Kapitel 8

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Am nächsten Morgen verpasste ich den Bus, doch als ob es noch nicht genug wäre, dass ich nun den ganzen Weg mit dem Fahrrad fahren musste, klingelte auch noch mein Handy in einer Tour.

Als ich endlich an einer roten Ampel stehen bleiben musste, fischte ich es aus meinem Rucksack. Wie zu erwarten war es Lina, die ungefähr fünfhundert Nachrichten geschrieben hatte, wo um Himmels Willen ich denn stecken würde. Hastig tippte ich eine knappe Erklärung der Situation und drückte gerade auf Senden, als die Ampel umsprang und ich mein Smartphone schnell in meiner Jackentasche verschwinden ließ.

Als ich endlich an der Schule angekommen war, stürzte meine beste Freundin gleich auf mich zu, Simon im Schlepptau.

„WO WARST DU?", rief sie und viel mir um den Hals.

„Hab' ich dir doch geschrieben, ich habe den Bus verpasst.", rechtfertigte ich mich.

„Wie kannst du mir nur so einen Schreck einjagen?", Lina wirkte wirklich ziemlich durch den Wind.

„Warum bist du denn deshalb so aufgewühlt? Ist doch schließlich nicht das erste Mal, dass ich etwas spät dran bin", ich sah sie fragend an.

„Hast du es noch nicht gehört?", schaltete sich nun Simon in das Gespräch ein. „Gestern soll irgendein Mädchen aus unserem Jahrgang in der Nähe deines Hauses überfallen worden sein. Erik Parkmann hat es heute Morgen jedem im Bus erzählt."

„WAS?", nun war ich es, deren Stimme viel zu aufgebracht klang. War es möglich, dass Minou etwas zugestoßen war, nachdem sie am Tag zuvor gegangen war?

„Wisst ihr, wer es ist?", wand ich mich an Simon, doch er schüttelte den Kopf. „Ne, das hätten wir dir dann doch schon erzählt ..."

Ich nickte abwesend und ließ meinen Blick über den Schulhof schweifen, auf der Suche nach Melissa und ihrer Gruppe, doch ich konnte sie nirgendwo finden.

„Ich habe gehört, es wäre Tara Bringer gewesen", warf Lina ein und ich merkte, dass mich diese Aussage erleichterte, was aber ziemlich gemein wäre, da Tara ein wirklich nettes Mädchen ist und so etwas nicht verdient hat, nicht dass irgendwer es verdient hätte, ich wollte nur einfach nicht, dass es jemandem passiert war, der gerade aus meinem Haus kam.

Doch leider hielt meine Erleichterung nicht lange an, denn Simon schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe Tara heute Morgen getroffen und sie weiß auch nicht, wer es sein könnte."

„Scheiße", murmelte ich leise und erntete sogleich einen verwirrten Blick von Lina. Sie öffnete gerade den Mund, vermutlich um nachzufragen, warum zum Teufel ich es schade finden sollte, dass Tara nichts passiert war, als der brutale Ton der Klingel sie auf andere Gedanken zu bringen schien.

„Beeilt euch mal, wir kommen noch zu spät!", quietschte sie munter und sauste in Richtung Hauptgebäude davon. Simon zuckte mit den Schultern und wir beide machten uns in die entgegengesetzte Richtung auf - zu den Bioräumen.

Da diese im Erdgeschoss waren, kamen wir recht schnell an. Simon öffnete die Tür und schlüpfte in den Raum, dicht gefolgt von mir. Augenblicklich suchte ich den Raum ab. Keine Minou. Ich spürte, wie mein Puls immer schneller wurde.

Ich ging zu dem Tisch in der zweiten Reihe, der uns beiden nach der Verteilung der Gruppen zugewiesen worden war und starrte auf den leeren Platz neben mir.

Es musste Minou sei. Wie wahrscheinlich war es denn bitte schön, dass gestern Abend noch ein anderes Mädchen aus unserem Jahrgang in der Nähe meines Hauses war?

Ich griff nach meiner Wasserflasche, um etwas zu trinken, als sich die Tür erneut öffnete und Minou den Raum betrat.

Ich hatte das Gefühl, noch nie in meinem Leben so erleichtert gewesen zu sein, was natürlich Schwachsinn ist, wenn man bedenkt, dass ich Minou ja eigentlich nicht mal besonders mochte.

„Was geht ab?", sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Warum klingen solche Dinge eigentlich nur bei uncoolen Leuten blöd?

Mein Puls war mittlerweile vermutlich wieder auf einem normalen Level angekommen und so konnte ich antworten, ohne wie ein kompletter Volldepp zu klingen.

„Hast du schon gehört, dass gestern Abend jemand aus unserem Jahrgang überfallen worden sein soll?"

Sie nickte. „Ja, das war ich."

Ich riss die Augen auf. „WAS?" Jetzt klang ich also doch noch wie ein Volldepp, herzlichen Glückwunsch.

Aber Minou lachte nur. „Chill mal, die ganze Story wurde total aufgebauscht. Mir wollte nur irgend so ein Wichser die Handtasche klauen."

Ich schnaubte. „Na wenn's weiter nichts ist."

„Genau, die sollen mal nicht so übertreiben", sagte sie und ignorierte dabei gekonnt den nicht überhörbaren Sarkasmus in meinem letzten Satz.

„Warst du bei der Polizei?", fragte ich und sie schüttelte mit dem Kopf. „Der hat es ja nicht mal geschafft."

Ich sah sie nachdenklich an. „Aber er hat es ja immerhin versucht. Jetzt bestiehlt er vielleicht andere Leute ..."

Minou zuckte mit den Schultern. „Ich glaube echt nicht, dass das was bringen würde. Das ging alles viel zu schnell, ich könnte den Typen nicht mal beschreiben. Wenn es überhaupt ein Typ war ..."

Ich sah sie fragend an.

„Es könnte ja auch ein Mädchen gewesen sein", erklärte sie, „nicht nur Männer stehlen Zeug."

Ich nickte. „Naja, ist deine Entscheidung, ob du zur Polizei gehen willst oder nicht."

„Da hast du vollkommen recht", sie griff nach ihrem Biologiebuch und ließ es mit einem lauten Geräusch auf den Tisch fallen. Da schwang die Tür zum dritten Mal auf und Frau Bremer kam herein.

„Hallo, ihr Lieben", begrüßte sie uns mal wieder viel zu enthusiastisch, doch aus irgendeinem Grund ging mir das heute etwas weniger auf die Nerven als sonst. Ich wusste nicht, woran es lag, aber vielleicht braucht man das auch manchmal gar nicht zu wissen.

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