Kapitel 13 - Eine kleine Geschichtsstunde vor dem Abendball

9 1 0
                                    


„Wie lange kann es denn dauern, ein paar Informationen zusammen zu tragen?", fragte Saka genervt. Tongrim hatte sich auf den Weg gemacht, um sich die Gegend anzusehen und Lynjara und Saka saßen nun ruhig neben dem Busch, indem sie sich zuvor versteckt hatten.
„Sie werden wohl kaum in einer dunklen Gasse stehen und unanständige Dinge treiben. Keine Sorge", antwortete sie lächelnd und er wurde ein wenig rot, versuchte das aber mit einem Augenverdrehen zu verstecken.
„Daran habe ich auch nicht gedacht", murmelte er leise, als sie plötzlich ein Knacken hörten und durch das Gebüsch Ethan kam.
„Schon wieder zurück?", fragte Lynjara belustigt, während Saka sofort aufsprang.
„Wo ist Levin?", fragte er und Ethan sah hinter sich, verdrehte die Augen und verschwand kurz, bevor er den schwankenden und dämlich grinsenden Levin hinter sich herzog.
„Er steht ein wenig neben sich", sagte er dabei, wobei Levin sich wieder von ihm losriss und nun auf Lynjara zulief.
„Lynnie! Ich habe dich schon immer geliebt. Du bist einfach unglaublich", rief er fröhlich, während er sich nun an sie hing und sie blinzelte irritiert.
Saka lief ohne den beiden einen Blick zuzuwerfen an ihnen vorbei und packte Ethan am Kragen, was dieser ziemlich beeindruckend fand, dafür, dass er selbst bestimmt einen Kopf größer war, als der andere. „Was ist mit ihm passiert?", zischte der Weißhaarige.
„Wir haben einen Otorokku gefunden und er hat uns die Antworten gegeben. Aber in seinem Tee war irgendetwas und Levin hat es getrunken. Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber ich habe ihn hierhergeschleppt und das wars. Mehr weiß ich nicht. Und jetzt nimm deine Finger von mir."
„Was ist denn hier los?", fragte Tongrim, der nun wiedergekommen war. Er hatte die Äste, die er gerade gesammelt hatte, wieder fallen lassen, als er überrascht die Szenerie vor ihm betrachtete. Saka und Ethan, die gleich aussahen, als würden sie sich zerfleischen wollen und Levin, der immer noch von Lynjara schwärmte.
„Tongrim! Wie schön, dass du da bist! Ich habe dich schon vermisst", rief Levin sofort begeistert und löste sich nun von der völlig verwirrten Lynjara, um zu ihrem neuangekommenen Freund zu rennen und diesem nun an den Hals zu fallen.
Saka hatte Ethan inzwischen wirklich losgelassen und sagte nur: „Wir sollten ihn vielleicht aufhalten, oder er verrät uns nun wirklich noch."
Mit der Hilfe von allen oder vor allem Ethan, der Levin wieder durch die Gegend trug gingen sie weiter in den Wald und während Lynjara nun ein Lagerfeuer machte, untersuchte Tongrim den anderen, während er Ethan über ihren Ausflug ausfragte.
„Im Tee? Levin liebt Tee... Er kann Tee nie widerstehen. Und du hast keinen einzigen Schluck getrunken?" Tongrim sah ihn sicherheitshalber an und ignorierte dabei Levin, der irgendetwas über Libellen erzählte.
„Keinen Schluck. Ich war zu sehr damit abgelenkt, mir das riesige Haus anzusehen, als dass ich Tee trinken konnte. Und offenbar hat uns das hier gerettet", stimmte Ethan ihm zu und ignorierte das genervte Schnauben von Saka.
„Richtig. Und was machen wir mit dir jetzt?", fragte der Hanami Levin nun, der vor ihm auf dem Boden lag. „Ich könnte vielleicht eine Art Gegengift machen, aber... Er sieht nicht gerade begeistert davon aus."
„Ich mag keine Doktoren", beschwerte Levin sich leise und Ethan murrte nur: „Das könnte noch ein langer Abend werden."
Und es wurde auch noch ein langer Abend. Dreimal mussten Saka und Ethan Levin wieder einfangen, nachdem dieser abgehauen war und wirklich wie Rotkäppchen durch den Wald gehüpft war und Lynjara und Tongrim sich die Mühe gaben, etwas herzustellen, was Levin zum einen einschlafen ließ und ihn wieder normal werden ließ. Erst spät in der Nacht hatten sie es endlich geschafft und der andere schlief, sodass sie nun endlich auch schlafen konnten. Und das war auch bitter nötig, immerhin hatten sie ja vor, am nächsten Abend endlich den verrückten Zauberer zu treffen. 

„Wenn ich diesen Idioten von einem Otorokku noch einmal begegne... Werde ich Rache nehmen." Levins Laune war schon seit dem Aufwachen im Keller, was vermutlich daran lag, dass sich alle über ihn lustig machten und er noch dazu wahnsinnige Kopfschmerzen hatte. Eine übliche Nachwirkung von dem Trank, den er am Vortag von ihrem Otorokku-Freund bekommen hatte.
„Du hättest eben vorher darüber nachdenken sollen, ob es eine gute Idee ist, bei einem Fremden Otorokku einen Tee zu trinken", bemerkte Saka. „Und jetzt zu dem, was heute Abend stattfindet: was genau ist da unser Plan? Der Kerl hat laut Ethan nur gesagt, wann das heute Abend stattfindet und nicht wo und wie wir da reinkommen."
„Ich glaube, das dürfte ähnlich gut funktionieren, wie das gestern schon. Ich würde vorschlagen, wir suchen uns einen hohen Platz, von dem aus wir die Gegend rund um das Haus unseres Freundes von Gestern sehen können und dann beobachten wir mal. Ein Haufen Otorokku und seine Freunde und Bekannte werden wohl kaum unauffällig bleiben können", sagte Levin und stöhnte, als eine erneute Welle von Kopfschmerzen ihn traf. „Und ich werde nicht mitkommen, sondern mir stattdessen den Kopf abhacken", fügte er noch hinzu.
„Das hilft nicht", bemerkte Tongrim sanft, während Ethan nur leicht lachte. Es gefiel ihm, ausnahmsweise einmal nicht derjenige zu sein, über den alle lachten.
Zumindest fast alle. Lynjara blieb so ruhig und vernünftig, wie auch sonst immer. „Gehen wir denn da heute Abend alle hin?"
Kurz herrschte schweigen, während alle Levin erwartungsvoll ansahen, was dieser aber gar nicht bemerkte, da er die Augen geschlossen hatte. Ihm war es hier eindeutig zu hell.
„Meiner Meinung nach keine gute Idee. Otorokku sind wahnsinnig clever und nicht gerade begeistert davon, von einem riesigen Haufen von Leuten eingekesselt zu werden. Ich bin für eine Einsatzeinheit von drei Leuten", antwortete er schließlich, nachdem ihm offenbar bewusst geworden war, dass trotz seines Zustandes alle auf ihn bauten.
„Lass mich raten. Tongrim, Ethan und du?", fragte Saka mit einem eisigen Blick und Levin öffnete nun die Augen.
„Nein, das ist nicht möglich. Otorokku sind eigenwillige Leute. Sie haben andere Ansichten als die meisten Leute, was die Gesellschaftsordnung angeht. Da kann ich nicht mit einem Hanami auftauchen... Entschuldige bitte Tongrim", antwortete Levin sofort und der Hanami ihrer Runde winkte sofort ab.
Ethan beugte sich ein wenig zu Levin und fragte leise: „Was meinst du mit Gesellschaftsordnung?"
Zu seiner Überraschung antwortete Saka auf seine Frage und das ohne jeglichen dämlichen Kommentar: „Den Begriff hat Levin sich unserer Meinung nach ausgedacht. Hier in Kyasalim gibt es eine typische Ansicht, dass manche Wesen besser sind als andere. Und Otorokku haben da eine ganz andere Meinung zu."
„Normalerweise wäre in meinem Buch ein wunderbares Bild dazu, aber... Jetzt werde ich es wohl noch einmal zeichnen müssen", meinte Levin und kramte in seiner Tasche herum, bis er einen Block und einen Stift gefunden hatte und zu zeichnen begann.
„Machen wir jetzt hier eine kleine Geschichtsstunde? Wenn, dann werde ich noch eine Runde schlafen", murmelte Tongrim, bevor er sich wirklich ein wenig entfernt zu ihnen hinlegte und zu schlafen schien.
Saka hob fragend eine Augenbraue. „Wir das hier wirklich jetzt eine Geschichtsstunde?"
„Wieso, hast du etwas besseres vor?", fragte Levin nur, der immer noch etwas zeichnete und sich dann zu Ethan drehte, um diesem zu erklären, was er da gerade eigentlich machte. „Vermutlich ist es nicht sonderlich schwierig, sich vorzustellen, was an der Spitze aller Wesen ist. Alles göttliche, halbgöttliche und alle Engel gehören dazu..." Er spürte den fragenden Blick von Saka und seufzte leise. „Falscher Begriff für diese Welt. Hier heißen sie Tengeli. Ich werde noch wahnsinnig mit den ganzen Begriffen."
„Ach und was soll ich da sagen? Ich habe keine Ahnung wie viel Zeit du hattest, um dich an die ganzen Begriffe zu gewöhnen aber das war sicherlich mehr Zeit als ich habe", beschwerte Ethan sich, bevor er auf die nächste Ebene von Levins Zeichnung zeigte. „Das oberste macht Sinn. Was ist das dort direkt darunter?"
„Kannst du dir das nicht vorstellen?", fragte Levin, Ethans ironische Frage zuvor einfach ignorierend. „Direkt darunter folgen die Menschen. Sie sind und einmal die meisten auch hier in der Welt und die meisten können hier ja auch einfache Magie anwenden. Die meisten adligen Familien, wie auch der König, stammen aus alten Familien mit Engelsblut im Übrigen." Ethan bemerkte belustigt, wie der andere nun auch damit begonnen hatte, nicht mehr an die ordentlichen Begriffe in dieser Welt zu denken, sondern einfach nur zu erzählen. Aber ihn daran erinnern würde er garantiert nicht.
„Unter den Menschen folgen direkt danach die sehr stark naturverbundenen Wesen, wie die Hanami und die Sakato. Die meisten Menschen sehen sie eher als den Menschen gleichgestellt an oder machen da generell wenig unterschiede, da sie Menschen recht ähnlich sind."
„Zählen da die Tokosu mit dazu?", fragte der Schwarzhaarige sofort und Saka neben ihm schüttelte sofort den Kopf.
„Tun sie nicht. Du erwartest doch nicht ernsthaft, das Wesen die zur Hälfte Tier sind als menschlich genug betrachtet werden, oder?" Sein Ton klang ein wenig resigniert und Ethan konnte auch gut verstehen, warum. Er fühlte sich ja sowieso schon relativ nutz- und hilflos. Dann aber auch von anderen Leuten nicht anerkannt zu werden... Er selbst kannte das nicht unbedingt. Immerhin war er normalerweise in einer ganz anderen Welt und ein ganz normaler Mensch.
„Tut mir wirklich leid für euch, aber nein, das sind sie leider nicht. Tokosu gehören zu der Stufe darunter, zu den tierähnlichen Wesen. Leider halten sich die meisten an der tierischen Hälfte bei den Tokosu fest und nicht an der menschlichen", sagte Levin auch in einem deutlich genervten Tonfall. Er hatte diese Ansicht noch nie leiden können und gab sich immer Mühe, Leute darauf hinzuweisen, wie menschlich die Tokosu doch waren, doch bisher hat es noch nie gebracht. „Und dann wären wir schon bei der letzten Stufe. Unter den Tokosu befinden sich dann die Otoma und alles, wovor die meisten sich fürchten. Und da die meisten Otorokku von den Dämonen abstammen, gehören sie da ebenfalls zu. Leute fürchten sich vor ihnen und lehnen sie deshalb ab. Wegen ihrer Macht. Eine furchtbare Angewohnheit."
Danach schwieg er kurz und Saka verwandelte sich nun wieder in den weißen Kater und rollte sich unter einem Baum zusammen, offenbar auch ein wenig müde. Vermutlich lag das daran, dass alle ewig wach bleiben mussten, als geplant, um Levin erst einmal ins Bett zu bekommen.
„Und was ist nun bei den Otorokku anders?", fragte der andere Tokosu dann ein wenig leiser nach.
Levin schien dem Reden offenbar immer noch nicht müde geworden zu sein, denn er lächelte sofort und erklärte weiter: „Ich kann nicht für alle Otorokku sprechen, da sie sehr, sehr unterschiedlich sind. Einige sind sogar schon so weit, dass laut ihnen alle gleichberechtigt sind. Allerdings sind die meisten einfach nur der Meinung, dass sie diejenigen sind, die ganz oben an der Spitze dieser Pyramide sind. Und ich kann es ihnen auch nicht verübeln. Sie sind was die Magie angeht wahnsinnig mächtig sowie unsterblich und nur wenige haben je die göttliche Macht gesehen, geschweige denn einen Engel gesehen. Deshalb... Nun ja, denken sie eben, dass sie deutlich mächtiger sind. Und erst weit unter ihnen folgen die ganzen anderen Wesen. Ihnen ist es allerdings nicht wichtig, ob Personen menschlich sind oder von Dämonen abstammen. Immerhin sind es die meisten von ihnen ja selbst. Ihnen geht es nur um die allgemeine stärke. Deshalb würden sie lieber einen Vampir oder so einladen als einen Menschen, da Vampire deutlich stärker sind."
„Es gibt Vampire?", fragte Ethan überrascht und Levin nickte sofort.
„Gibt es. Man bezeichnet sie als Otsuki. Sie sind nicht so schlimm, wie du dir das vielleicht vorstellst."
„Und warum willst du dann lieber mich mitnehmen und nicht Tongrim?" Ethan kam sich ein wenig blöd vor, da er nur eine Frage nach der anderen stellte.
Levin seufzte leicht, aber nicht weil Ethan weitere Fragen stellte, sondern eher weil er die Erklärung an sich so albern fand. „Die Otorokku und die Hanami haben eine uralte und alberne Fehde. Deshalb kann ich ihn nicht mitnehmen."
„Wen willst du denn dann eigentlich mitnehmen?", fragte nun Saka, der sich wieder aufgerichtet und zurückverwandelt hatte, anscheinend nicht dazu fähig, hier und jetzt einzuschlafen. Oder er hatte nur wieder zeigen wollen, dass er sich nach belieben verwandeln konnte, ganz im Gegensatz zu Ethan selbst.
„Bitte nicht wütend werden... Ich werde euch beide mitnehmen als meine beiden Haustiere", antworte Levin leise und beide Tokosu starrten ihn an.
Sakas Gesichtsausdruck hellte sich kurz glücklich auf, da er froh war, mitkommen zu dürfen, dann verzog er das Gesicht aber sofort wieder. „Du willst uns als deine Haustiere mitnehmen? Das ist deine Idee?"
„Jungs, kommt mal wieder runter." Lynjara, die bisher nur im Halbschlaf an einen Baum gelehnt dagesessen hatte, meldete sich nun vor der drohenden Katastrophe schnell wieder. „Was soll er denn sonst machen? Alleine können wir ihn wohl kaum darein lassen. Tongrim darf er nicht mitnehmen wegen dieser albernen Fehde. Und es würde nun einmal ein wenig eigenartig wirken, wenn er zu diesem Ball geht mit zwei männlichen Tokosu als Begleitern dort auftaucht. Also bleibt nur ihr als Haustiere..."
„Oder?", fragten Ethan und Saka sofort gleichzeitig, bevor sie sich irritiert ansahen, da sie sich bisher noch nicht einmal einig waren, geschweige denn auch nur annähernd das gleich dachten.
Lynjara begann nun die beiden bedeutend anzusehen, bevor sie Levin anlächelte. „Oder ich gehe mit und spiele seine Frau."
„Garantiert nicht!", riefen die Tokosu sofort synchron und starrten einander wieder an.
Levin hob fragend die Augenbrauen und sah die beiden an. „Sollte ich nicht eigentlich noch das Recht haben, da mitzureden, wen ich für meine Frau auswähle?"
„Das Recht wurde dir offenbar gerade abgenommen", bemerkte sie dann und zuckte mit den Schultern. „Also gut, dann kommt ihr als die Haustiere mit. Dann wäre das doch schon einmal geklärt."
Kurz schwiegen sie und Levin sah in den Himmel, bevor er aufstand.
„Wir haben viel zu viel Zeit mit unserer Geschichtsstunde hier verloren!", rief er aus und alle sahen ihn fragend an.
„Der Ball ist ein Abendball. Er startet erst heute Abend und so wie ich die Otorokku kenne, geht das Ganz bis morgen früh. Jetzt ist Nachmittag. Wie können wir denn da zu viel Zeit verloren haben?", fragte Lynjara irritiert und Levin lächelte nur Ethan und Saka an.
„Ich brauche für meine beiden Kätzchen noch Halsbänder. Und ich würde Malek gerne finden und mit ihm reden bevor er komplett betrunken ist. Also los." 

Katze, Notizbuch und eine Reise in eine andere WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt