Kapitel 5

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"So, und hier wären wir bei der Bibliothek. Sie steht euch von Montag bis Freitag, von acht bis siebzehn Uhr und samstags von zehn bis fünfzehn Uhr zur Verfügung.", beendete ich meinen Teil des Vortrags über den Campus. Die Hälfte von dem Zeug, das ich seit fünf Stunden von mir gab, war gelogen.

Es war Spätsommer und Florida wurde dem Namen Sunshine-State heute definitiv gerecht. Mein T-Shirt war von Schweißflecken durchtränkt und ich war mir sicher, dass ich einen Sonnenstich erlitten hatte. Zumindest war Veronica nicht in meiner Gruppe. Doch sie hatte in den wenigen Stunden schon reichlich Anschluss gefunden, da sie in der Mittagspause bereits von einem Dutzend Mädchen verfolgt wurde. Himmel, was ich vor einem Jahr noch alles getan hätte, um Anschluss zu finden. Ich wäre wortwörtlich über Leichen gegangen.

Doch nach der Mittagspause war plötzlich dieser mysteriöse Neue zu meiner und Jos Gruppe gestoßen, woraufhin Jo und die Freshmen-Mädchen ausflippten. Er warf mir einige Male verschmitzte Blicke zu. Vor allem dann, als ich über das Verbot von Geschlechtsverkehr am Gelände berichtete. Ich ignorierte seine Anspielungen geschickt und vermied jeglichen Blickkontakt. Ganz ruhig, Tamika, hier sind noch zwanzig andere Studenten, es fällt nicht auf, wenn du nie nach rechts schaust, redete mich immer wieder ein, bis mich ein gerissenes Mädchen fragte, ob ich mir denn das Genick verrenkt hatte, weil ich immer nur nach links schaute. Ich wurde knallrot und dieser Neue prustete leise los. Glücklicherweise besaß er jedoch das Fünkchen Anstand, nur wenige leise Laute von sich zu geben.

Nun folgte die Vorstellungsrunde. Gott, ich kam mir vor, als wären wir in der Vorschule. Konnte nicht einfach jeder sagen, wie er hieß? Ich würde die Namen innerhalb von zwei Minuten ohnehin wieder vergessen. Wir setzten uns in das ausgetrocknete Gras des Campus-Parks. Jo amüsierte sich prächtig. Den ganzen Tag lang hatte mein sonst so gesprächiger bester Freund maximal vier Sätze von sich gegeben.

"Also, ich denke, dass unser Zusammenhalt gestärkt werden sollte, indem wir uns gegenseitig mehr über unser Selbst verraten." Man merkte zweifellos, dass ich das hier vor dem Spiegel geübt hatte. Ich hörte mich an wie ein englischer Dichter aus dem 18. Jahrhundert. "Ich beginne. Mein Name ist Tamika. Ich bin zwanzig Jahre alt und komme aus Seattle. Meine Hobbies sind ..." Verdammt, was waren meine Hobbies? Ich hatte soeben bemerkt, dass ich keinerlei Leidenschaften hatte. "...Zeichnen und Kochen. Ich studiere mittlerweile seit zwei Semestern Astronomie und Sinologie und das war's eigentlich von mir. Ihr könnt bei Fragen oder irgendwelchen Angelegenheiten jederzeit zu mir kommen!"

Ich rempelte Jo an. Doch der blieb stumm. Er inspizierte seine Nägel und kratze daran herum. "Jo", fauchte ich und versuchte das freundliche Lächeln aufrecht zu erhalten. "Jo, sag jetzt was!", fauchte ich diesmal eher verzweifelt, als verbissen.

"Hm, was?", fragte er.

"Du sollst dich vorstellen.", erklärte ich kleinlaut. Die meisten Freshmen lachten mittlerweile und ich konnte erkennen, wie die Kieferknochen des Neuen bebten.

"Oh ja, klar. Nun ja, ich bin Joseph und bringt mich bitte nicht mit irgendeiner biblischen Figur in Verbindung, denn ich bin alles andere als religiös." Die Menge begann zu kichern. "Ich bin genauso alt wie meine fabelhafte Freundin und Verbündete hier. Wir kennen uns schon seit Kindergartentagen und ich habe einige ziemlich peinliche Fotos von ihr. Also falls ihr sie mal erpressen wollt, wendet euch an mich! Im Gegensatz zu dieser langweiligen Kreatur studiere ich allerdings Kunst und bevor ihr fragt - ja, meine Bilder sind absolut hervorragend. Meine Vorlieben sind Twitter und Regenbogenparaden. Ihr könnt euch auch jederzeit an mich wenden, allerdings nur wenn ich euch mag." Er zwinkerte.

Ich stöhnte auf. Natürlich hatte Jo wieder einmal übertreiben.

Nach und nach berichteten die Freshmen über sich selbst, doch ich hörte nicht wirklich zu und nickte nur nach jedem Satz, als würde ich mich auch nur im geringsten für ihre Interessen interessieren. Doch dann sprach er als Letzter in der Runde. Seine Stimme war tief, angenehmer, als ich zugeben wollte. Eine Stimme, die jede Frau hören will, wenn sie zu Bett geht und wenn sie aufwacht. Alle Frauen, außer ich.

"Hey. Ich bin Weston Royd und komme aus New York City. Die meisten Menschen nennen mich West, Ich, ähm, spiele gerne Baskettball und ... äh, ja das war's. Ich war die letzten zwei Jahre auf einem anderen College und musste hierherkommen. Mein Studiengang ist Astronomie." Meine Kehle wurde trocken. Er hob eine Augenbraue hoch und grinste hämisch. Weston. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber irgendwie gefiel mir der Name. Er passte zu ihm.

"Gut, dann hätten wir das. Somit hätten wir die Besichtigung erledigt. Ihr könnt euch natürlich noch etwas umsehen.", sagte ich, "Ich hoffe, ich und äh, Jo konnten euch behilflich sein. Bei Problemen und Fragen, könnt ihr euch jederzeit an uns wenden. Aber vorab verabschieden wir uns und wünschen euch einen schönen Nachmittag." Ich versuchte zu lächeln, doch spürte, dass Westons Blicke auf mir hafteten und brachte nur eine seltsame Grimasse zustande. Jo, der in sein Smartphone vertieft war, hatte nicht bemerkt, wie die Studenten nach und nach den Park verließen. Erst als ich rüttelte, war er verwundert, wo denn die ganzen Leute hin waren.

"Entschuldigung?", sagte jemand und rempelte mich von hinten an. Ich drehte mich um. Da stand er. Hämisches Grinsen und eine Hand am Hinterkopf.

"Was ist?", fragte ich und gab mir nicht einmal die Mühe, meine Anspannung zu verbergen, wie ich es wohl bei den anderen Studenten getan hätte.

"Weißt du, wo ich zu meinem Zimmer komme?", fragte er.

"Woher soll ich wissen, wo dein Zimmer ist?"

"Du bist vorhin dort gewesen."

"Wann war vorhin?"

"Als du mit deinem Kumpanen hier unterwegs warst." Er reckte den Kopf zu Jo, der mich nicht gerade unoffensichtlich betrachtete. Er nickte freudig und streckte einen Daumen in die Höhe. Ich vergrub mein Gesicht in der Handfäche.

Da erinnerte ich mich wieder. Wie er mich vorhin angesehen hatte. Zerbrechlich und unsicher, was dem Rest seines Erscheinungsbilds kaum standhielt. Er hatte alles andere als selbstbewusst ausgesehen. Fast schon traurig.

"Tut mir leid, aber ich weiß nicht, was du meinst.", log ich. Er sah zu Boden. Ich wusste nicht, ob die Enttäuschung nur gespielt oder echt war. Doch im selben Moment fühlte ich mich schlecht. Ich mochte diesen Menschen keineswegs, aber dennoch zerbrach etwas in mir, als ich ihn so sah.

"Ist schon gut.", meinte er schulterzuckend, "Ich finde übrigens, dass du das heute echt gut vorbereitet hast."

Ich fühlte, wie meine Wangen zu glühen begannen. "Da...danke.", murmelte ich und biss mir auf die Unterlippe.

"Weißt du, jetzt kann ich mich doch wieder erinnern, was du gemeint hast."

"Hm?" Er blickte auf.

"Das Zimmer. Ich kann dir zeigen, wie du dort hinkommst.", erklärte ich.

"Oh nein, ist nicht nötig." Er winkte ab. "Ich wusste den Weg die ganze Zeit über.", sagte er so leise, dass ich es unter normalen Umständen überhört hätte.

"Okay, dann ...  Tschüss."

"Ja. Tschüss."

Toxic SparksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt