Kapitel 17

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Ich schloss die Augen, atmete einmal tief durch und starrte danach weiter an die Decke. Ich hatte mich in Minou verliebt. In Melissa Lords beste Freundin, die eigentlich wirklich nett war. In ein Mädchen. In ein Mädchen!

Ich krallte beide Hände in das Bettlaken und versuchte mit dem Gedanken fertigzuwerden, dem ich so lange erfolgreich aus dem Weg gegangen war.

Ich zwang mich, mich immer wieder daran zu erinnern zu atmen. So viel schoss mir durch den Kopf und ich fragte mich, wie mein zukünftiges Leben wohl aussehen würde.

Ich fragte mich auch, ob ich es nicht schon viel früher gewusst hatte, es mir nur nicht eingestehen wollte. Sonst hätte ich wohl nicht so reagiert, als Simon gestern Abend in meinem Zimmer aufgetaucht ist. War das wirklich noch nicht mal 24 Stunden her? Es kam mir vor wie ein halbes Leben.

Ich fragte mich, ob ich vielleicht bi war, schließlich hatte ich bisher auch noch nie etwas für ein anderes Mädchen empfunden. Das hatte ich doch noch nie, oder? Schlagartig wurde mir bewusst, dass es definitiv eine Menge Anzeichen gab: Schauspielerinnen, die ich etwas zu hübsch gefunden hatte – nein, hübsch war das falsche Wort, ich hatte sie attraktiv gefunden, es nur einfach nie wirklich realisiert.

Mir kam der Gedanke, dass, wenn es schon so schwer war, es mir selbst einzugestehen, ich es doch niemals jemand anderem erzählen könnte, oder?

Ich biss mir wieder auf die Innenseite meiner Wange, die immer noch etwas angeschwollen war, und plötzlich wurde mir klar, dass es eigentlich gar nicht so schwer ist, es jemand anderem zu sagen, wie sich selbst. Aber dennoch, ich würde es nicht sofort tun, ich wollte mir erstmal sicher sein. Ich meine, es gibt ja immer noch die Chance, dass ich mich da nur reinsteigere, oder nicht?

Und ich wüsste auch gar nicht, vor wem ich mich zuerst outen sollte. Oder generell, wer hatte denn überhaupt ein Recht darauf es zu wissen? Simon? Lina? Meine Eltern?
Niemand, beschloss ich, das gehörte mir. Zumindest erstmal.

Ich überlegte, wie Minou wohl reagieren würde, wenn ich ihr jemals offenbaren würde, dass ich ...

Nein, das war unmöglich, ich könnte es ihr niemals erzählen, sie würde danach bestimmt nie wieder mit mir reden oder noch schlimmer: Es Melissa erzählen und dann ...

Ich wurde von ein paar lauten Geräuschen, gefolgt von einem noch lauterem Fluchen, aus meinen Gedanken gerissen. So wie es klang, war unten irgendwem irgendetwas runtergefallen.

Ich beschloss, dass ich nun genug geschmollt hatte und tapste auf Socken die Treppe runter.

Als ich die Küche betrat, sah ich, wie Christina auf dem Boden kniete und Scherben aufsammelte.

„Ist alles okay?", fragte ich. Sie wirbelte herum.

„Jo, alles gut, mir ist nur ein Teller runtergefallen, als ich ..."

Sie musterte mein Gesicht. „Sag mal ist denn bei dir alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen."

Ich spürte, wie mich die Panik durchflutete. „Ja, auch alles gut, mir war heute über den Tag nur ein bisschen schlecht."

Langsam fragte ich mich, ob ich wohl ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen werden würde – dafür, dass ich die gleiche Lüge an einem Tag jetzt bestimmt schon hundert Mal benutzt hatte.

Chrissy nickte langsam und widmete sich dann wieder den Porzelanscherben. „Hast du schon gegessen?"

Ich schüttelte den Kopf und nahm mir dann ebenfalls einen Teller. Im Gegensatz zu ihr ließ ich ihn jedoch nicht fallen.

Nachdem wir gegessen hatten, ging ich wieder hoch und klappte meinen Laptop auf.

Ich hatte beschlossen, weiter an unserem Projekt zu arbeiten, denn allein der Gedanke, Minou wiederzusehen, bereitete mir schon fast körperliche Schmerzen.

Ich verlor mich in einer Welt aus Fakten und Daten, einer Welt, die so viel mehr Sinn machte und die ich so viel besser verstand als meine Eigene zurzeit, und ich sah erst wieder hoch, als ich fertig war.

Ein kurzer Blick auf die Zeitanzeige meines Laptops sagte mir, dass es bereits vier Uhr morgens war; mein Schlafrhythmus war damit jetzt wohl auch erst mal im Arsch.

Ich speicherte alles sorgfältig ab und ließ mich dann todmüde ins Bett fallen.

Der einzige Gedanke, den ich noch fassen konnte, bevormir die Augen zufielen, war der, dass ich nicht wusste, ob es eine gute Idee war, das Projekt fertig zu stellen. Aber ich hatte nicht mehr genug Zeit, um darüber nachzudenken, denn ich fiel augenblicklich in einen traumlosen, unruhigen Schlaf.

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