollten, aber mir war klar, dass wir fliehen mussten.
Gally würde sein Wort halten, da war ich mir sicher. Er würde besser vorbereitet wiederkommen und meine Freunde würden ihn begleiten. Aber hatten sie eine Chance gegen WICKED? Dieses Mal hatten sie keinen Lawrence und keinen Jasper mit Raketenwerfer in der Hinterhand.
Der Wagen ruckelte auf der holprigen Straße zum Hangar und ich starrte die Soldaten, die uns gegenüber saßen und ihre Waffen auf uns gerichtet hatten, finster an.
Als wir das große Tor erreicht haben mussten, wurden wir langsamer und schon kurze Zeit später öffneten sich die hinteren Türen und jemand zog uns heraus. Ein weiterer maskierter Soldat packte Thomas am Kragen und zerrte ihn unsanft mit sich, während man mich offensichtlich vorsichtiger behandelte. Trotzdem bekam ich immer wieder einen Tritt in die Hacken ab, als man mich hinter meinem Bruder her in einem Gang und zu einem Fahrstuhl bugsierte.
„Bringt sie in Labor 1. Die Chefin will sie dort haben. Ihn nehme ich. Wollen wir doch mal sehen, was eine meiner Simulationen mit seinem Blut macht", sagte Avery und klang dabei ekelhaft gespannt.
„Tommy!", stieß ich gequält hervor, als der Soldat ihn förmlich mit sich schliff, weil er sich so stark gegen dessen Griff wehrte.
„Keine Sorge, ich werde ganz lieb zu ihm sein", zwinkerte Avery mir zu und mein Magen zog sich zusammen.
Nun schob mich der Soldat, der mich zu Shepherd bringen sollte, voran, zuerst in den Fahrstuhl, mit dem wir wieder in das fünfte Untergeschoss fuhren, und dann einen weiteren Gang entlang. Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte, sich zu wehren und trottete einfach neben ihm her. Kaum war Avery außer Sichtweite, war der Mann weniger grob zu mir, zumindest hatte ich das Gefühl.
Er führte mich durch weitere Gänge, bis wir eine Luftschleuse erreichten.
„Los, rein da", wies der Mann mich an und schob mich bestimmend vorwärts. „Die Chefin wartet da drinnen auf dich."
Ich trat in die Schleuse und sofort schloss die Tür sich hinter mir. Dampf kam aus Düsen an den Wänden, bevor die Tür vor mir sich öffnete. Langsam trat ich ein.
Zuerst dachte ich, der Raum sei leer, doch dann weckte eine Bewegung rechts von mir meine Aufmerksamkeit. Zwar war von Shepherd keine Spur, allerdings fiel mein Blick auf jemanden, der mein Herz sogleich schneller schlagen und gleichzeitig zerspringen ließ.
Die gesamte rechte Seite des Raumes war verglast und dahinter befanden sich gefangene Infizierte. Einige wüteten in ihren Zellen, andere wiederum wirkten eher apathisch. Und die zweite dieser Zellen war die, die mir soeben noch auf einem Bildschirm gezeigt worden war.
Es stimmte also wirklich, all dies passierte nicht völlig umsonst. Genau genommen wollte ich plötzlich nirgendwo anders sein.
Langsam trat ich an die Scheibe. Die Cranks in den angrenzenden Zellen wurden auf mich aufmerksam und sprangen gegen das Glas, kratzten daran, fletschten die Zähne. Aber ich beachtete sie gar nicht.
Da saß er, mit dem Rücken zu mir, die Arme um die Beine geschlungen, die er bis zur Brust angezogen hatte. Die rot-schwarze Jacke des WICKED-Soldaten, die er in dieser Nacht voller Flammen, Schmerz und Tränen getragen hatte, war an einigen Stellen zerrissen. Seine Haare waren völlig verfilzt und viel zu lang, sie hatten ihren Glanz verloren.
Langsam wiegte er sich vor und zurück, als befände er sich in einer Art Trance.
„Das passiert jede Nacht, seit wir ihn in diese Zelle gesperrt haben", durchbrach die Stimme der Ärztin da die Stille.
Ich drehte mich nicht zu ihr um. War sie die ganze Zeit schon im Raum gewesen oder hatte ich nur die Luftschleuse überhört?
„Was macht er da?", fragte ich.
„Er trauert."
Jetzt drehte ich mich doch um.
„Wie bitte?"
„Er trauert. Es ist, als spüre er, wenn es draußen dunkel wird. Als würde er sich dann an die Nacht erinnern, die uns alle beinahe umgebracht hat. Tagsüber verhält er sich genauso wie die anderen."
„Er trauert?", wiederholte ich noch einmal.
„Durchaus", entgegnete Shepherd. „Ich bin nicht sehr bewandert auf diesem Gebiet, aber es muss sich um wirklich starke Gefühle handeln."
Mein Blick wanderte wieder zu dem zusammengekauerten Crank in der Zelle.
„Was wollen Sie von mir?"
„Solltest du diese Antwort nicht kennen? Du wirst uns alle retten."
„Ich meine, was wollen Sie hier unten von mir. Warum zeigen und erzählen Sie mir das alles?", fragte ich und sah wieder die Ärztin an, die nun neben mir stand.
„Bevor wir die Welt retten, möchte ich gerne etwas ausprobieren. Ein kleines Experiment."
Sie trat zu einem Schaltpult herüber und drückte mehrere Knöpfe, sodass die Zellen der anderen Infizierten dunkel wurden und nur noch die Zelle vor mir erleuchtet war.
„Ganz egal, was passiert, jetzt wo wir auch deinen Bruder haben, macht es nichts, wenn dir am Ende Gliedmaßen fehlen. Ich bin viel zu neugierig, als dass ich mir diesen Versuch entgehen lassen könnte. Da bin ich Dr. Avery fast ein wenig dankbar, dass er sich meinem Befehl widersetzt hat, auch wenn ich ihm das natürlich nicht durchgehen lassen kann."
„Was haben Sie vor?", fragte ich verwirrt.
„Forschung", entgegnete sie und wieder lächelte sie dieses Lächeln, das ich bisher nur bei einem Menschen gesehen hatte - meinem größten Feind.
„Du wirst zu ihm herein gehen."
Überrascht sah ich auf, nachdem ich wieder die rot-schwarze Jacke betrachtet hatte.
„Aber vorher wollen wir ihn doch noch ein wenig auf uns aufmerksam machen."
Sie grinste noch mehr und drückte einen weiteren Knopf, woraufhin ein hoher Ton erklang, der sie Silhouetten der anderen Cranks noch wilder an den Scheiben kratzen ließ. Und auch mein ganz persönlicher Proband bewegte sich plötzlich, sprang auf, wirbelte herum und ließ ein lautes Knurren ertönen, das ich durch die Scheibe zwar nicht hören, aber an seiner Kehle sehen konnte.
Shepherd packte mich, öffnete die Tür zu der Zelle vor mir ein Stück und schubste mich herein, bevor sie sie sofort wieder schloss. Einen Augenblick standen Proband A5 und ich uns wie versteinert gegenüber, dann gab er ein gurgelndes Keuchen von sich und sprang auf mich zu. Mir blieb keine Zeit, um auszuweichen, ich wurde mit dem Rücken gegen die Scheibe gedrückt und landete unsanft auf dem Hintern.
Dann begann Newt mich zu würgen.

Till The WICKED End | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt