Kapitel 21

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Ich fühlte ihre Lippen auf meinen und hatte das Gefühl zu schweben. Ihr Geruch, den ich jedes Mal wahrgenommen hatte, wenn ich ihr nahgekommen war, schien mich jetzt zu umschließen. Und es fühlte sich so richtig an, so unglaublich richtig.

Ich wollte nie wieder aufhören, wollte nie wieder ohne den Geschmack ihrer Lippen leben müssen, doch sie löste sich irgendwann von mir.

Melissa lachte überrascht auf. „Okay, das kam jetzt unerwartet."

Minou ließ sich zurück gegen die Sofalehne sinken. „Tja, du hast es doch so gewollt, oder nicht?"

Ich blinzelte sie verwirrt an. Sie hatte es nur gemacht, um Melissa zu provozieren. Natürlich hatte sie es deshalb gemacht.

Ich spürte, wie mir langsam die Tränen hochkamen und kämpfte mit aller Kraft dagegen an; das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen konnte, war vor der gesamten Gruppe loszuflennen.

„Ich ...", stotterte ich und verfluchte mich augenblicklich dafür, den Mund aufgemacht zu haben. Sofort setzte Minou sich wieder aufrecht hin und sah mir forschend in die Augen. Ich versuchte, ihre Mine zu lesen, doch ich konnte das, was ich sah, nicht deuten.

„Ich ...", fing ich noch einmal an und diesmal klang meine Stimme fester. „Ich sollte vermutlich langsam los."

Melissa lächelte schmallippig. „Das solltest du wohl."

Was hatte dieses Mädchen eigentlich für Probleme?

Ich griff nach meiner Tasche und wollte die Wohnung verlassen, doch Minou hielt mich an der Schulter fest.

„Ich komme mit."

Ich hörte Melissa leise lachen, doch das schien Minou nur noch mehr zu bestärken.

„Komm", sie griff energisch nach meinem Handgelenk und zog mich hinter sich aus der Wohnung raus.

Wir liefen schweigend die Stufen im Treppenhaus runter und die Straße entlang. Erst als wir um die nächste Ecke gebogen waren, brach ich das Schweigen.

„Was zur Hölle war da eben los?", fuhr ich sie an und mein Tonfall klang härter als beabsichtigt.

„Geht dich nichts an", gab Minou zurück und beschleunigte ihr Tempo noch weiter.

Es reichte mir langsam und ich hielt sie an der Schulter fest.

„Es geht mich nichts an? Wir haben uns eben geküsst, falls dir das noch nicht klar war. Das geht mich ja wohl auf jeden Fall etwas an!", rief ich aufgebracht.

Minou wurde rot. „Es ... tut mir leid."

„Das ist mir egal! Ich will einfach nur wissen wieso, okay?" Ich wusste nicht, woher ich plötzlich diese Selbstsicherheit nahm.

„Es ist ...", Minous Stimme brach ab.

„Es ist was?", meine Geduld war nun endgültig am Ende.

Minou ließ die Schultern sacken und starrte auf die Spitzen ihrer Schuhe. Ich witterte meine Chance und setzte zu einem letzten Überzeugungsversuch an. Ich griff nach ihrem Kinn und zwang sie, mich anzugucken.

„Es – ist – was?", die Pausen, die ich zwischen den Worten ließ, führten dazu, dass es klang, als wäre jede Silbe ein einzelner Satz. Minous Unterlippe begann zu zittern.

„Sprich mit mir, Minou", verlangte ich.

„Okay", ihre Stimme war so leise, dass ich sie fast nicht verstehen konnte. Sie befreite ihre Schulter von meiner Hand und zog mich hinter sich her.

„Wo gehen wir hin?", fragte ich sie, doch sie schwieg und setzte einfach ihren Weg fort.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bog sie unerwartet rechts ab und führte mich durch eine schmale Gasse in einen winzigen Park, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte.

Sie steuerte auf zwei verlassen wirkende Schaukeln zu, die umgeben von einer kleinen Sandfläche am Rande des Parks thronten, und ließ sich auf die eine Schaukel sinken. Ich nahm links neben ihr auf der anderen Platz.

„Wo sind wir hier?", fragte ich leise. Sie zuckte fast unmerklich mit den Schultern.

„Meine Tante ist hier früher immer mit uns hingegangen, als sie auf uns aufgepasst hat", flüsterte sie.

Ich nickte und ließ es darauf beruhen. Vorsichtig stieß ich mich ein wenig vom Boden ab und augenblicklich begann meine Schaukel sich sachte vor und zurück zu schwingen. Auch Minou hatte mittlerweile angefangen zu schaukeln.

„Also?", hakte ich nach. „Du wolltest mir doch noch was erzählen?"

Ich betrachtete ihr Profil, während sie geradeaus ins Nichts starrte.

„Ich ...", begann Minou und ihre Stimme brach ab.

Ich versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu halten, denn ich wusste, dass das, was jetzt kommen würde, wichtig war. Ich hatte Minou noch nie so verletzlich erlebt.

„Ich hatte mal was ...", versuchte Minou erneut den Satz zu vollenden und ich sah eine Träne in ihrem rechten Auge schimmern.

„Ich hatte mal was mit ...", sie schluckte und die Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und kullerte ihre Wange hinab.

Ich grub meine Fersen in den Sand, um meine Schaukel zu stoppen, und ging zu dem weinenden Mädchen hinüber und kniete mich vor ihr in den Sand.

Ich bremste ihre Schaukel ab und umschloss dann behutsam mit meiner Hand ihr Gesicht. Vorsichtig fuhr ich mit dem rechten Daumen über ihren Wangenknochen, um die Träne wegzuwischen, was jedoch nur dazu führte, dass sie noch mehr weinte.

Sie griff nach meiner Hand und zog sie von ihrem Gesicht weg, wobei ich spürte wie stark ihre Finger zitterten.

„Tu das nicht, sonst heule ich nur noch mehr", sie lachte leise.

„Was ist denn los? Minou, bitte erzähl es mir!", ich kniete immer noch vor ihr im Sand.

Sie lachte noch einmal leise auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Es ist eigentlich furchtbar albern ... ich will nur nicht, dass du dich danach komisch fühlst oder so", gestand sie.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir haben uns gerade geküsst, ich wüsste nicht, was du sagen könntest, um das zu übertreffen."

Sie grinste wieder schief. Oh Gott, ich liebte dieses Lächeln einfach.

„Darum geht es ja gerade", sie deutete mit dem Kopf eine kleine Bewegung nach links an, so als würde sie mich bitten, mich wieder auf die Schaukel zu setzen. Ich tat ihr den Gefallen.

Ich hatte gerade wieder ein bisschen Anschwung genommen, als Minou damit herausplatzte.

„Ich hatte mal was mit einem anderen Mädchen und Melissa weiß davon."

Ich hätte mich fast verschluckt.

„Du hattest was?"

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