Odyssee

66 26 59
                                    


Dreißig Minuten, dann müsste das Telefon klingeln und Fraukes wie Maries unversehrte Befreiung bekannt geben werden. In derart kurzer Zeit diese Strecke zu bewältigen, bedeutet keine Rücksicht auf Geschwindigkeitsbeschränkungen. Ich war schnell, vermutlich zu schnell. Fünfundzwanzig Minuten und ich stand neben Großmutters Telefon.

Klingle, bitte klingle. Zeit kann ein Quälgeist sein, besonders wenn Gedanken voller Sorge einsetzen. Diese Anspannung gepaart mit Gedanken voller Zweifel können zu gewalttätigen Vorstellungen und einem zerstörerischen Kopfkino führen. Dieser Plan, wie stürme ich diesen Laden, was mache ich mit Whisky und diesem Doc. Wie reagiere ich bei Widerstand nahm immer mehr gestalt an. Meine Füße wollten bereits die Treppe hinunter, als dieses Telefon endlich einen Laut von sich gab.

„Tom Paul".

Durch den Hörer klang eine raue Männerstimme. Knapp, aber klar.

„Ich soll ausrichten, eine Marie ist mit einer weiteren weiblichen Person vor zwei Minuten abgefahren. Polizeischutz bis zum Ortsende".

Das war die Erleichterung. Zu einem Danke reichte es allerdings nicht mehr, denn mein Gegenüber hatte die Verbindung unterbrochen.

Jetzt galt es einige Vorkehrungen zu treffen. Außenlicht einschalten, das Motorrad in den Schuppen bringen und ungeduldig vor dem Haus warten. Es blieb also genügend Zeit, um einige wichtige Gedanken zu bearbeiten.

Wie würde ich mich fühlen, sich in seiner Verzweiflung hilfesuchend an die zu wenden, von denen man eigentlich Hilfe erwarten sollte. Genau dort erlebte Frauke aber den zweiten Verrat und flieht in Unterwäsche gekleidet. Verängstigt und verzweifelt erfährt sie Unterstützung und Verständnis, na ja, zweifelhaftes und sehr hinterhältiges Verständnis. Jedenfalls an einem Ort, an dem sie mit Sicherheit etwas anderes erwarten würde. Gesetzt den Wagen Fall, dass meine Freundin zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Erwartungen hatte. Wie könnte sich Frauke gefühlt haben? Ich denke, da war Enttäuschung, Wut, Selbstzweifel und Verachtung. Wie hatte es Marie dargestellt: Selbstverachtung aus zerstörter Scham. Dann präsentiert ihr eine Sandra einen Schuldigen, einen Mann, der genau in dieses Schema passt. Sie konnte ihren Frust, die Wut, dieses gedemütigte Schamgefühl besänftigen. Eine Form, der Wiedergutmachung, wenn auch eine zweifelhafte. In dieser Situation suchte sie die Schuld nicht mehr an sich, sondern konnte diese auf einen anderen übertragen. Da war einer und er übernahm unwissentlich die Verantwortung. Klar, diese Typen interpretierten es als Leidenschaft, zudem reizte sie Fraukes Jugend.

Damit war eine Abhängigkeit geschaffen und dieser Whisky nutzte es für seine niederen Zwecke. Geld. Ihn interessierte nur das Geld, das er durch Frauke verdienen konnte. Der Mensch war ihm gleichgültig.

Noch während ich mit dem Versuch beschäftigt war, diese Vorstellung zu verarbeiten, fuhr ein Auto vor. In diesem Moment durchzuckte mich nur ein Gedanke: Frauke.

Ich konnte es kaum erwarten, bis der Motor abgestellt und die Scheinwerfer ausgehen. Die fahrertüre öffnete sich und Marie stieg aus. Eine Hand auf der Türe die andere auf das Wagendach gelegt, verschwand ihr Kopf im Fahrzeuginneren. Nur Zögerlich öffnete sich die Beifahrertüre und gab Frauke, in eine graue Decke gehült frei.

Den Blick auf den Boden gerichtet, ihr Make up über das Gesicht verschmiert, mit dick geschwollenen Augen.

Wie würde die alte Frauke, die Oberhexe reagieren, wenn ich an ihrer Stelle wäre?

Gar keine Frage, mit offenen Armen auf mich zugehen, mein Gesicht in ihre Hände nehmen und es Küssen. Genau diese Verhaltensweise war meine Freundin ebenfalls Wert. Es lag an mir, sie aus dieser Falle zu befreien.

Insignien Teil 2  "Die Farben der Liebe"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt