Mein zweites Seminar, englische Literatur, sorgt wieder für etwas gute Laune. Meine Dozentin, Mrs. Melville, hat nicht nur einen ausgezeichneten literarischen Geschmack, sondern ist die Freude und Herzlichkeit in Person. Ich erkenne in diesem Kurs drei weitere Studenten und Studentinnen aus meinem Poesiekurs, die sich genauso von dem Schreck der ersten Stunde zu erholen scheinen wie ich.Als Mrs. Melville uns letztendlich entlässt, mit einer langen Liste, an Büchern, die wir über das gesamte Semester lesen werden, eile ich in das Café, in dem Ronnie und ich gestern bereits waren. Ich öffne die Tür und sofort schießt mir die trockene und kühle Luft der Klimaanlage ins Gesicht. Die Hitze draußen ist kaum auszuhalten.
Ronnie sitzt direkt an der großen Fensterfront und ich stöhne auf, als ich mir die unglaubliche Hitze dort vorstelle. Doch die Realität sieht anders aus. Auch dort ist es angenehm kühl und die Aussicht ist unbeschreiblich schön. Wir blicken direkt auf den großen Campus-Teich und draußen auf der Veranda sitzen Leute herum.
»Und wie war es?« Ronnie steht auf und nimmt mich zur Begrüßung in den Arm. Ich erwidere die Umarmung halbherzig und lasse mich danach in meinen Sessel fallen. »Es war okay. Der Poesie-Kurs ist der reinste Horror, aber Literatur hat mich echt überzeugt.«
Sie lacht glockenhell auf. »Deine erste Stunde war bereits der Horror?« Ich nicke bestätigend und gebe, bevor ich ihr von dem Seminar berichte, meine Bestellung auf.
»Oh ja... Mr. Lautner ist auf dem ganzen Campus bekannt, doch die Meinungen über ihn gehen weit auseinander. Die einen lieben ihn, die anderen würden ihn am liebsten höchstpersönlich Satan übergeben.« Zwar kann ich mir nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die diesen Mann lieben können, aber ich schenke Ronnie trotzdem glauben.
»Welches ist heute dein erstes Seminar?«, frage ich und beiße herzhaft von meinem Blaubeermuffin ab. Ronnie trinkt einen riesigen Schluck von ihrem Cappuccino und leckt sich dann einmal über die vollen Lippen.
»Antike Architektur... Auf dieses Fach freue ich mich seitdem ich die Kurse für dieses Jahr gewählt habe.«
Ich grinse über den Zufall, denn in einer halben Stunde beginnt auch mein Kurs in griechischer und lateinischer Literatur.»Toni hat mich gefragt, ob wir heute vielleicht zu dritt ausgehen wollen. Ich weiß, dass du noch immer sauer bist wegen des letzten Mals, aber ich verspreche dir, dass ich von nun an wie eine große Schwester auf dich aufpassen werde.« Bei den Worten große Schwester schnürt sich meine Kehle für wenige Sekunden zu.
Ich schlürfe den Rest meines Eiskaffees aus dem Becher und starre sie ungläubig an, nur um von meinem plötzlichen Stimmungsumschwung abzulenken. »Bist du verrückt? Es ist Montag und somit mitten in der Woche.« Ronnie zieht verwundert ihre Augenbrauen hoch und schürzt ihre Lippen.
»Wir müssen ja auch nicht lange bleiben. Außerdem hast du morgen erst um 12 Uhr dein erstes Seminar.«
Ich schaue sie fragend an. »Woher-« Ronnie betrachtet plötzlich ganz interessiert ihre Nägel. »Du hast deinen Laptop nicht ausgeschaltet...« Schnaubend schaue ich aus dem Fenster und blitzschnell wieder zu ihr zurück. »Ronnie!«Sie kichert leise und hebt beschwichtigend ihre Hände, bevor sie nach ihrer Tasche greift und meine Sonnenbrille herausholt. »Bitteschön, Prinzessin.«, sagt sie mit süßlicher Stimme, als ich sie ihr überrascht abnehme.
Ich bedanke mich bei ihr und schiebe mir die Brille sofort auf den Kopf. Anscheinend brauche ich doch kein Handy, sondern reinste Gedankenkraft reicht aus.»Zurück zum Thema...« Ich stöhne auf, was Ronnie erneut zum Lachen bringt. »Du bist unmöglich.« Ich schaue sie ernst an, doch Ronnie hört nicht aufzulachen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hat sie sich endlich eingekriegt und sagt todernst: »Du bist so prüde. Erst deine Unterwäsche und jetzt dein ständiges im Zimmer hocken.«
»Wir kennen uns erst seit zwei Tagen! Vorgestern waren wir aus und nur gestern haben wir den Abend im Wohnheim verbracht.«
Ronnie spitzt spielerisch genervt die Lippen. »Und ich bin mir sicher, dass gestern keine Ausnahme, sondern eine Regelmäßigkeit war.«Ich gebe mich geschlagen und hebe übertrieben meine Hände in die Höhe. »Na gut, was genau sind Tonis Pläne?«
***
Punkt 12 Uhr sitze ich in dem Raum für lateinische und griechische Literatur. Der Schweiß läuft mir den Rücken herunter und ich verfluche schweigend das blöde Wetter. Die hohe Luftfeuchtigkeit macht das Wetter nicht unbedingt angenehmer. Mein Professor verspätet sich bereits seit einer viertel Stunde und langsam werden meine sieben Kommilitonen ungeduldig.
Nach ungefähr 21 Minuten Verspätung wird die Tür geöffnet und ein Mann, Ende fünfzig, mit einem Vollbart betritt den Raum, an seiner Seite eine Frau, die Ende zwanzig sein musste. »Discipuli, ich bitte Sie um Verzeihung. Mein Auto wurde leider eingeparkt.« Leises Gekicher geht durch den Raum.
»Ich bin Prof. Dr. Sanna und das ist meine Tochter Dr. Julia Sanna. Sie ist für dieses Semester meine Assistentin und hat genauso viel zu sagen wie ich, wenn nicht sogar mehr.« Er zwinkert uns zu, worauf wieder Gelächter ausbricht.
Direkt nach der ersten Hälfte des Seminars wusste ich, dass ich hier richtig war. Selbst wenn ich beim Hausunterricht Schwierigkeiten in Latein hatte, konnte ich dank des Wörterbuchs eine große Menge übersetzen. Wir sprachen über geschichtliche Aspekte und bekamen das bellum gallicum ausgeteilt.
Mit einem Lächeln verabschiede ich mich von dem Professor und seiner Tochter, die neben Römischer und Griechischer Zivilisation auch Archäologie studiert hat und bereits in der Türkei, Italien und Griechenland an Ausgrabungen beteiligt war. Während des Übersetzen liefen die beiden umher und als der Professor mich erreichte, verfiel er ins Schwärmen über seine Tochter.
Während ich nun Schluss habe, muss Ronnie noch zwei weitere Seminare absitzen. Angestrengt überlege ich, was ich nun noch mit meinem Nachmittag anfange. Um den Campus zu erkunden, bin ich zu erschöpft. Aber ich möchte auch nicht unbedingt alleine auf meinem Zimmer hocken.
Also lasse ich mich auf einer Grünfläche, auf der breites viele andere Leute zu Mittag essen oder einfach nur das Wetter genießen, nieder und lege meinen Kopf auf meinem Rucksack ab. Mein Gesicht wende ich in Richtung Sonne und schließe meine Augen.
Nur wenige Minuten nachdem ich eingedöst bin, schreit ein Mädchen in der Nähe von mir auf. Erschrocken fahre ich hoch und sehe mich suchend nach ihr um.
Natürlich, da ein verdorbener Morgen ja nicht reicht, muss er mir auch noch meinen Nachmittag versauen?
Ungefähr einhundert Meter von mir entfernt vernascht der grünäugige Schönling eine sehr aufgetakelte Brünette, die aus ihrem Spaß offensichtlich kein Geheimnis machen möchte. Als er sich über sie beugt, sie auf das Gras drückt und seinen Mund auf ihren knall pinken Lippen platziert, hätte ich am liebsten gekotzt.
Stöhnend wende ich mich von ihnen ab und lege mich wieder zurück, jedoch stecke ich mir diesmal Kopfhörer in die Ohren, ohne sie jedoch irgendwo anzuschließen, und versuche das Geschrei und Gelächter auszublenden.
Ich drücke mir meine Fingernägel in meine Handflächen, um mich zu beruhigen und mich von ihrer Lautstärke nicht stören zu lassen und trotzdem springe ich nach einem lauten Quieken auf, packe meinen Rucksack und stapfe schnurstracks an den beiden vorbei.
»Nehmt euch ein verdammtes Zimmer. Das ist echt ekelhaft.«, motze ich und steuere den Weg zu meinem Wohnheim an. Kurz treffen seine strahlend grünen Augen auf mich, doch ich wende meinen Blick schnell ab und schenke ihm keine Beachtung mehr.
Selbst als dieses Miststück mir »Du Schlampe« hinterherruft, drehe ich mich nicht noch einmal um, sondern verschwinde um die Ecke eines Sandsteingebäudes.
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Felicity
RomanceNachdem Alaskas Zwillingsbruder, Atlas, vor zwei Jahren bei einem tragischen Attentat ums Leben kam, dachte sie, sie könnte nie wieder glücklich werden. Sie vermisste ihn - Sie vermisste sein raues Lachen, seine schlechten Witze, seine festen Umarm...