Kapitel 11

16 3 0
                                    

"Tami, du musst irgendwann wieder aus deinem Zimmer raus.", redete Jo auf mich ein.

"Nein. Ich muss gar nichts.", protestierte ich lautstark.

"Was ist überhaupt vorgefallen?"

"Ich möchte darüber nicht sprechen."

"Du kannst mir doch alles sagen. Das weißt du."

Ich schüttelte den Kopf. "Mir ist übel. Und ich habe Kopfschmerzen. Vielleicht Migräne oder so."

"Als ob ich dir den Blödsinn abkaufen würde. Gestern hattest du noch Gliederschmerzen."

"Jo, richte einfach aus, dass ich nicht zu den Vorlesungen erscheinen kann und fertig."

"Nichts fertig. Du wirst jetzt aus diesem Loch rauskommen. Es stinkt hier ja schon richtig." Er rümpfte die Nase.

"Wenn man krank ist, schwitzt man eben viel."

"Mag schon sein, dass das bei Leuten, die wirklich krank sind zutrifft. Aber du stinkst, weil du deinen Arsch seit einer halben Woche nicht mehr aus dem Zimmer bewegst."

"Na und? Lass das mal meine Sorge sein."

"Wie haltet Veronica das hier bitte aus?"

"Die? Die ist umgezogen. Sie meinte, ihre Matratze sei kaputt."

"Das heißt, du bist hier ganz allein?"

"Jap. Und das ist auch gut so."

"Nein, das ist ganz furchtbar. Ich werde heute bei dir bleiben."

"Gar nichts wirst du. Geh zu deinen Vorlesungen!"

"Nur wenn du zu deinen gehst."

"Keine Chance."

"Gut, dann werde ich hier bleiben."

"Jo, ich brauch einfach Ruhe."

"Ich bin leise. Versprochen."

"Nein, ich meine, dass ich Zeit für mich selbst brauche. Nur für mich."

"Die Zeit kannst du nachmittags haben. Aber wir sind nicht am College, um Trübsal zu blasen, Fräulein."

"Dann beende ich mein Studium eben."

"Das wirst du ganz bestimmt nicht tun."

"Und wie ich das tun werde."

"Wo magst du dann arbeiten?"

"Weiß nicht. Vielleicht an der Tankstelle."

"Tami, das ist doch nicht dein ernst."

"Doch, doch. Und dann lasse ich mich von jedem x-Beliebigen schwängern und irgendwann schreibe ich eine Biografie darüber und scheffel haufenweise Kohle."

"Auch wenn ich die Vorstellung von vielen kleinen Tamis ganz entzückend finde, kann ich das nicht zulassen."

"Ist doch mein Leben."

"Das hier ist nicht mehr dein Leben, seit dieser komische Kummer es übernommen hat."

Ich warf den Kopf zurück und schloss die Augen. Ich seufzte unglücklich.

"Bemitleide dich nicht selbst."

"Muss ich doch, wenn du es nicht tust."

"Ich kann dich nicht bemitleiden, wenn ich nicht einmal weiß, was Sache ist."

Ich streckte die Zunge heraus.

"Tami, benimm dich nicht wie ein Kleinkind. Diese Zeiten sind vorüber. Aus und vorbei."

"Wenn du ein Problem mit mir hast, darfst du liebend gern gehen."

"Mach ich liebend gerne. Aber du musst mitgehen. Und wenn ich dich eigenhändig zum Hörsaal schleppen muss."

Er spazierte zu meinem Kleiderschrank und öffnete ihn. Er kramte darin herum und warf danach etwas auf mein Bett.

"Jo, was machst du da?"

"Wenn du inkompetent bist, dich selbst fertig zu machen, muss ich es eben tun."

Dann kam er zu mir, kramte in meinem Kulturbeutel herum und holte mein Duschzeug und Zahnbrüste sowie Zahncreme heraus. Schließlich zog er mich, bis ich mit hartem Aufprall vom Bett fiel und zog mich dann zur Tür.

"Magst du wirklich von mir bis zum Waschraum gezogen werden. Ich verdrehte die Augen und stand auf. Ich hatte ja keine andere Wahl. Wir gingen zu den Waschräumen.

"So und jetzt geh da rein. Ich werde genau hier stehen bleiben. Und wenn du versuchst zu entwischen, werde ich mir etwas Schlimmes überlegen müssen."

Ich taumelte in den Waschraum, der überraschenderweise leer war. Ich sah in den Spiegel. Ich sah wirklich furchtbar aus. Dunkle Ringe hatten sich unter meinen Augen gebildet und ich war blass. Meine Gesicht hatte einen seltsam grünlichen Ton angenommen. Die sonst so strahlend weißen Zähne waren mit einer gelblichen Schicht bedeckt. Ich schlurfte zu einer der Duschkabinen,zog meine muffelnde Kleidung aus und stellte mich hinein. Wasser. Sofort bekam ich Flashbacks von der Nacht. Westons Lippen auf meinen. Ich würde ihn heute sehen müssen und er würde mit mir reden wollen. Das Wasser rann über meine nackte Haut, wie seine Berührungen. In jener Nacht. In jenem Schwimmbecken. Ich wollte die Bewegungen verscheuchen. Abschütteln. Ich cremte mich mit dem Duschgel ein und massierte das Shampoo in meine Kopfhaut ein. Der Schaum brannte in meinen Augen, doch zumindest lenkte mich das ab. Ich schnappte mir zwei Handtücher. Das eine wickelte ich um meinen Körper, das andere verwendete ich für einen Turban. Anschließend zog ich mir Slip und BH an und wollte nach T-Shirt und Hose greifen, erinnerte mich dann, dass Jo mir gar nichts zum Anziehen mitgenommen hatte. Ganz toll. Jetzt konnte ich in einem Handtuch umwickelt durch die Gänge bis zu meinem Zimmer spazieren und alle Aufmerksamkeit auf mich lenken.

Ich öffnete die Tür und steckte meinen Kopf durch den kleinen Schlitz. "Jo, bring mir sofort meine Klamotten."

Doch Jo war gar nicht mehr da. Ich sah mich um. Kein Jo weit und breit. Dieser verdammte Heuchler. Das würde ein Nachspiel haben. Gott sei Dank war der Flur weitgehend leer und ich konnte beinahe unbemerkt zurück zu meinem Zimmer gehen. Die Minderheit von Studenten, die sich am Flur befand, sah mich komisch an. Doch niemand sagte etwas.

Auf meinem Bett lagen meine Klamotten. Ich begutachtete sie. Ein beiges, geripptes Tanktop und weiße, weit ausgeschnitte Jeans. Diese Sachen gehörten definitv nicht mir. Sowas besaß ich im Traum. Veronica musste die Sachen hier vergessen haben. Ich wollte diese Sachen um keinen Preis anziehen, doch die anderen Sachen lagen alle in einer Tasche mit all den stinkenden Sachen, die ich in den letzten Tagen getragen hatte. Also hatte ich wohl keine andere Wahl. Ich zog die Sachen über und sah mich in den Wandspiegel. Das Top reichte gerade mal über meine Brüste. Doch mir gefiel es irgendwie. Aber war das nicht zu gewagt? Hatte Veronica zufällig einen Pullover vergessen, den ich überziehen konnte, um Haut zu verdecken. Ich kramte im Kleiderschrank herum. Gar nichts. Was würde dieses Mädchen wohl im Winter anziehen? Oder sie hatte die Wintersachen mit in ihr neues Zimmer genommen. Mit einer hellbraunen Weste wurde ich schließlich fündig. Die würde wohl reichen müssen.

Ich war mit diesem Kleidungsstil noch immer nicht vertraut, aber welche andere Wahl hatte ich schon? Unsicher spazierte ich durch die Gänge und bemerkte, dass so ziemlich jeder so angezogen war und ich nicht weiter auffällig war.

Nahe der Kantine traf ich Jo. Er winkte und kam sofort zu mir.

"Hervorragend siehst du aus." Ich zeigte ihm dem Stinkefinger und ging an ihm vorbei.

Bewusst setzte ich mich neben eine Truppe Mädchen, mit denen ich mich relativ gut verstand. Jo wollte, das ich mich an seinen Tisch setzte, doch ich wehrte mich mit Händen und Füßen. Vor allem. Weston konnte ich niergends sehen. Er kam auch nicht nach und ich bezweifelte, dass er schon gegangen war. Ich wollte darüber glücklich sein. Juhu, Tami, die Person, die du am meisten verabscheust, ist nicht hier. Doch ich war betrübt und ängstlich. War ihm etwas zugestoßen?

Toxic SparksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt