Kapitel 12 - Regel Nummero eins: trinke nie den Tee einer fremden Person

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Inzwischen liefen sie seit vier Tagen durch die Gegend. Hin und wieder hatte Ethan wirklich die Lust verloren, durch die Gegend zu laufen. Er wünschte sich ein Flugzeug oder irgendetwas in der Art. In mehreren Dörfern hatten er und Levin schon unangenehme Begegnungen mit den Wachen gehabt, aber bisher waren sie immer davongekommen, auch wenn es einmal bedeutet hatte, dass sie in einen Fluss springen mussten. Inzwischen hatte er von Levin auch ein paar Schuhe bekommen, was vermutlich das beste war, was bisher passiert war in dieser wahnsinnigen Welt. Und gerade jetzt befanden sie sich, wie alle in der Gruppe ihm versicherten, kurz vor der Stadt, die sich dem Haus von dem verrückten Zauberer am nächsten befinden würde und in der er am liebsten seine Partys schmiss. Und um genau zu sein lagen sie gerade zu fünft in ein Gebüsch gedrängt genau am Rande eines Hügels und starrten auf die Stadt hinab.
„Warum genau liegen wir noch einmal in einem Gebüsch? Niemand würde uns jemals hier sehen... oder uns hier erwarten", beschwerte Ethan sich leise, während er versuchte, einen Stein unter seinem Bauch herauszubekommen, ohne auszusehen wie eine verzweifelte Robbe, die sich hin und her rollte.
„Wenn du dich weiterbewegst und den Busch dabei wackelst werden sie uns auf jeden Fall noch finden", beschwerte sich Saka über Levin hinweg, der zwischen ihnen lag.
„Ich könnte den Busch ruhig halten, wenn ihr möchtet... Oder noch größer machen", schlug Tongrim vor, der auf der anderen Seite neben Saka lag.
„Und ich könnte euch alle dazu zwingen, die Klappe zu halten! Ich muss denken!", zischte Levin genervt und sofort schwiegen alle, da es wirklich so aussah, als würde er nun denken. Und das wussten alle, da alle ihn nun anstarrten, während er nachdachte.
Nach einer ganzen Weile fragte Lynjara leise: „Und, was ist jetzt der Plan?" Sie war vermutlich die einzige, die während der ganzen Reise mit jedem immer hatte sprechen dürfen und alle beruhigt hatte. Ohne sie wären sie vermutlich komplett auseinandergebrochen oder hätten die Reise abgebrochen. Oder hätten einander ermordet. Vermutlich eher Letzteres.
„Ihr schlagt ein Lager auf und ich gehe derweil mit Ethan nach unten und wir hören uns nach einer Abendveranstaltung um", antwortete er schließlich, bevor Saka sich abrupt aufsetzte.
„Warum nimmst du ihn ausgerechnet mit und nicht einen von uns?" Sein Blick war so verstört, wie Ethan ihn noch nie gesehen hatte und Levin setzte sich nun auf.
„Wenn wir wiederkommen, werde ich einmal mit dir reden müssen", sagte Levin ernst, stand auf und bedeutete Ethan, ihm zu folgen. Saka blieb stocksteif liegen und Ethan stand langsam auf und lief dem anderen schnell hinterher.
„Warum genau möchtest du noch einmal, dass ich mitkomme? Ich weiß, dass ich mich geschmeichelt fühlen sollte, aber das ist schwierig, wenn man am Hinterkopf die bösen Blicke fühlt", fragte Ethan, während er sich ein Blatt aus einem seiner Katzenohren fischte.
„Weil ich es so möchte. Du bist die einzige Gesellschaft, in der ich mich wie ein normaler Mensch des 21. Jahrhunderts ausdrücken kann und nicht ständig überlegen muss, wie ich sprechen soll", antwortete Levin grinsend und wenn er so lächelte, wirkte er wirklich nicht wie ein komischer Ninusi der mit einer Kette Zaubern kann, sondern viel mehr wie ein normaler Mensch, der sich über eine gute Note in einem Test freut. Ethan konnte sich einfach nicht entscheiden, in welche Welt der andere wirklich gehörte. Vielleicht gehörte er wirklich einfach in beide. Und beinahe fühlte er sich wirklich geehrt, dass er den Anderen begleiten durfte. Aber auch wirklich nur kurz. 
Ethan runzelte leicht die Stirn. „Wir gehen aber nicht einfach nur darunter und unterhalten uns beide fröhlich ein bisschen, oder? Ich meine... Wir haben schon noch ein wirkliches Ziel dort unten und das ist glaube ich auch nicht unwichtig", bemerkte er dann vorsichtig, während sie den Hügel hinuntergingen und beide die schwarzen Kapuzen ihrer Mäntel hochschlugen. Ethan hatte während der Reise irgendwann auch einen von Lynjara bekommen, nachdem es ihr zu viel geworden war, dass sie ständig von jedem sofort verfolgt wurden und sie und Tongrim immer mit Saka bei der Flucht zurückgelassen wurden. Außerdem meinte sie, sie hätte immer zu viel Zeit gehabt.
„Nein, wir beide werden uns nicht nur miteinander unterhalten, wir werden uns auch mit anderen unterhalten. Irgendwer muss wissen, dass eine Party stattfindet. Sonst würde die Party ja nicht stattfinden", erklärte er lächelnd, während sie nun die ersten Häuser erreichten.
„Und wem genau wird ein verrückter Zauberer wohl zuerst bescheid sagen?", fragte Ethan dann wieder leise, während sie durch die Straßen liefen und er Levin einen fragenden Blick zuwarf.
„Seinen Freunden? Was weiß ich denn. Ist ja nicht so als wäre ich ein verrückter Zauberer." Levin sah zur Seite und verdrehte die Augen, als er Ethans Blick bemerkte.
„Erstens: du bist durchaus verrückt. Das kann ich bestätigen. Du bist immerhin aus einem Fenster gesprungen, ohne wirklich darüber nachzudenken. Und Zaubern kannst du schon irgendwie. Mit deiner Kette zwar, aber... ich habe bisher nur Lynjara, Tongrim und dich getroffen, die wirklich zaubern können. Und Tongrim kann nur Pflanzen wachsen lassen, Lynjara ein paar Sachen fliegen lassen und du konntest immerhin schon Portale mit dem Ding öffnen und riesige rote Pfeile in der Luft erschaffen, nachdem du einen Dämon ausgetrieben hast. Ich würde sagen, da bist du schon noch derjenige, der einem Zauberer am nächsten kommt."
„Ist schon gut, sag das nicht zu laut. Sonst hören uns alle und halten uns für verrückt", murmelte Levin leise, während er nun von der fröhlichen, belebten Straße in eine kleine Seitengasse abbog. Still folgte Ethan ihm einige Zeit, bis sie sich eindeutig in einem der unschönsten Viertel der Stadt befanden.
„Bist du sicher, dass ein partywütiger und extravaganter Zauberer seine Freunde hier aussucht? Hier, wo ganz offenbar nur die ärmsten der Armen wohnen?", fragte er dann irgendwann, während er sich umsah. Hier befand sich niemand auf der Straße. Zumindest niemand, den sie sehen konnten was schwierig war, da es in dieser engen Gasse wirklich dunkel war.
Levin blieb nun stehen und sagte leise: „Das glaubst du nur, weil du das Konzept in dieser Welt noch nicht verstanden hast. In dieser Welt, wo alles, was außergewöhnlich und anders ist aussortiert ist, sind vor allem Magier dazu gezwungen, sich bedeckt zu halten. Und wo geht das denn besser als in einem Viertel, in das sich die Wachen nicht einmal verirren, wenn hier jemand ermordet wird?" Während er sprach, schlug er seine Kapuze wieder zurück und ließ seine Kette leicht leuchten, sodass man ihn in der schlecht beleuchteten Gasse weit und breit erkennen konnte.
„Und dein Plan ist es jetzt, hier zu stehen und zu leuchten?", fragte der Schwarzhaarige weiter nach. Jetzt, wo er nicht mehr in der Gruppe unterwegs war, konnte er so viele Fragen stellen wie er wollte, ohne sich allzu blöd vorzukommen. Inzwischen hatte er es aufgegeben, vor Levin clever aussehen zu wollen. Es würde eh nicht mehr funktionieren, nach allem was passiert war.
„Wir warten. Und wen ich richtig liege auch nicht allzu lange, also mach dir keine Sorgen", lautete die Antwort nur. Lächelnd sah er in die eine Richtung der Gasse und Ethan folgte ihrem Blick, als hinter ihnen plötzlich eine Stimme ertönte.
„Na wen haben wir denn da? Levin... Du bist berühmt. Der im Moment vom Palast aus meist gesuchte im Land. Und du stehst hier mitten auf der Straße. Möchtest du etwa gefangen werden?"
Ethan wollte sich sofort umdrehen, doch Levins Hand, die seinen Arm umfasste, hinderte ihn daran.
„Nein, ich möchte nicht gefangen werden. Und wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, wirst du mich auch keinem Wächter übergeben. Denn dann würdest du dort ebenfalls landen. Und ich leuchte hier auch nicht ohne Grund so mitten auf der Straße. Ich wollte eine Frage stellen und ich bin mir sicher, dass du mir die Frage beantworten kannst." Levin hatte sich immer noch nicht einmal umgedreht, tat es jetzt aber.
Ethan sah das als eine stumme Bestätigung, dass auch er sich umdrehen durfte und folgte seinem Beispiel, bevor er den Fremden musterte. Ihr Gegenüber hatte unnatürlich wirkende weiße Augen, mit denen er sie mit gehobener Augenbraue musterte.
„Ich würde vorschlagen dass du mit deinem Begleiter mit reinkommst. Ich habe keinen Bedarf daran, heute noch von den Wachen erwischt zu werden", sagte der Fremde und bedeutete ihnen, ihm in eines der heruntergekommenen alten Häuser zu folgen. Ethan war wirklich nicht sonderlich scharf darauf, einem Fremden in dieser Gegend in ein Haus zu folgen, aber Levin flüsterte nun: „Komm mit, das hier wird lustig..."
Seufzend folgte er den beiden zu dem Haus, auch wenn er sich sicher war, dass Levins Definition von 'lustig' anders war, als die der meisten normalen Personen. Kurz bevor sie das Haus betraten blieb er irritiert stehen, als Levin seine Hand nahm.
„Was wird das?", fragte Ethan empört und Levin lächelte nur.
„Wirst du gleich wissen. Entspann dich. Und bitte, hab das immer im Hinterkopf: Otorokkus lieben es, Wahnvorstellungen zu erzeugen. Nicht alles ist immer echt."
Ihr neuer Bekannter schnipste mit den Fingern und die Tür schwang auf. Von innen sah es erst einmal so aus, wie er sich eines dieser Häuser immer so vorstellte. Als sie das Haus aber betraten, hatte Ethan plötzlich das Gefühl, dass sich alles um sie herumdrehte. Auf einmal wurde es immer heller und sie befanden sich in einer Eingangshalle, die so groß war, dass sie niemals in dieses Haus gepasst hätte. Die Eingangshalle war hell erleuchtet und so, wie man sie sich in einem Schloss vorstellte. Ethan wäre beinahe umgekippt, doch Levin hielt ihn auf den Beinen.
„Dein Freund scheint das erste Mal in dem Haus eines Otorokkus zu sein", bemerkte ihr Begleiter, der nun die Treppe nach oben hochlief.
„Oh, das ist er. Er ist noch ganz neu hier", stimmte Levin ihm zu, während er sanft die Kapuze von Ethans Kopf zog, bevor er diesen mit sich die Treppe nach oben und hinter dem Fremden herzog.
„Ist es mir erlaubt, dein Name zu erfahren?", fragte Levin auf dem Weg nach oben, während der Tokosu weiterhin damit beschäftigt war, sich die Eingangshalle anzusehen und zu verstehen, wie das überhaupt funktionieren konnte.
„Ich würde es bevorzugen, wenn ihr meinen Namen nicht wisst. Wie man so schön sagt: nie den meistgesuchten Personen im Land deinen Namen verraten", sagte der Otorokku, der sie inzwischen in einen großen Saal geführt hatte, indem auf magische Weise einige Teetassen samt Kanne auf dem Tisch erschienen. „Kein Name, aber Tee. Und nun möchte ich eure Frage hören." Dann setzte er sich auf einen reich verzierten Sessel und nahm sich eine Tasse mit dem frisch dampfenden Tee. Levin drückte Ethan in einen Sessel und ihm eine Tasse Tee in die Hand, bevor er sich selbst setzte und eine Tasse nahm.
„Unsere Frage gliedert sich in mehrere kleine Fragen. Kennst du einen Otorokku namens Malek?"
Ethan hielt die Tasse in den Händen, starrte aber nur still auf die anderen beiden, während er sich fragte, warum Levin so verflucht ruhig bleiben konnte, während er mit einem vollkommen fremden Zauberer sprach.
„Um den geht es also? Das ist interessant. Wenn er mit involviert ist, ist es immer interessant", sagte der Otorokku und lächelte.
„Ich nehme mal an, das ist ein ja", sagte Levin zufrieden, während er ein wenig des Tees trank. „Dann muss ich ja nicht lange drumherum reden: wann findet sein nächster Ball statt?"
Kurz herrschte Schweigen, während Ethan einfach nur vor sich hinstarrte. Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck stellte der Fremde die Teetasse auf den Tisch und lehnte sich zurück.
„Morgen. Morgen Abend", antwortete er danach brav und lächelte weiter. Levin trank weiter Tee und Ethan stellte seine Teetasse nun auf den Tisch, bevor er sich das erste Mal selbst zu Wort meldete.
„Warum gibst du uns diese Informationen einfach so?"
Levin blinzelte nun ein paar Mal und der Fremde lächelte noch mehr, wodurch man seine äußerst spitzen Zähne sehen konnte.
„Weil ich es lustig finde. Und weiß, dass dein Freund die Information sowieso kaum mehr zusammen bekommen wird", antwortete er und Levin ließ die Tasse überrascht fallen.
„Wieso genau?", fragte Ethan, der nun langsam aufstand.
„Weil ich gleich wie ein betrunkener reagiere. Wir sollten glaube ich gehen. Ich denke, deine Gastfreundschaft wurde wohl ein wenig überstrapaziert", sagte Levin, während er aufstand und ein wenig schwankend Richtung Tür lief.
Der Fremde richtete sich nun ebenfalls auf und die Tür fiel krachend zu.
„Oh, ich bin auch weiterhin noch wahnsinnig gastfreundlich. Warum bleibt ihr denn nicht noch ein wenig länger und unterhaltet mich?"
Ethan war inzwischen zu Levin gerannt und stützte diesen ein wenig, da er inzwischen deutlich mehr schwankte.
„Noch irgendwelche Nebeneffekte außer dem Getorkel?", fragte Ethan den anderen leise.
„Manchmal... Aphrodisierende Nebenwirkungen. Aber sieh es positiv... du hast nichts getrunken", sagte er leicht lallend und klammerte sich mehr an Ethan, der die Augen verdrehte, während er sich die Frage verkniff, wer nun derjenige war, der sich mit dieser magischen Welt auskannte. 
„Du willst uns also nicht gehen lassen?", fragte der Tokosu den Weißäugigen, der nur den Kopf schüttelte.
„Warum sollte ich das machen? Dein Freund wird gleich wahnsinnig gute Laune bekommen und lustige Dinge machen. Solange müsst ihr noch bleiben."
Der Tokosu biss sich auf die Lippe und rüttelte an der Tür, allerdings ließ sie sich wirklich nicht öffnen.
„Keine Chance, kleines Kätzchen. Du kommst hier nicht raus."
„Und du gehst mir wahnsinnig auf die Nerven", rief Ethan, während er Levin auf einmal hochhob und Richtung Fenster rannte.
„Oh, du willst springen? Dann schau mal nach unten." Der belustigte Ton des anderen ging ihm zusehends auf die Nerven. Trotzdem sah er aus dem Fenster und glaubte, den Verstand zu verlieren. Die Straße war von ihrer Höhe hier oben kaum mehr zu erkennen. Sie schienen sich mitten in den Wolken zu befinden.
Levin begann nun zu kichern und lächelte Ethan an. „Was machen wir hier?", fragte er in einer beinahe schon kindlichen Stimme und der Schwarzhaarige widerstand mühevoll den Drang, dem anderen eine zu scheuern. Im Hinterkopf hörte er immer noch Levin, wie er ihm einredete, dass nicht alles was Otorokku einem zeigten echt war.
Mit einem ernsten Gesichtsausdruck öffnete er das Fenster und sah noch einmal zu dem Weißäugigen, der nur eine Augenbraue hob.
„Das da kann niemals echt sein", sagte er, bevor er aus dem Fenster sprang. Levin in seinen Armen rief irgendetwas davon, wie sehr er Achterbahnen liebte. Kurz erschien ihm ihr Fall viel zu lang und er dachte kurz daran, dass das hier auf eine verschrobene Weise doch echt war. Dann aber spürte er dieses unangenehme Gefühl, als alles um ihn herum sich verschob und sie landeten nicht gerade sanft auf dem Boden.
„Au... Der Boden ist nicht gerade nett", beschwerte Levin sich, der ein paar Schritte von ihm entfernt auf dem Boden gelandet war.
„Und du auch nicht, Nervensäge." Der Tokosu setzte sich wieder die Kapuze auf, warf noch einen letzten Blick auf das Haus, das nun wieder wie eine Bruchbude aussah und hob dann Levin schnell hoch. Nachdem er auch ihm die Kapuze aufgesetzt hatte, rannte er los.

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