Kapitel 22

18 3 0
                                    

Westons Sicht:

Warum hatte mein Vater mich hierher geschleppt? Wollte er mich wieder dazu besinnen, seine Rolle als Boss Manhattans berüchtigster Mafia zu übernehmen? Wie jedes Mal würde ich das Angebot ablehnen müssen. Früher hatte er kein Blatt vor den Mund genommen, mir klarzumachen, dass ich ein Versehen war. Ich war das Ergebnis einer verhängnisvollen Affäre mit einer jamaikanischen Stripperin. Doch als sich herausstellte, dass ich für die Nachfolge geeignet war, schmierte er mir Honig ums Maul. Die Stiefmütter wechselten beinahe monatlich. Unser Hauptwohnsitz befand sich in Manhatten, doch wir hatten weltweit Anwesen. Falls eine Mission schiefging, hauten wir einfach ab. Ich hatte mich nie an einen Ort gebunden und war nie zu einer öffentlichen Schule gegangen. Ich wurde zu Hause unterrichtet und hatte daher nie richtige Freunde. Als mein Vater mir vor anderthalb Jahren das Angebot stellte, auf einem College die Tochter seines ehemaligen Drogenkuriers zu bespitzeln, nutzte ich die Chance, endlich mit Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen. Ich dachte die Tochter des Kuriers sei ein gewöhnliches amerikanisches Mädchen, doch sie war alles andere als das. Sie war eine Göttin. Schlagartig vergaß ich den Grund, warum ich mich an sie ranmachen sollte und es geschah alles von selbst.

Ich schreckte hoch, als mein Vater mir befahl, ich solle bestellen. Ich warf einen Blick auf die Karte.

"Ein Martini für mich, bitte", bestellte ich und drehte mich um. Fuck. Das durfte nich wahr sein.

"Tami?", rief ich entgeistert, während sie "West?", rief und das Tablett mit den leeren Gläsern darauf auf den Boden fiel.

Ein lautes Scheppern war zu hören.

Sie rannte zur Bar und holte Besen und Schaufel. Ich sprang auf und folgte ihr, woraufhin mein Vater mir nachbrüllte.

"Tami!", rief ich, doch sie kam nicht zum Stehen und rannte in eine Hinterkammer. Ich schob meine Hand durch den Spalt und drückte die Tür auf. Hinter mir schloss ich die Tür.

"Tami...", sagte ich außer Atem.

Sie sah mich an und ich erkannte einen düsteren Ausdruck in ihren dunkelbraunen Augen. Früher strahlten ihre Augen regelrecht, nun waren sie nur noch matt und das Dunkelbraun hatte einen noch dunkleren Ton angenommen, der beinahe ihren Pupillen glich.

"Hör zu, ich weiß, dass du im Moment mit höchster Wahrscheinlichkeit so ziemlich alles tun würdest, um nicht mit mir reden zu müssen, aber gib mir drei Minuten."

Sie kniff die Augen zusammen. "Eine.", sagte sie ausdruckslos. Weder wütend, noch traurig, noch erfreut.

"Tami..."

"Du hast schon fünf Sekunden verschwendet."

"Also die Sache ist die."

"Zehn."

"Ich wollte das nicht. Das an dem Abend ist mir einfach so rausgerutscht. Ich war mit meinem Kopf ganz woanders."

"Zwanzig."

"Es tut mir leid. Ich würde alles tun, um die Zeit zurückdrehen zu können."

"Halbzeit."

"Ich habe dich geliebt. Immer. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Und ich werde es auch immer tun. Ich hab's versaut, ich weiß. Dabei wollte ich dir doch nur beweisen, dass du deine harte Schale in meiner Nähe ablegen kannst."

"Du wolltest, dass ich dich küsse.", sagte sie und warf mir einen entgeisterten Blick zu.

"Ist es denn so abwegig, deine wundervollen Lippen auf meinen spüren zu wollen?"

"Deine Zeit ist vorbei. Jetzt verschwinde und lass mich in Ruhe."

Ich seufzte. Ich hatte mir die Worte, die ich zu ihr sagen würde, würde ich sie je wieder sehen, genau zurechtgelegt, in der Hoffnung, sie würde mir die Chance geben, ihr zu beweisen, dass ich wirklich alles für sie tun würde, doch sie war stur. Ihr Charakter war mir ein Rätsel. Einerseits war sie naiv und gefühlvoll, andererseits stark, stur und kalt. Doch das war es, was ich an ihr mochte. Ich wollte das Rätsel lösen.

Erschüttert machte ich mich auf den Weg zur Tür, die jedoch plötzlich von allein Aufging, als ich die Klinke herunterdrücken wollte. Ein Mann, den ich knapp überragte, stand vor mir. Sein Hautton war etwas dunkler als meiner, er trug einen Afro-Buzzcut und einen Dreitagebart. Er trug abgewetzte Jeans, ein T-Shirt, das sich über seine ausgeprägte Brust spannte und eine etwas in die Jahre gekommene Lederjacke. In seinen Händen baumelte ein Motorradhelm.

"Wer ist das? Bedrängt er dich?", fragte er mit fester, leicht rauchiger Stimme und legte beschützend einen Arm auf Tamis Schulter.

Tami sah mich kurz an und ich konnte praktisch spüren, dass sie kurz überlegte, seine Frage zu bejahen.

"Nein, alles gut.", sagte sie leise.

"Du kannst mir alles sagen, Babe."

Babe? Ich glaubte, nicht richtig zu hören. War das etwa ihr neuer ...  Verehrer?

"Es ist wirklich nichts. Nur ein alter Freund."

"Aus Florida?", fragte er und sie nickte. Zumindest hatte sie ihm ihre Vergangenheit nicht vorenthalten, tröstete ich mich.

Unerwarteterweise bewegte er sich auf mich zu und hielt mir die Hand hin. "Hey Alter, ich bin Desmond." Zuerst war ich etwas verwirrt, doch dann schlug ich ein. "Weston", sagte ich. 

Ich warf einen kurzen Blick zu Tami, die leicht verängstigt aussah. Hatte sie Desmond denn etwas verschwiegen und nun Angst, ich könnte ihm etwas verraten. "Schön, dass ihr euch kennengelernt habt, aber ich muss jetzt auch schon los." Sie marschierte aus der Kammer.

"Warte, ich fahre dich." Desmond eilte Tami hinterher.

"Woher wusstest du überhaupt, dass ich hier bin?", hörte ich Tamis Stimme abgeschwächt aus dem Gang zwischen Bar und Kammer.

Desmond: "Havana hat mir gesagt, dass du vorher in die Richtung mit so 'nem Typen abgehauen bist."

Tami: "Warum bist du überhaupt hier?"

Desmond: "Ich hab eine Überraschung für dich."


Toxic SparksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt