03. Menschenmassen

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„Aber nicht mein Typ", ein Seufzen verließ meine Lippen als die Worte Joy entflohen. „Und was ist dein Typ?", Ihre blauen Augen begegneten meinen. Schluckend zuckte ich mit meinen Schultern und ließ meinen Blick eilig durch den Raum gleiten. Ich wusste nicht worauf ich stand. Also ich stand auf Männer, aber ich wusste eben nicht auf welchen Typ von Mann.

„Männer.", sagte ich perplex. Ein leises Lachen entkam den vollen Lippen. Joys Augen glitzerten provokant und ihre Hände, die von dunklen Ringen übersät waren legten sich ineinander. „Du hattest noch nie eine Beziehung?", fragte Sie, aber ihre Stimme war alles andere als überrascht. Wieso überraschte sie das nicht? „Nein.", brummte ich und erhob mich um mich zu Avery zu stellen, die sich ein Tablett schnappte und sich an die Theke anstellte. „Ganz schön voll hier oder?", sie drehte sich zu mir um und lachte leicht, weshalb ich nur ein abwesendes Nicken von mir gab. War es so deutlich zusehen, dass ich noch nie eine Beziehung hatte? War ich so durchschaubar? „Worüber denkst du nach?", Avery nahm sich etwas Essen und betrachtete mich dann von der Seite. „ach.", ich seufzte. „Sorry manchmal vergesse ich irgendwie alles um mich herum.", ein leises, albernes Lachen entkam mir. Nur lustig fand ich das ganze nicht, aber das war okay solange sie das dachte. „Okay, wenn du willst kannst du dich auch mal zu uns setzen.", sie zeigte auf einen Tisch, weshalb ich dankbar lächelte. Sie ging. Mit etwas mehr Bewusstsein als eben nahm ich mir Besteck und Teller. „Und wirst du dich zu ihnen setzen?", Joy nahm ein Tablett und betrachtete mich kurz. „Äh -nein.", ich schüttelte meinen Kopf. „Nicht heute.", erwiderte ich. Vielleicht irgendwann mal, aber heute nicht.

„Es ist nicht die Art wie du gehst oder dich bewegst.", Sie huschte vor mich und tat etwas auf ihren Teller. Ich sah auf. „Es ist die Verzweiflung und die Suche in deinen Augen die es mir verrät.", mit den Worten wandte sie sich ab und ging mit gelassenen Schritten auf den Tisch zu. Die Verzweiflung? Suche? Ich packte das Essen auf meinen Teller und setzte mich dann zu Joy. Stillschweigend aß ich mein Essen und traute mich dabei nicht auf in ihre blaue Augen zusehen. „Es ist nicht schlimm mit 16 in noch keiner Beziehung gewesen zusein.", Joys Stimme war weich. Zart. Sanft. „Ich weiß", ich zuckte mit meinen Schultern. Nur kurz streifte mein Blick ihren. Ich wusste es und doch blieb es wie ein kloß in meinem Hals stecken. Es war mir unangenehm. „Mein Bruder war damals der absolute Player.", murrte ich und rollte leicht mit meinen Augen. „Hätte ich sowas gemacht dann wäre ich sicherlich nicht so ein Held wie er.", mit meiner Hand umgriff ich das Glas und trank etwas Wasser, bevor mein Blick wieder in den von Joys glitt. Sie nickte als wüsste sie ganz genau wie das war.

„Wann wusstest du das du-", das Mädchen unterbrach mich lachend. „Das ich lesbisch bin?", ihre Augen in untersuchten mein Gesicht. „Ja.", interessiert nickte ich. „ich wusste es schon ziemlich früh.", sie schob ihr Tablett beiseite und zog ihre Augenbrauen zusammen. „Seit ich 13 bin denke ich.",  ihre Augen trafen wieder auf meine. „In diese Gesellschaft ist es schwer früh herauszufinden auf welches Geschlecht man eigentlich steht. Es wird einem eingeredet das nur Mann und Frau zusammen sein können. Manchmal bewusst aber oft auch ganz unbewusst.", Joy erhob sich, weshalb ich es ihr gleich tat. „Aber lass uns über etwas anderes sprechen.", als wir das Besteck weg gebracht hatten verließen wir den Saal und gingen den Flur entlang. „und über was?", leicht lächelnd ging ich neben ihr her. „Dein Bruder-", sie öffnete die Tür des Zimmers. „Konkurrierst du mit ihm?", sie hielt mir die Tür auf und entlockte mir damit ein dankbares Lächeln. „Ich weiß nicht.", ich zuckte mit meinen Schultern und kramte mir ein längeres T-Shirt und eine rosa Shorts aus meinem Schrank heraus. „Vielleicht.", erneut zog ich meine Schultern in die Höhe. Joy hörte nur zu. Aufmerksam. Sie sagte nichts. So genau wusste ich auch nicht was sie tat. Ob sie saß oder stand. Ob sie sich selbst Kleidung heraus suchte oder mich bloß beobachtete.

„Doch-", ich schmiss die Kleidung auf das Bett. „Doch ich denke, dass ich mich mit ihm konkurriere. Wenn auch unbewusst.", mein T-Shirt landete auf dem Boden. „Er war schon immer der bessere.", gab ich zu, während das lange t-Shirt über meinen Oberkörper glitt. „Egal um was es geht.", meine Hose fiel zu Boden und die kurze Shorts kitzelte meine kurzen beinhärchen. „Ich liebe ihn. Wirklich. Aber ich weiß, dass er immer der Liebling meiner Eltern sein wird und-", meine Stimme stoppte. „Es tut weh.", mit den Worten verschwand ich im Badezimmer.

Ich hatte keine Angst mehr, Menschen zusagen wie ich mich fühlte oder was in meinen Gedanken ab ging. Nach dieser langen Zeit; in der ich geschwiegen und gelitten hatte, lernte ich endlich zu reden. Ich hörte nicht mehr auf. Nachdem ich mich im Badezimmer Bettfertig gemacht hatte, krabbelte ich unter die warme Bettdecke und legte mich auf die Seite. Meine Augen beobachteten Joy, die ruhig auf ihr Handy schaute. „Sie hat mich manipuliert.", murmelte sie und ließ das Handy auf ihre Brust sinken. Sie sprach von ihrer Ex. „Mich vollkommen um ihren Finger gewickelt bis ich nicht mehr wusste wer sie wirklich war.", ihr Blick schweifte zu mir. „Aber jetzt bist du hier.", hauchte ich. Sie lächelte. Sanft. Behutsam. „Ja schon.", ihr Handy platzierte sich auf den Nachtisch, bevor sie sich vollkommen zu mir drehte und ihren Kopf auf ihre Hand drückte. „ich vermisse sie nicht oder diese Zeit. Es ist nur schwer zu verstehen was man alles für einen Menschen getan hat und hätte, obwohl man es vielleicht garnicht wollte.", ich nickte verstehend und schaltete das Licht der kleinen Lampe aus, die sich neben meinem Bett breit gemacht hatte. „Im Nachhinein versteht man das Ganze erst.", ergänzte ich ihre Worte. Ich konnte ihre blauen Augen noch immer auf mir spüren, selbst wenn die Dunkelheit dieses Zimmer nun vollkommen eingenommen hatte. Sie sagte nichts mehr, ebenso wie ich. Wir schwiegen. Ließen uns auf die Dunkelheit ein. Ließen uns verschlingen.

𝗟𝗘𝗦𝗕𝗜𝝠𝗡 𝗟𝝝𝗩𝗘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt