Kapitel 23

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Ich hätte nicht sagen können, wie lange wir so dastanden. Es hätten nur Sekunden sein können oder auch Jahre, doch irgendwann spürte ich etwas Feuchtes an meiner Wange und machte mich von Minou los.

„Weinst du?", fragte ich sie etwas verirrt. Oh Gott, war ich etwa so schlecht?

Sie schüttelte den Kopf und wischte sich eine Träne weg.

„Nein, alles gut. Es ist nur ... das hier macht das ganze nicht gerade einfacher, Vera."

Autsch.

„Wieso?", fragte ich vorsichtig.

„Ich dachte immer, das wäre was Einmaliges gewesen mit dem anderen Mädchen. Aber jetzt ..."

Ich nickte langsam.

„Ich weiß auch gar nicht wie ich es allen sagen soll, weißt du? Ich meine, niemand würde doch von mir erwarten, dass ich auf Mädchen stehe."

Ich wünschte, ich könnte ihr sagen, dass niemand darauf achtet, ob sie irgendwelche Klischees erfüllt oder nicht, aber es hätte schlichtweg einfach nicht gestimmt. Ich hätte es ja ebenfalls nie für möglich gehalten.

Ich griff nach ihrer Hand. „Ich helfe dir, okay? So gut ich kann." Ich fuhr zaghaft mit dem Daumen an ihrem Handrücken entlang.

„Also natürlich nur, wenn du willst!", schob ich schnell hinterher, was sie zum Lächeln brachte.

„Danke", sie umschloss meine Hand mit ihren Fingern.

„Wenn du willst, bringe ich dich nach Hause", bot ich an und sie nickte dankbar.

„Gerne."

Wir liefen schweigend die Straße entlang, aber die Stille störte mich nicht, schließlich hielt ich immer noch Minous Hand in meiner. Ich hatte also alles, was ich brauchte.

An der letzten Ecke vor ihrem Haus blieb Minou plötzlich stehen.

„Ich glaube, das letzte Stück gehe ich lieber allein."

„Okay", ich lächelte sie an. „Verständlich."

Ich verstand es natürlich nicht, aber sie musste ja nicht jetzt schon wissen, dass ich das Taktgefühl eines Opossums besaß.

Sie betrachtete sich in der Spiegelung eines Fensters in dem Haus neben uns.

„Sehe ich sehr verheult aus?", erkundigte sie sich und ich schüttelte den Kopf. „Nein, alles gut."

Sie nickte, atmete tief durch und umarmte mich dann.

„Danke", sagte sie leise. „Für alles."

Ich streichelte ihr unsicher über den Rücken. „Gleichfalls."

Sie machte sich von mir los und lachte. „Gleichfalls? Vera wie alt bist du denn? 40?"

„Ehm", antwortete ich verlegen.

Sie verabschiedete sich und verschwand dann um die Ecke. Ich blieb noch kurz etwas perplex an Ort und Stelle stehen, bis auch ich mich auf den Nachhauseweg machte. Mir stand noch eine unangenehme Aufgabe bevor.


Zuhause angekommen ließ ich mich auf mein Bett fallen und zog mein Smartphone hervor, um Simon zu schreiben.

„Können wir reden?", tippte ich ein, löschte den Text dann jedoch direkt wieder.

„Wir müssen reden", versuchte ich es erneut, doch auch diese Nachricht schickte ich nicht ab.

„Ich muss dir was erzählen", schrieb ich in das Textfeld und drückte auf 'senden', bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte.

Simon kam sofort online.

„Jo, was gibt's?", leuchtete in der kleinen Sprechblase auf.

„Persönlich?", schrieb ich zurück.

„Gerade nicht so gut, bin bei Isa :D", antwortete er prompt und schickte eine Sekunde später ein „Sorry" hinterher.

„Ok", tippte ich und warf das Handy neben mir auf die Bettdecke.

Aber vermutlich war es besser so, ich sollte das ganze vielleicht erst einmal selbst verdauen und in Ruhe mit Minou sprechen, bevor ich das alles mit Simon beredete.

Ich klappte meinen Laptop auf und versuchte mich mit einer Folge Modern Family abzulenken, aber meine Gedanken schweiften immer wieder zurück zu dem vergangenen Abend. Und zu Minou.

Der Fakt, dass sie nicht nur auch auf Mädchen steht, sondern auch noch auf mich, war so unrealistisch, dass ich es eigentlich einfach nicht geglaubt hätte, wäre da nicht der Kuss gewesen.

Oder die zwei Küsse, aber laut Minou zählt der erste ja nicht.

Ich bemerkte, dass ich wieder auf der Innenseite meiner Wange rum biss. Ich musste das wirklich mal unter Kontrolle kriegen.

Ich dachte darüber nach, was Minou darüber gesagt hatte, dass sie nicht wüsste, wie sie sich outen solle und auf einmal wurde mir klar, dass es für sie wirklich noch schwieriger sein musste als für mich – nicht nur, dass es niemand von ihr erwarten würde, es würde auch alle viel mehr interessieren als bei mir.

Wen von unseren Mitschülern interessiert schon die Sexualität irgendeines Mädchens, das eh keiner kennt.

Aber Melissa Lords beste Freundin? Der ganze Jahrgang würde darüber reden!

Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen und hätte sie umarmt, aber das wäre wohl reichlich komisch gekommen.


Ich gab es auf, zu versuchen, mich mit irgendwelchen Serien abzulenken und beschloss, schlafen zu gehen. Morgen war auch noch ein Tag.

Zebrawelt ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt