56. Mehr als ein bester Freund

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Am nächsten Morgen fühlte ich mich so energiegeladen und kraftvoll wie seit einer Ewigkeit nicht mehr. Neben Newt aufzuwachen und zu realisieren, dass all die Geschehnisse des gestrigen Tages keine Einbildung gewesen waren, dass er wirklich da war, ließ kleine Stromschläge durch meinen Körper fahren.
Als ich unter der Dusche stand, nachdem wir ausgiebig gekuschelt hatten, überkam mich dann ein weiteres Gefühl. Aufregung, meine Freunde gleich beim Frühstück zu treffen, zu sehen, dass sie alle wirklich hier waren, dass ich sie zurück hatte, dass Rachel bei ihnen war, so als hätte sie ihren Platz endlich eingenommen, den Ort, an den sie gehörte, an Aris' Seite, wo sie auch früher schon immer gewesen war. Es gab so viel, was wir einander zu erzählen hatten, wir alle. Mir war klar, dass wir das nicht in so kurzer Zeit, beim Frühstück, schaffen würden und dass es Wochen dauern würde, bis wir unsere Geschichten erzählt haben würden. Und diese Tatsache ließ noch mehr Adrenalin durch meine Adern pumpen. Wir waren endlich wieder vereint.
Während ich darauf wartete, dass Newt sich frisch gemacht hatte, die Haare zu einem Zopf geflochten, kam Thomas herein. Als er mich im Schneidersitz auf dem Bett sitzen sah, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und betrachtete meine Kleidungsstücke, die noch immer auf dem Boden verteilt lagen, nachdem Newt seine bereits aufgesammelt hatte.
Ich spürte, wie meine Wangen erröteten, sprang auf und begann, die Sachen aufzusammeln.
"Guten Morgen", lachte mein Bruder. "Wie es aussieht hattest du eine gute Zeit."
Er zwinkerte mir zu und ich warf einen meiner Schuhe nach ihm.
"Hey, ich sag doch nur die Wahrheit!" Er duckte sich und trat dann zu unserem Kleiderschrank, um sich frische Klamotten zu nehmen. "Die Jungs sind schon mit den anderen zum Speisesaal gegangen. Der Soldat hat sie abgeholt. Wir sollten auch gleich los, bevor Gally alles aufgegessen hat."
Ich musste lachen, was sich noch immer völlig fremd anfühlte. Dann wurde ich wieder ernst und sah ihm tief in die Augen.
"Danke, Tommy."
Seine Gesichtszüge wurden weich und er strich mir eine lockere Strähne hinter das Ohr.
Er nickte, dann nahm er mich in den Arm. "Ich hab sie doch genauso vermisst wie du."
Newt unterbrach uns, indem er die Badezimmertür öffnete, in seine eigene Hose und ein frisches Oberteil von Thomas gekleidet.
"Hey." Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er seinen besten Freund entdeckte.
"Morgen, Newty", grinste Thomas, ließ mich los und trat auf ihn zu, nur um ihn ebenfalls in eine Umarmung zu schließen.
Mein Herz fühlte sich riesig an, als ich die beiden dabei beobachtete und ich spürte einen Kloß in meinem Hals.
"Ich hab dich vermisst, Mann", stellte mein Bruder fest.
"Ja... Ja, ich dich auch."
Thomas klopfte ihm noch einmal auf den Rücken, bevor die beiden sich wieder voneinander lösten und wir uns gemeinsam auf den Weg zum Speisesaal machten. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Dejá-Vu, wie wir so durch die weißen Gänge von WICKED liefen. Das Einzige, was fehlte, war Teresa.
Wir erreichten unser Ziel und Thomas öffnete die Tür, bevor wir eintraten. Unsere Freunde waren bereits da und hatten angefangen, zu essen. Als wir uns ihnen näherten und Fry Pan, der zwischen Minho und Harriet saß, uns entdeckte, bedeutete er seinem Gegenüber - Gally - dass dieser sich umdrehen sollte. Der tat wie ihm geheißen und war sofort auf den Beinen, als er mich erblickte.
Achtlos schob er seinen Stuhl zur Seite und kam uns entgegen. Zwar hatte ich nicht unbedingt mit dieser Reaktion seinerseits gerechnet, doch wollte ich in diesem Moment nichts mehr, als mich in seine Arme zu werfen und ihn festzuhalten. Hatte ich doch noch vor zwei Tagen gedacht, er würde mich nie wieder sehen wollen.
Auch ich beschleunigte also meine Schritte, wozu ich Newts Hand losließ, die ich auf dem Weg hierher gehalten hatte, und wir erreichten einander ungefähr auf der Mitte. Gally schlang seine Arme um mich und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, auch wenn das nicht gerade einen großen Unterschied machte. Ich drückte mich an ihn und sog nun zum ersten Mal in Ruhe seinen Geruch ein, der in mir sofort ein Gefühl von zu Hause auslöste, nachdem gestern Abend keine Zeit dafür gewesen war. So standen wir eine Weile da, Thomas und Newt hinter uns, als die restlichen Lichter zusammen mit Brenda, Jorge und Francesca zu uns traten und eine Traube aus Umarmungen und schierem Glück bildeten.
So stand ich da, in der Mitte der Menschen, die ich meine Familie nennen durfte und weinte schon wieder. Gally hatte noch immer seine Arme um mich gelegt, hielt mich fest und gab mir die Sicherheit, dass dies hier echt war, dass es tatsächlich passierte.
Als wir uns nach einer gefühlten wunderschönen Ewigkeit wieder voneinander lösten und den Tischen zuwandten, überließ Newt mich weiterhin meinem besten Freund, der mir offensichtlich einen Platz zwischen sich und Brenda freigehalten hatte.
Ich aß mein Frühstück, während Thomas und ich von dem letzten Vierteljahr berichteten und lehnte mich dann wie selbstverständlich gegen Gallys Arm. Eine Stimme in meinem Kopf fragte mich, ob es das Richtige war, weiterhin so mit ihm umzugehen. Aber war dies nicht genauso, wie wir schon immer miteinander umgegangen waren, auch vor Newts vermeintlichem Tod? Sollte ich zulassen, dass sich dies nun änderte, nachdem ein Teil von mir sich vor nur etwas mehr als drei Monaten dazu entschieden hatte, zu versuchen, über diesen hinwegzukommen, nachdem er doch eigentlich gestorben war? Änderte die Tatsache, dass mir mit Thomas' Hilfe klar geworden war, dass es mehr war, was ich für Gally empfand, als ich mir bis zu diesem Zeitpunkt hatte eingestehen wollen, dass es immer schon mehr gewesen war, etwas an unserem Verhältnis zueinander?
Nein. Nein, das würde ich nicht zulassen. Gally hatte mir gestern und auch heute das Gefühl gegeben, dass es okay war, dass er damit leben würde, wie die Dinge nun standen, in dieser Welt, in der Newt am Leben war. Und ich war ihm unbeschreiblich dankbar dafür. Er war und würde immer mein ganz persönlicher sicherer Hafen sein.
Als Thomas die Kurzfassung unserer Zeit hier beendet hatte, saßen wir noch einige Minuten da und ich beobachtete, wie Brenda ihm immer wieder vielsagende Blicke zuwarf, wie er an dem anderen Tisch zwischen Vince und Aris saß und sich mit dem Anführer des Rechten Arms unterhielt. Nachdenklich musterte ich sie, die sie genauso wie Gally auf meiner anderen Seite, meine schlimmste Kritikerin gewesen war, in jeder meiner Simulationen. Ich konnte gar nicht beschreiben, wie glücklich es mich machte, zwischen genau diesen beiden zu sitzen und zu spüren, dass sie mich noch genauso liebten, wie in dem Moment, in denen ich ihnen mit meiner Entscheidung Thomas und mich genommen hatte.
Ich lehnte mich zu meiner Freundin herüber und legte meine linke Hand auf ihre Schulter und meine Stirn an ihre Schläfe, wobei ich die Augen schloss. Sie legte die eigene linke Hand auf meine und drückte sie. So verharrten wir einen Moment.
"Es tut so gut, euch alle zu sehen", flüsterte ich.
"Und es tut mindestens genauso gut, dich wieder neben mir zu haben", entgegnete sie.
"Er fühlt genauso", sagte ich da und spürte, wie Brenda zusammenzuckte, ertappt dabei, Thomas angesehen zu haben. "Die Zeit wird kommen, da wird er endlich erkennen, was du ihm bedeutest. Gib nicht auf."
Ich tätschelte ihre Schulter noch einmal und richtete mich dann wieder auf, wobei mein Blick den von Francesca traf, die neben Minho saß und nicht mehr ganz so unglücklich wirkte. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie mir in die Augen sah und ich grinste zurück.
Es stimmte - nichts konnte das Gefühl beschreiben, das ihre aller Anwesenheit mir gab. Ich fühlte mich zum ersten Mal wieder völlig komplett.

Till The WICKED End | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt