Kapitel 22

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Ich starrte Minou an und sah, wie ihr Gesicht knallrot anlief.

„Ich hatte mal was mit einem Mädchen und Melissa hat es herausgefunden", wiederholte sie etwas lauter.

Ich fühlte, dass auch mir das Blut in den Kopf schoss.

„Ich ehm weiß nicht genau was ich sagen soll", gestand ich.

Sie schluckte. „Du musst nichts sagen, tut mir leid."

Ich schüttelte vehement den Kopf.

„Das muss es nicht!"

Minou lächelte zaghaft. „Laut Melissa muss es das schon."

Ich kräuselte die Stirn. „Hat es sie denn gestört? Also ich meine, dass ..." Ich brach ab, weil ich nicht die richtigen Worte fand, um den Satz zu beenden.

„Dass es ein Mädchen war? Nein, ich glaube nicht", beantwortete Minou meine Frage. „Sie schien erst regelrecht davon begeistert und hat mir dann gedroht, es allen zu erzählen, wenn ich es nicht tue."

„Hm", macht ich und starrte in die Ferne auf einen Baum.

„Ich habe sie gefragt, warum sie wolle, dass ich es den anderen erzähle und sie meinte, die anderen hätten halt ein Recht darauf es zu erfahren", fuhr sie fort.

„Und hast du es ihnen erzählt?", hakte ich vorsichtig nach und Minou schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe stundenlang mit Melissa darüber gesprochen und sie hat mir gestanden, dass es ihr nur um Rick ging. Sie hatte wohl gedacht, dass er sie für mich fallen lassen würde und es daher doch die perfekte Lösung wäre, wenn ich mich einfach outen würde."

„Und den Plan hat sie aufgegeben?", fragte ich.

Minou zuckte mit den Schultern. „Naja, nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich eben nicht nur auf Mädchen stehe, sondern auch auf Typen, hat sie halt eben keinen Sinn mehr darin gesehen."

Ich nickte langsam und ließ mir die Worte noch mal durch den Kopf gehen.

„Dann bist du also bi?", fragte ich nach einer kurzen Pause.

Minou nickte, dann schüttelte sie den Kopf.

„Keine Ahnung", gab sie zu. „Ich verstehe sowieso nicht, warum man sich labeln muss. Ich meine: Was weiß ich, in wen ich mich irgendwann verliebe und ob das dann ein Junge oder ein Mädchen ist oder vielleicht weder noch oder beides oder so."

Ich nickte wieder langsam und versuchte das, was sie da gerade gesagt hatte, nachzuvollziehen. Erneut entstand eine kurze Stille.

„Findest du es eigentlich komisch, dass wir uns geküsst haben? Jetzt wo du weißt, dass ich ..."

Sie sah mich das erste Mal, seit ich wieder auf meiner Schaukel saß, an.

Ich schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein überhaupt nicht."

„Oh, okay", sie klang ein wenig überrascht und mir viel gerade erst wieder ein, dass sie ja überhaupt nicht wusste, was ich für sie empfand. Es war so absurd, dass ich anfing zu lachen.

Minou sah mich irritiert an und ich schüttelte mir die Haare aus dem Gesicht.

„Tut mir leid", entschuldigte ich mich. „Das hier alles wirkt nach den letzten zwei Wochen einfach nur so unfassbar surreal."

Sie zog fragend eine Augenbraue hoch und ich beschloss, dass es doch eigentlich sowieso alles egal war und ich daher auch mit offenen Karten spielen konnte.

„Du warst nicht die Einzige, die herausfinden musste, dass sie ein bisschen queer ist."

Minou rammte die Fersen in den Sand, wirbelte zu mir herum und starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an.

„Red keinen Scheiß, Vera", ihre Stimme klang irgendwie wütend und mir wurde augenblicklich schlecht.

„Ich ...", am liebsten hätte ich meine Worte zurückgenommen. Ich wünschte, ich hätte ihr nie die Wahrheit gesagt.
Toll, ich wusste jetzt also, dass Minou auch auf Mädchen stand, aber wie dämlich war es denn bitte schön, gleich davon auszugehen, dass sie auf MICH stand? Sie hatte Melissa herausfordern wollen, indem sie vor versammelter Mannschaft ein Mädchen küsste. Das hatte nichts mit mir zu tun, sie hätte vermutlich auch mit Bianca oder Liv rumgemacht. Warum war ich dämlicher Idiot gleich davon ausgegangen, dass ...

„Vera?", hakte Minou in einem kalten Tonfall nach und unterbrach damit meinen Gedankengang.

Ich sprang von der Schaukel und drehte mich zu ihr um. Ich war enttäuscht, aber ich war auch wütend. Auf mich selbst und vielleicht ein bisschen auch auf sie, auch wenn ich nicht wirklich wusste, wieso.

„Weißt du was? Ja, ich habe mich in den scheiß letzten zwei Wochen in dich verliebt. Mir wurde klar, dass ich lesbisch bin und als wir uns geküsst haben, hat es sich so angefühlt, wie es immer beschrieben wird. Als hätte jemand ein Feuerwerk in meinem Inneren gezündet.
Diejenige, die es komisch finden sollte, dass wir uns geküsst haben, bist also du und nicht ich."

Ich drehte mich um und wollte gehen. Ich wollte nur noch weg von diesem Ort. Weg von Minou.

„Scheiße, Vera, warte!", rief Minou, sprang auf und rannte mir hinterher.

Ich drehte mich zu ihr um und wusste, dass mir jeden Moment die Tränen kommen würden.

„Was?", fuhr ich sie an.

„Ich wollte dir nicht das Gefühl geben, dass ...", sie brach den Satz ab.

„Dass du auch auf mich stehst? Keine Sorge, das hast du nicht", ich wollte mich wieder umdrehen, um zu verschwinden, doch ihre Hand schloss sich um meinen Nacken. Doch sie war nicht wie sonst so kalt wie Eis, sondern warm; es fühlte sich fast so an, als hätte sie sie bis eben an einem Kamin oder Lagerfeuer gewärmt.

„Ich wollte dir nicht das Gefühl geben, als würde ich es schlimm finden, dass du was für mich empfindest. Es tut mir leid."

„Gut zu wissen, vielen Dank", gab ich in einem bissigen Tonfall zurück.

„Ich wollte es einfach nur nicht wahrhaben, nachdem ich die letzten zwei Wochen damit verbracht habe, mir einzureden, dass wir nur Freunde sein können."

Zack.

Mir viel die Kinnlade runter und sie lächelte scheu.

Ich versuchte etwas zu sagen, doch es kam nichts heraus.

Vorsichtig trat sie vor mich und strich mir eine meiner Haarsträhnen hinters Ohr.

„Ich habe das schon viel zu lange machen wollen", flüsterte sie mir zu und ihr Atem kitzelte auf meiner Wange.

„Meine Frisur reparieren?", fragte ich leicht verwirrt.

„Dich küssen", antwortete sie und lachte leise.

„Aber das haben wir doch eben erst gemacht", flüsterte ich ein und sie grinste ihr wunderbar schiefes Lächeln.

„Ja, aber ich meine richtig."

Auch ich musste lächeln und sah ihr tief in die Augen. „Stimmt."

Und dann beugte ich mich vor und sie empfing mich mit leicht geöffneten Lippen und es fühlte sich besser an als Weihnachten und Geburtstag zusammen.

Zebrawelt ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt