Kapitel 1:

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Stöhnend grabe ich mein Gesicht in mein Kissen, als das Piepen meines Weckers mich aus dem Schlaf reißt. Die Sonne scheint bereits zwischen meine Jalousie hindurch und kitzelt zart mein Gesicht. Aus der unteren Etage sind Schritte und Poltern zu hören, was bedeutet, dass meine Eltern bereits das Auto mit meinen Kartons beladen.

Herzhaft gähnend strecke ich mich und setze mich auf. Bis auf einige Bücher in meinem Bücherregal und einige Fotos, die an der Wand hängen, ist mein Zimmer leer. Langsam schleppe ich mich zu meiner Zimmertür und laufe hinunter in den Flur. Mein Vater stapelt tatsächlich Kartons in den Kofferraum unseres Jeeps und bemerkt gar nicht, dass ich am Türrahmen lehne und ihn beobachte.

Währenddessen kommt meine Mom von hinten angeschlichen und umarmt mich. »Heute ist dein großer Tag.«, verkündet sie in einem merkwürdigen Singsang, der auch meinen Vater aufschauen lässt. Ich lächle gezwungen und erwidere ihre Umarmung.

Glücklich eine Melodie zwitschernd zieht sie mich hinter sich her in die Küche. Auf dem Tisch liegen zwei belegte Bagel bereit und gerade als ich mich setzen möchte, stellt meine Mutter einen frisch aufgebrühten schwarzen Kaffee vor mich. Dankbar drücke ich ihre Hand und beiße genussvoll in mein Essen.

»Dein Vater war bereits tanken, sodass wir auf direktem Weg zur Uni fahren können.« Ich nicke kauend und wische mir etwas Frischkäse von meinem Mundwinkel.

Seit Tagen laufen meine Eltern aufgescheucht umher und verstauen meine Sachen in Kartons und Boxen. Man könnte beinahe sagen, sie wären nervöser als ich. Als ich einen Schluck von meinem Kaffee nehme, verbrenne ich mir die Oberlippe und fluche laut auf. Meine Mutter mustert mich mit hochgezogener Augenbraue während sie Sandwiches für die Fahrt schmiert.

»Entschuldige«, murmle ich und wische mit etwas Krepppapier den verschütteten Kaffee auf. Sie schüttelt schmunzelnd den Kopf und wendet sich danach wieder den Sandwiches zu.

Schweigend esse ich weiter und beobachte durch das Fenster meinen Vater. Einige blonde Locken kleben ihm an der schweißnassen Stirn. Das orange Sonnenlicht lässt seine Haare golden schimmern und auch seine leicht gebräunte Haut glänzt in den warmen Strahlen.

Nicht immer, aber häufig, wenn ich meinen Vater ansehe, wenn ich die schlanke hochgewachsene Figur, die blonden Locken, sein Lächeln sehe, durchzieht ein schmerzhafter Stich meine Brust. Und ich bin mir sicher, dass es meiner Mutter ähnlich ergeht.

Möglichst unauffällig schiele ich zu ihr hinüber. In den letzten beiden Jahren ist sie doppelt so schnell gealtert. In ihre Stirn graben sich tiefe Sorgenfalten und ihre Wangen sind tief eingefallen. Trotzdem ist sie wunderschön. Ihre hellbraunen Haare trägt sie in einen lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre großen dunkelbraunen Augen erinnern an die eines unschuldigen Rehs.

Das strahlende Lächeln in ihrem Gesicht, das heute auf ihren Lippen liegt, ist selten, liebend gerne würde ich es öfter sehen. Als sie meinen Blick bemerkt, schaut sie mich fragend an. »Du siehst hübsch aus.«, merke ich an, worauf sie entzückt aufseufzt und noch breiter lächelt.

Als ich noch kleiner war, arbeiteten meine Eltern sehr viel. Oft passte eine Nanny auf meinen Bruder und mich auf und als wir älter wurden, verbrachten wir die meiste Zeit allein Zuhause. Vor zwei Jahren hörte meine Mutter auf zu arbeiten, um mehr Zeit mit mir verbringen zu können, doch bereits nach wenigen Tagen engte sie mich ein und ich hatte das Gefühl noch weniger Atmen zu können als allgemein schon.

Auch wenn ich weiß, dass sie sich nur um mich sorgt, dass sie mich nicht auch noch verlieren möchte und kann, bin ich froh über die Auszeit. Über den Abstand von all dem verkorksten Scheiß hier. Ich möchte wieder atmen können.

FelicityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt