59. Endspurt

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Nach dem Frühstück war es soweit - meine Freunde würden ihre Erinnerungen zurück bekommen. Shepherd hatte uns erzählt, dass das Ganze in einer Gedächtniskammer passieren musste, denn so würde die Wirkung umgekehrt werden. Mir gefiel der Gedanke ganz und gar nicht, dass meine Freunde ein weiteres Mal durch die Qualen der Kammern gehen mussten, aber ich wusste, dass es das wert war. Sie würden sich endlich auch an all das erinnern, an das ich mich erinnert hatte. Newt und Sonya würden wieder von einander wissen, Gally würde sich nun auch selbst an die Freundschaft mit Heath erinnern, Fry Pan würde aus eigener Kraft und nicht aus meinen Erzählungen wissen, dass er einmal anders geheißen hatte, auch wenn er für uns immer Fry Pan bleiben würde, und Minho würde endlich selbst von dem wissen, was er mit Rachel und mir für die Kinder getan hatte, wie mutig er gewesen war - und dass Ben tatsächlich einst sein bester Freund gewesen war.
So groß meine Freude war, dass wir uns bald alle erinnert haben würden, dass man auch Thomas und mir alle fehlenden Puzzleteile wiedergeben würde, ich hatte auch Angst. Mir war klar, dass es Erinnerungen gab, die meine Freunde verletzen würden, dass die Erinnerung an ihre Familien sie möglicherweise innerlich zerreißen würde. Wir alle hatten im Labyrinth immer gewusst, dass es Menschen geben oder gegeben haben musste, die uns geliebt hatten, aber sie hatten niemals Gesichter gehabt. Wir hatten sie nicht richtig vermissen können. Und ich wusste aus eigener Erfahrung wie weh es tat, wenn diese Menschen dann Gesichter bekamen, wenn man Erinnerungen an seine Eltern hatte, die höchstwahrscheinlich längst tot waren.
Newt und Sonya würden das gleiche Glück haben wie Thomas und ich - sie hatten einander. Aber andere wie Gally, Fry Pan und Minho hatten dieses Glück nicht. Sie hatten nur uns. Und das musste reichen.
Es existierte nur noch eine Gedächtniskammer, die einsatzfähig war. Insgesamt waren wir zehn, deren Erinnerungen zurückgebracht beziehungsweise vervollständigt werden mussten, weshalb Shepherd entschieden hatte, dass heute fünf und morgen fünf von uns dran waren. Thomas und ich hatten freiwillig entschieden, dass wir als letztes dran sein würden, es sei denn, jemand wollte, dass wir den Anfang machten und zeigten, dass keine Gefahr von den Kammern ausging - zumindest nicht mehr als das Gefühl zu ertrinken. Da aber alle viel zu aufgeregt waren und unbedingt ihre Erinnerungen zurück wollten, würden wir die Letzten sein, die am nächsten Tag, dem erst einmal letzten hier, in die Gedächtniskammer gehen würden.
Fry Pan hatte angebracht, dass es 'Ladys first' hieß und deshalb die Mädchen den Anfang machen sollten. Rachel hatte sich freiwillig gemeldet. Bei ihr ging es schließlich auch nur um eine Vervollständigung der Erinnerungen, nachdem sie so vieles bereits wieder wusste. Eine Nebenwirkung des tiefen Komas, in dem sie und die anderen sich befunden hatten, als Thomas, Aris und ich sie in dem Raum von der Decke hatten hängen sehen. Nach ihr würde Harriet in die Kammer gehen, dann Sonya - und dann wäre eigentlich ich die letzte 'Lady'. Da ich ja aber erst am nächsten Tag dran war, hatte Shepherd ganz ohne dass ich mit ihr hatte reden müssen festgelegt, dass Newt gleich nach seiner Schwester dran sein würde, damit diese nicht stundenlang mit der Gewissheit herumlaufen musste, dass er tatsächlich ihr großer Bruder war, während er noch keine Ahnung hatte. Den Schluss für diesen ersten Tag würde Aris machen.
Während die anderen sich zur weiteren Besprechung der Pläne für die nächsten Wochen mit Coleson, dem Anführer des SWAT-Teams, im Versammlungsraum treffen würden, hatte die Ärztin vor, Thomas und mich heute noch einmal in die Simulationen zu schicken, für eine letzte Ladung Serum und währenddessen mit Francesca und Rachel zu arbeiten, um diese so gut wie möglich vorzubereiten. Da Rachel anfangs aber in der Gedächtniskammer sein würde, musste Francesca folglich mit Shepherd alleine sein. Ich konnte ihr ansehen, dass ihr diese Tatsache ganz und gar nicht gefiel, sie sich aber so gut sie konnte zusammenriss, als wir uns zusammen mit ihr und der Ärztin auf den Weg zu den Laboren machten, während Avery sich um die Wiederherstellung der Erinnerungen kümmern würde.
Stumm griff ich ihre Hand und drückte sie, woraufhin sie mich dankbar anlächelte. So erreichten wir die Simulationsmaschinen und Francesca half der Ärztin, uns vorzubereiten und in den Maschinen festzuschnallen.
"Ich weiß noch viel zu genau, wie ich das immer mit Dr. Avery machen musste", sagte sie, während sie meinen Kopf fixierte. "Es war jedes Mal so schrecklich, die Kids dabei beobachten zu müssen, wie sie litten. Bei Minho war es besonders schlimm... Er hatte die heftigsten Simulationen, hat am meisten Serum geliefert. Deshalb wollten sie ihn in der Nacht, als ihr WICKED angegriffen habt, auch als einzigen weiter testen, auch wenn ihn das hätte umbringen können."
Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
"Du hast getan was du konntest. Und du hast ihn gerettet", flüsterte ich. "Er hat es mir erzählt."
"Ich hab nicht genug getan. Aber ich wusste einfach nicht, wie. Erst, als ich euch gehört habe, als ich wusste, dass du und Thomas da wart... da war ich mutig genug."
"Hey, ich habe das, was ich in dem Brief geschrieben habe, ernst gemeint. Du unterschätzt dich selbst. Du bist so viel mutiger, als du denkst. Sieh dich an, du bist hier."
Sie zuckte mit den Schultern. "Schon möglich. Trotzdem bist du tausendmal mutiger als ich. Und ich will auch gar nicht so mutig sein wie du. Das wäre mir viel zu anstrengend, immer die Heldin sein zu müssen", entgegnete sie und musste grinsen.
"Bereit?", fragte Shepherd da.
Francesca nickte. "Sie ist soweit."
Und schon wurde wieder alles schwarz um mich herum.

Als ich die Augen wieder aufschlug und Thomas' Hand mir entglitt, erkannte ich, dass Shepherd und Francesca nebeneinander saßen und auf einen Bildschirm sahen. Die Ärztin redete und meine Freundin nickte immer wieder. Sie bemerkten, dass wir wieder bei Bewusstsein waren, als mein Bruder ein Stöhnen von sich gab.
"Daran werde ich mich nie gewöhnen", murmelte er.
Sofort waren die beiden Frauen bei uns und begannen, uns aus den Maschinen zu befreien.
"Francesca unterstützt unsere Theorie, weshalb euer Blut sich von dem der anderen Immunen unterscheidet", erzählte Shepherd, während sie Thomas jetzt auf den Boden half.
"Eure Verbindung. Sie scheint es dem Brand unmöglich zu machen, das Gehirn anzugreifen. Es ist mir zwar unerklärlich, wie sich das in eurem Blut widerspiegelt... Aber ich denke, dass Dr. Shepherd auf jeden Fall auf dem richtigen Weg ist. Wenn wir mehr Zeit hätten, hätte man Newt befragen sollen, Einzelheiten über das erfahren, was er dir in Kurzfassung über das Gefühl berichtet hat, das er hatte, als er infiziert war."
Ich sah sie mit großen Augen an. Jetzt wusste also doch noch jemand neben Minho und WICKED von der Verbindung zwischen Thomas und mir und unserer Fähigkeit, Dinge miteinander zu teilen ohne reden zu müssen.
Francesca deutete meinen Blick sofort richtig. "Mach dir keine Sorgen. Ich werd's niemandem erzählen. Ich hab sowieso schon vermutet, dass es etwas gibt, was ihr uns verschweigt. Jetzt weiß ich immerhin, was Minho mir nicht erzählen wollte."
Ich nickte. Manchmal vergaß ich, wie clever sie war. Viel cleverer als alle anderen um uns herum.
"Danke, Franci."
"Wenn wir Erfolge verzeichnen können, werden wir die geheilten Infizierten genauer untersuchen und befragen. Wir bekommen unsere Antworten noch, keine Sorge", sagte Shepherd.
Zwar sagte ich nichts, aber insgeheim brauchte ich gar keine Antworten. Es war nicht wichtig für mich, das, was Thomas' und mein Blut so besonders machte, zu verstehen. Es war einfach so. Und das war gut so.
"Rachel wird erst heute Nachmittag dazu kommen. Sie ist noch sehr schlapp von der Gedächtniskammer."
Bei diesen Worten der Ärztin wurde ich aufmerksam. "Wie spät ist es? Wer ist gerade drinnen?"
"Harriet hat es gleich überstanden. Dr. Avery bereitet gerade Sonya vor", antwortete Francesca.
Ich atmete erleichtert auf. Newt war also noch nicht dran.
"Nach dem Mittagessen machen wir mit Newt weiter", sagte Shepherd. "Mach dir keine Sorgen, Anna, er und das Mädchen werden sich erst begegnen, wenn sie beide es wissen. Während des Essens wird sie noch in der Kammer sein."
Ich nickte. "Das ist gut so. Ich glaube, Sonya hat es geahnt."
Francesca bestätigte meinen Verdacht. "Als wir mit ihm zurückgekommen sind, hat sie angefangen, ihn komisch anzugucken. Irgendwann hat sie mich gefragt, ob ich etwas darüber wüsste. Ich habe sie angelogen."
"Was hast du ihr gesagt?", fragte Thomas, der bis gerade stumm neben uns gestanden und dem Gespräch gelauscht hatte.
"Dass das vor meiner Zeit bei WICKED war."
"Dann hast du doch gar nicht gelogen", meinte Shepherd. "Du hast ihr nur nicht die ganze Wahrheit erzählt."
Francesca zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. "Wie auch immer."
Wir schwiegen eine Weile, während die Ärztin das Serum abzufüllen begann und Thomas und ich ihr dabei halfen. Francesca saß währenddessen einfach da und beobachtete uns nachdenklich.
"Dr. Shepherd?", fragte sie da plötzlich.
Die Frau sah überrascht auf, genauso wie Thomas und ich. Niemand von uns hatte erwartet, dass sie sie so direkt ansprechen würde, wenn sie nicht unbedingt musste.
"Warum haben Sie sich so verändert? Was ist in den letzten drei Monaten passiert?"

Till The WICKED End | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt