Kapitel 10 - Und schon wieder unterwegs

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„Ethan, wenn du dich nicht langsam beeilst, lassen wir dich zurück."
„Ach ja? Wessen schuld ist es denn, dass ich die ganze Nacht über nachgedacht habe?"
„Du kannst nachdenken? Das ist ja wirklich unglaublich."
„Saka, Klappe halten. Wir können uns doch nicht schon am ersten Tag unserer Reise mündlich zerfleischen."
Richtig. Sie hatten ihre Reise effektiv begonnen und liefen seit Stunden durch einen Wald. Eigentlich sollten solche Märsche Ethan als Sportler keine Probleme machen, aber er war wirklich tot müde... Und all das nur, weil er die komplette Nacht damit verbracht hatte, zu verstehen, was Levin für ein Wesen war. Irgendetwas musste er sein, sonst würde er ja auch nicht hier sein... Nur was war er? Er konnte nicht einfach ein Ninusi sein, so wie alle anderen scheinbar glaubten. Aber niemand der anderen schien es auch nur im Geringsten anzuzweifeln. Also warum glaubte er nicht daran? Er kannte Levin doch viel kürzer als die anderen alle. 
Die ganze Nacht hatte er damit verbracht, über diese Frage nachzudenken und jetzt durch diesen monotonen Lauf drohte er jeder Zeit einzuschlafen. Und nicht zum ersten Mal hatte das dazu geführt, dass sie eine Diskussion dazu eröffnet hatten. Meistens, weil Saka von ihrem langsamen Tempo genervt war, während die anderen drei eher amüsiert über Ethans Müdigkeit waren. Offenbar störte es die anderen nicht im Geringsten, dass sie wirklich nur langsam vorankamen, aufgrund von Ethans Müdigkeit und seinen fehlenden Schuhen.
Levin lief nun ein wenig langsamer, sodass er neben Ethan hergehen konnte und diese Chance sofort nutzte, um den anderen fragend anzusehen.
„Pause?", fragte Ethan in einem schon beinahe flehenden Tonfall. Zwar hatte er erstaunlich wenige Probleme damit, dass er immer noch keine Schuhe hatte, da das in diesem Wald halbwegs in Ordnung war, aber trotzdem wollte er unbedingt schlafen.
„Pause", antwortete Levin sanft lächelnd, bevor er nach vorne rannte und den anderen bescheid sagte, dass sie eine Pause machen würden. Davon bekam der Schwarzhaarige aber schon nichts mehr mit, da er sich unter einen Baum gesetzt und eingeschlafen war.
„Wie wäre es, wenn wir ihn einfach hier liegen lassen?", schlug Saka vor, während sie sich alle ebenfalls auf den Boden zu Ethan setzten und ihre Taschen abstellten. Inzwischen war der schwarzhaarige Tokosu der einzige, der keinerlei Gepäck dabeihatte. Alle anderen hatten zumindest ein klein wenig Ausrüstung dabei, allerdings hatte Ethan nichts, was er mitnehmen hätte können.  
„Nein, wir werden ihn nicht einfach hier liegen lassen. Er ist mir durchaus sympathisch und ich habe ihn in einen Tokosu verwandelt. Bezeichnen wir ihn einfach als... meine Verantwortung", antwortete Levin schlicht, während er sich neben Ethan auf den Boden setzte und diesen schweigend ansah.
Saka ließ sich neben ihn fallen und sagte: „Oh, wie wundervoll. Wenn du dich für den Kerl verantwortlich fühlst, dann... werden wir ihn wohl nie los sondern bis ans Ende der Welt diesen absolut nutzlosen Kerl mit uns herumschleppen."
„Er wird uns garantiert noch zu Nutzen kommen", sagte Levin daraufhin noch ein wenig angespannt, während er Saka einen leicht genervten Blick zuwarf. Offenbar war er von dessen Unmut Ethan gegenüber nicht sonderlich begeistert. „Und selbst wenn nicht, werde ich ihn nicht hier im Wald zurücklassen..." Noch während er sprach verwandelte Ethan sich in seine Katerform und rollte sich unter dem Baum im Gras zusammen.
Saka verdrehte die Augen. „Natürlich... Er kann sich nicht kontrollieren, ist nicht besonders schlau... Auf jeden Fall wahnsinnig hilfreich."
„Das erinnert mich an eine gewisse andere Person, als diese sich mit deren Tokosu-Form anfreunden musste", erwiderte Levin kühl. Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken hob er Ethan hoch auf seinen Schoß und begann ihn geistesabwesend zu kraulen, aber immer nur so vorsichtig, dass er ja nicht aufwachte. Alleine das schien ihn deutlich ruhiger und glücklicher zu stimmen.
Tongrim, der bisher nur schweigend dagesessen hatte, fragte nun leise: „Bist du dir sicher, dass dein Plan mit dem Buch irgendeinen Erfolg erreichen wird? Wäre eine andere Taktik nicht angebrachter?"
„Und was für eine Taktik schlägst du vor? Das Buch könnte schon längst verschollen sein. Es könnte gefressen, vergraben, aufgeweicht, verbrannt oder sonst was sein. Und wenn das nicht der Fall ist, wird jemand das Buch sicher gefunden haben und es vielleicht inzwischen schon benutzen...", sagte er und spielte mit der einen Hand an seiner Kette herum, während er seine andere Hand dazu benutzte, weiterhin Ethan zu kraulen.
„Kann man mit diesem Teil nicht theoretisch das Gegenstück magisch suchen? Du solltest dazu doch in der Lage sein, oder nicht?", fragte Lynjara neugierig, während alle Blicke nun auf der Kette ruhten, auf die sie zeigte. 
„Ich kann ohne mein Buch gar nichts", antwortete Levin beinahe sofort und scheinbar wie aus einer Art Reflex, allerdings mit einem Blick, der besagte, dass er aber über die Idee an sich nachdachte. „An sich wäre es aber möglich... Wir bräuchten nur einen wirklich mächtigen Magier, Zauberer, Hexenmeister oder so..."
Als er die verwirrten Blicke seiner Begleiter sah, seufzte er nur leise: „Wenn ich hier fertig bin, muss ich mich dringend in einer Welt niederlassen und nicht ständig wechseln. Diese blöden unterschiedlichen Begriffe sind mir viel zu verwirrend." Dann überlegte er kurz und fügte noch hinzu: „Otorokku." Sofort nickten alle, als sie es verstanden hatten, bevor sie alle das Gesicht verzogen und es schließlich Tongrim war, der das aussprach, was allen bewusst geworden war.
„Und kein Otorokku, erstrecht kein mächtiger wird irgendwie zu finden sein, da sie durch die neuen Gesetze eigentlich nahezu permanent gejagt werden. Wunderbar, dass wir ausgerechnet so einen brauchen."
Nach dieser Feststellung herrschte erst einmal eine Weile schweigen, indem alle ihren eigenen Gedanken nachhingen. Nachdem das neue Gesetz durchgesetzt worden war, dass sich gegen alles neue und andere richtete, war es vermehrt dazu gekommen, dass andere Wesen sich gegen die Otorokku richteten. Diese waren aufgrund der Magie ohnehin schon vermehrt gefürchtet worden und da die meisten Otorokku dazu noch ein recht eigenartiges Aussehen hatten, wurden diese als erstes ausgeliefert. Da es dann noch dazukam, dass keiner, der je an den Palast ausgeliefert worden war, wieder von diesem zurückkehrte, waren die meisten Otorokku dazu übergegangen, sich zu verstecken. Und Wesen mit starker Magie waren ziemlich gut darin sich so zu verstecken, dass niemand sie finden konnte. 
Lynjara spielte ein wenig mit einem Ast herum, den sie neben sich gefunden hatte, bevor sie wieder hochsah. „Ich hätte noch eine Idee. Es gibt Gerüchte von einem Otorokku, der sich nicht immer bedeckt hält, sondern hin und wieder auf bestimmte Abendbälle geht... Oder zu jeder möglichen Gelegenheit selbst welche veranstaltet. Sein Name ist..."
„Malek. Richtig. Ich habe von ihm gehört", sagte nun Levin wieder und Tongrim schüttelte ungläubig den Kopf.
„Du bist seit ungefähr zwei Tagen hier und die Hälfte davon warst du bewusstlos oder hast geschlafen. Wie kannst du über solche Gerüchte wissen und wir nicht?"
„Meine Ohren sind eben überall. Also ist der Plan jetzt Malek zu suchen?" Mit einem fröhlichen Lächeln sah er in die Runde. 
Saka grummelte irgendetwas, was verdächtig nach einem widerwilligen Einverständnis klang und auch die anderen beiden nickten.
„Dann fehlt uns also nur noch die Meinung von Ethan", sagte Levin zufrieden und ignorierte sogar Sakas genervte Aussage, dass Ethan natürlich wieder super wichtig war.

„Wir suchen also nach einem partywütigen Zauberer?", fragte Ethan irritiert, als er wieder wach war und gähnte ein wenig. Er war schon verwirrt genug gewesen, als er als Kater auf Levins Schoß aufgewacht war, aber der neue Plan machte es da nicht unbedingt besser.
„Er könnte uns helfen, das Buch wiederzufinden. Und dann können wir dich auch wieder rein menschlich machen. Guter Vorschlag?" Während er das fragte, hob er Ethan ein wenig hoch, um in das Katzengesicht zu sehen und der schwarze Kater nickte langsam.
„Wo ist dieser verrückte Zauberer?"
„Ich habe gehört, er lebt in einer Stadt, nahe den Bergen. In der Nähe der Zwillinge", warf Lynjara nun wieder ein und Levin runzelte ein wenig die Stirn, während Ethan sich vornahm, irgendwann einmal später vielleicht zu fragen, wer um Himmels Willen denn jetzt auch noch die Zwillinge waren.
„Verstärkung ist doch immer wunderbar. Also machen wir uns möglichst schnell auf den Weg, bevor uns noch eine andere absolut geniale Idee einfällt."
„Du meinst, bevor uns noch mehr absolut unmögliche Sachen einfallen, die wir machen, um alles hier zu retten?", fragte Saka seufzend, während er aufstand und sich streckte. „Na dann mal los."

Nach einem ganzen Tagesmarsch erreichten sie irgendeine Stadt, dessen Namen Ethan sich absolut nicht merken konnte. Zum Glück war er gerade als schwarzer Kater in Levins Tasche, sodass er nicht so auffiel, da er immer noch keine Schuhe hatte und auch sonst als ein gesuchter in vermutlich bald jedem Dorf und jeder Stadt war. Vermutlich war das auch der Grund, warum Levin die ganze Zeit die Kapuze seines schwarzen Umhangs hochgeschlagen hatte.
„Du siehst aus wie ein schwarzes Rotkäppchen. Schwarzkäppchen", murrte er aus der Tasche heraus und bekam dafür einen leicht amüsierten Blick von Levin zugeworfen.
„Findest du etwa nicht, dass mir dieses Outfit steht?"
„Ich finde deine Brille besser. Warum trägst du sie hier eigentlich nicht? Brauchst du sie gar nicht?"
Levin verdrehte leicht die Augen. „Natürlich brauche ich sie eigentlich schon. In unserer Welt hat die Brille aber noch den schönen Nebeneffekt, dass man meine... ungewöhnliche Augenfarbe nicht so gut erkennen kann."
Jetzt erinnerte Ethan sich wieder an diese beinahe schon fliederfarbenen Augen, die der andere hatte. Hier musste er sie garantiert nicht verstecken. Immerhin gab es hier ja genügend seltsame Wesen mit seltsamen Augen- und Haar- und Hautfarben. Da waren lila Augen vermutlich noch mit das normalste, was ihnen hier so über den Weg laufen konnte. 
Gerade, als er noch etwas hatte sagen wollen, rempelte jemand nicht gerade sanft gegen sie und das nächste, was Ethan sah, war eine Nahaufnahme vom Boden und Levins Klamotten.
„Und so etwas nennt man die Höflichkeit zu Reisenden!", rief Lynjara vermutlich denjenigen hinterher, die Levin angerempelt hatten. Ethan richtete sich ein wenig auf und stellte recht schnell fest, dass er so wie der halbe Inhalt von Levins Tasche auf der Straße gelandet war und Levin ebenfalls dort lag mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck.
„Alles in Ordnung?", fragte Ethan ungewollt synchron mit Saka, der ebenfalls als Kater herumlief und neben ihnen angehalten hatte. Die beiden Tokosu sahen einander ein wenig genervt an, bevor sie aber wieder von ihrer Sorge um Levin abgelenkt wurden. 
„Meine Rippen sind nur keine so großen Freunde von Stürzen", murrte Levin, bevor er sich aufrichtete und erleichtert sah, dass Tongrim und Lynjara seine Sachen wieder eingesammelt hatten und sie ihm nun wieder in die Hand drückten. Nachdem er alles wieder in der Tasche hatte, deutete er auf das Haus, vor dem er sich einmal hingelegt hatte.
„Wie wäre es, wenn wir hierbleiben? Immerhin ist das hier ein Gasthaus und... es wird dunkel", schlug er dann vor und da keiner Einwände hervorbrachte, schlugen sie tatsächlich dort ihr Lager auf. 

„Ich wünschte, jemand hätte Einwände vorgebracht, bevor ich mir drei Lebensmittelvergiftungen und einen Angriff von Insekten zugezogen habe", beschwerte sich Levin in der Nacht leise. Das Gasthaus war deutlich heruntergekommener, als er es eingeschätzt hatte und er war froh, dass sie nur zu fünft reisten und nur drei von ihnen wirkliche Betten brauchten, denn die Preise waren trotz des Zustandes unerhört hoch. Jetzt hatten Tongrim, Saka, Ethan und Levin ein Zimmer und Lynjara hatte sich nach dem etwas... gewöhnungsbedürftigen Abendessen recht schnell auf ihr eigenes Zimmer verzogen.
„Es ist furchtbar warm", beschwerte Levin sich nach einer kurzen Pause, da er die Ehre hatte, in einem Bett mit zwei Tokosu zu liegen.
„Schmeiß ihn einfach raus, dann wird es kälter", murrte Saka leise und deutete mit der Spitze seines Katzenschwanzes auf Ethan, der aber schon eingeschlafen war.
„Man soll Schlafende nicht wecken und wenn du noch mehr redest, werde ich dich aus dem Zimmer werfen", rief Tongrim nun genervt von seinem Bett aus.
„Und wenn ihr noch einmal mit mir reisen wollt, werde ich euch für immer aus meinem Haus werfen!", konnten sie ein wenig gedämpft Lynjara aus dem Nebenzimmer rufen hören.
Nach einem kurzen Schweigen sagte Levin gerade so laut, dass es alle hören konnten: „Und ich liebe es, mit euch allen zu reisen."
Und auch wenn es in dieser Situation hätte ironisch wirken können, wussten alle sofort, dass er es komplett ernst meinte. 

Katze, Notizbuch und eine Reise in eine andere WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt