Kapitel 9

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Veronica war noch unterwegs, deshalb nutzte ich die Zeit und las. Nicht in dem chinesischen Schmöker, verständlicherweise. Es war eines der Bücher, die ich mir in den Sommerferien gekauft hatte, aber nicht zum Lesen gekommen war.

Die Geschichte war simpel aufgebaut, dennoch unglaublich kompliziert. Sie spiegelte mein eigenes Leben wieder. Das gefiel mir. Binnen drei Stunden war ich schon am Ende angelangt. Erleichtert schlug ich die letzte Seite zu. Es war nach Mitternacht. Eigentlich sollte ich schlafen gehen, da ich für den morgigen Tag fit sein wollte, doch ich fühlte mich gar nicht müde. Mein Blick fiel auf die Broschüre, die auf Veronicas Nachttisch lag. Ich ging näher hin. Sie hatte die Doppelseite aufgeschlagen, auf der die Einrichtungen des Colleges abgebildet waren. Mein Blick fiel prompt auf das größte Bild, ein Foto des Schwimmbads. Schwimmbad. Abkühlung hörte sich verlockend an. Das Schwimmbad, das aus einem länglichen Sportbecken und mehreren Liegen bestand, schloss eigentlich schon um achtzehn Uhr, doch aus eigener Erfahrung wusste ich, dass dem nicht so war und das Bad rund um die Uhr geöffnet war.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schnappte ich mir kurzerhand ein Handtuch und zog mir meinen Sportbikini über. Ich huschte durch die leeren, dunklen Flure, entlang des ganzen Ostflügels, bis in den Gang, der nach Chlor roch. Ich mochte den Geruch irgendwie. Sollte mich jemand erwischen, war ich im Arsch. Schnurstracks ging ich durch die Umkleidekabinen und da war ich. Der Pool war an den Seiten mit dunkelblauem Neonlicht beleuchtet, was mir Flashbacks an die langen Sommernächte des letzten Semesters, die Jo und ich auf den genialsten Partys verbracht hatten. Doch diesen Lebensstil hatte ich aufgegeben. Ich war disziplinierter geworden und konnet mir nun nicht mehr alles erlauben. Nun, das schon. Sofort bereute ich wieder, dass ich hierher gekommen war. Entdeckte mich jemand, würde ich in hohem Bogen vom College fliegen. Ich stieg in das kalte Wasser. Es war nicht eiskalt, sondern eine angenehme Erfrischung. Ich stieß mich vom Beckenrand ab und schwamm eine Länge. Ich war schon ewig nicht mehr geschwommen. Ich bildete mir ein, dass ich es sogar ein bisschen verlernt hatte. Mein Dad hatte mir das Schwimmen gelernt. In Oregon, am Pazifik. Er meinte, er sei einer der besten Schwimmer gewesen, als er noch in seiner Heimatstadt in Mexiko lebte. Man sagte ihm, dass er zweifellos einmal Profi-Sportler werden könnte, wenn er so weitertrainierte. Sein Körper blieb durchaus trainiert, doch das kam nicht wirklich vom Schwimmen, aber er machte nie eine Karriere als Profi-Sportler, sondern ergriff die Karriere als Schwerverbrecher. Er sagte immer, er sei unschuldig und hätte nichts mit den Verbrechen zu tun. Ich wollte ihm vertrauen. Wirklich. Doch es gab so viele Beweise, dass es mir schwerfiel, ihn nicht zu beschuldigen. Wenn ich fragte, ob er ehrlich nichts mit den Verbrechen am Hut hatte, begann er zu weinen und schluchzte: "Meine eigene Familie. Meine einzige Tochter. Wenn ihr mir nicht einmal glaubt, wie sollen mir dann die Cops glauben?" Eigentlich war mein Dad ein liebenswerter Mensch. Er wirkte von außen hart, doch besaß einen weichen Kern. Leider war er jedoch mit den falschen Leuten in Kontakt getreten, was ihm dann zum Verhängnis wurde.

Ich kam erst wieder richtig ins Schwimmen rein, als ich mehrere Längen hin und her geschwommen war. Es war so befreiend. Ich fühlte mich so frei wie ein Vogel. Ein ertrinkender Vogel. Nein, ein Vogel der schwimmen konnte. Ein Schwan vielleicht. Nein, ich war eher der Pinguin-Typ. Plötzlich hörte ich ein Poltern. Ich zuckte zusammen und hielt ohne, dass ich es bemerkte die Luft an. Ich fuhr herum. Niemand zu sehen. Hatte ich mir das nur eingebildet? Doch da war noch ein Poltern. Wieder hielt ich die Luft an. Ich klammerte mich am Beckenrand fest. "Hallo?", rief ich leise. Nichts geschah. "Hallo?", rief ich noch einmal lauter. Da schwang die Tür auf. Mein Herz pochte. Fuck, wie konnte ich nur so dumm sein? Niemand hätte mich bemerkt, hätte ich mit den Schreien nicht selbst auf mich aufmerksam gemacht.

Ich erkannte eine dunkle Silhouette, die mir immer näher kam. Ich versuchte unterzutauchen, doch es war zu spät - man hatte mich entdeckt.

"Ich muss Sie bitten, sofort hier rauß zu kommen!"

Toxic SparksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt