Kapitel 20

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Phillip stand auf und kam zu mir rüber und ich spürte, wie ich immer nervöser wurde.

Er ließ sich vor mir nieder. „Ist das okay?"

Ich hatte nicht erwartet, dass er fragen würde, aber ich fand es gut. Sehr gut. Ich nickte.

Er legte zögerlich eine Hand um meinen Hinterkopf, als wäre es ihm genauso unangenehm mit jemandem rumzumachen, den er quasi nicht kannte, wie mir.

Nun und dann küsste er mich. Und es war schlecht. Wirklich schlecht.

Ich bin nicht ganz sicher, ob es an ihm lag, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass küssen sich so nicht anfühlen sollte. Ich machte mich von ihm los.

„Das war ja ein bisschen enttäuschend, Leute", kommentierte Tristan und Phillip verdrehte die Augen.

„Lass sie, okay? Sie ist das ganze Zeug hier halt nicht gewöhnt", mischte sich Minou plötzlich ein und ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss.

Plötzlich runzelte Phillip die Stirn und wandte sich mir zu: „Sag mal, wie heißt du eigentlich?"

Okay, wow. Die Medaille für den Gentleman des Jahres geht an ... Spannung ... Phillip!

„Vera", antwortete ich knapp und er nickte. „Ich bin Phillip."

Ach was, sag bloß. Stell dir vor, Phillip, nicht jeder knutscht mit jemandem rum, ohne dessen Namen zu kennen.

Hannah S. verdrehte die Augen. „Das Spiel wird langweilig, lasst uns was anderes machen."

Das klang in meinen Ohren nach dem ersten vernünftigen Satz heute und auch die anderen schienen keine Lust mehr auf das Spiel zu haben.

„Vorschlag: Rick und ich gehen eben was zu trinken besorgen und danach kann die Party dann richtig anfangen", warf Tristan in den Raum und der Rest der Gruppe schien davon begeistert zu sein. Abgesehen von mir, die wohl die Einzige war, die sich fragte, wie die zwei, die genauso minderjährig wie der Rest von uns waren, es anstellen wollten, an Alkohol zu kommen.

Die beiden verließen also die Wohnung und der Rest von uns verteilte sich wieder auf die zwei Sofas und die anderen fingen an, sich wieder über irgendwelche Themen zu unterhalten von denen ich kein Wort verstand.

Irgendwann erhob Minou sich und schob mich ein Stück zur Seite, um sich neben mir niederzulassen.

„Alles okay mit dir? Du siehst ein bisschen verloren aus."

Verloren, überfordert, verstört, ja, ich denke, man konnte meinen derzeitigen Zustand mit allerhand Worten gut beschreiben, doch ich nickte. „Klar, mit mir ist alles gut."

„Ich habe dir ja gesagt, dass ich dich auch weiter mit dabeihaben will", sie stupste mit ihrem Knie meins an und augenblicklich begannen die Gefühle in meinem Inneren Achterbahn zu fahren.

Plötzlich wurde die Tür mit einem lauten Geräusch aufgestoßen und Tristan und Rick betraten den Raum mit allerhand unterschiedlichen Flaschen und Dosen im Arm. Sie marschierten zu uns rüber und ließen die Getränke auf den Couchtisch fallen, woraufhin sich alle Anwesenden irgendetwas schnappten.

Auch Minou griff nach einer dunkelbraunen Flasche, bei der ich mir nicht ganz sicher war, um was es sich handelte, und schaute mich dann an. „Was willst du trinken?"

Ich sollte ihr sagen, dass ich nicht trinke und vermutlich direkt nach dem ersten Schluck kotzend in der Ecke stehen würde. Aber ich tat es nicht. Ich dummer dummer Idiot tat es nicht, sondern zuckte einfach nur mit den Schultern.

„Hier", sie reichte mir eine Dose. „Das ist nicht so hochprozentig."

Ich nickte dankbar und öffnete den Verschluss, um den Inhalt der Dose zu probieren. Und es schmeckte unerwartet gut!

Ich trank noch ein paar Schlucke und bemerkte ein angenehmes Prickeln auf der Zunge. Ich wusste nicht, was ich da trank, aber es schmeckte nicht nach etwas, das mich betrunken machen könnte. Eher nach einem Energiedrink.

Der Rest der Gruppe vertiefte sich wieder in ihr Gespräch über was weiß ich und ich merkte, dass ich meine Dose inzwischen geleert hatte und griff nach einer identischen.

„Vera?", Minou griff nach meiner Hand und zog mir vorsichtig die Dose weg. Ich blickte sie an.

„Mach ein bisschen langsamer, okay? Du bist es doch nicht gewohnt zu trinken, nicht wahr?"

Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass er schwerer war als sonst. „Okay, ich passe auf."

Lallte ich? Nein, ich glaube nicht. Gottseidank. Ich glaube, ich werde am heutigen Tage noch religiös oder so.

Phillip streckte sich. „Oah, weiß irgendwer bis wann wir dieses scheiß Bioding fertig haben müssen?"

„Nächste Woche Montag", antwortete ich schnell – froh, auch mal etwas zur Konversation zusteuern zu können und noch froher, noch in der Lage zu sein, klar zu denken.
Ich beschloss nie wieder mein Glück erneut auf die Probe zu stellen und verfluchte innerlich das Getränk, dass ich eben noch in der Hand gehalten hatte.

„Ach ja!", rief er und stellte seine Dose vor sich ab. „Daher kenne ich dich! Du bist doch Minous Projektpartnerin!"

Ich nickte langsam.

„Du hast echt Glück, Min", Melissa lehnte sich an Livs Schuler. „Wir haben noch gar nichts."

„Same", erwiderte Phillip.

„Und wieso habe ich bitte schön Glück?", Minous Stimme klang gereizt.

„Na weil Vera alles für dich macht", Phillip sah sie an, als hätte er gerade einem kleinen Kind etwas so selbstverständliches erklärt, wie dass der Himmel blau ist.

„Wir haben es zusammen gemacht", fauchte Minou und betonte dabei jedes einzelne Wort.

Phillip lachte. „Klar habt ihr das gemacht."

Plötzlich riss Melissa die Augen auf. „Das ist also der Grund, warum du sie immer mitschleppst!", rief sie laut. „Oh mein Gott, ich hatte mich schon voll gewundert, was du von der willst!"

Minous Miene verfinsterte sich und wenn Blicke töten könnten, hätten wir schon mal Melissas Beerdigung planen können.

„Das ist nicht der Grund, warum ich sie immer mitnehme!", Minou funkelte ihre beste Freundin an und erneut verwunderte es mich, dass die Hierarchie wohl doch nicht so zu sein schien, wie ich immer gedacht hatte.

Melissa zog eine Augenbraue hoch. „Nein?"

„Sie ist eine Freundin von mir", verkündete Minou und griff nach meiner Hand, womit ich endgültig überfordert war.

„Wie süß", Melissa lachte und es klang fies, aber nicht ganz so fies wie sonst, was ich auf den Alkohol schob, oder auf meine Auffassungsgabe, die nicht nur ebenfalls vermutlich vom Alkohol beeinträchtigt war, sondern auch von dem Fakt, dass Minou gerade meine Hand festhielt.

„Also ich finde das halt wirklich süß", mischte Tristan sich plötzlich ein. „Ihr wärt ein niedliches Paar."

Melissa lachte gemein. „Stimmt, wieso macht ihr nicht gleich hier rum?" Sie funkelte Minou an und diese starrte zurück. Ich verstand nicht hundertprozentig, was da gerade zwischen den beiden abging, aber sie forderten sich definitiv gegenseitig heraus.

„Vielleicht tun wir das ja", Minou starrte weiterhin Melissa tief in die Augen, während ich kurz davor stand, an einem Herzinfarkt zu sterben.

„Nur zu", zischte Melissa und dann geschah es - Minou drehte sich ganz langsam von Melissa weg und zu mir hin. Sie sah mir fest in die Augen. „Vera?"

Ich nickte und sie beugte sich langsam zu mir vor. Unsere Lippen waren nur noch Millimeter voneinander entfernt, als sie plötzlich damit aufhörte, mir näher zu kommen, doch sie zog den Kopf auch nicht weg. Sie verharrte einfach vor mir und schien darauf zu warten, dass ich die letzte Distanz zwischen uns überbrückte.

Und das tat ich.

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