Kapitel 35

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Rachel saß auf der Terrasse und starrte in die Ferne. Der Sessel war weich und gut ausgepolstert, aber das war auch notwendig, denn jede unbedachte Bewegung bestrafte ihr Körper sofort mit Schmerzen, die sie nicht einmal ausdrücken konnte. Außerdem erschien es auch so, als ob man sich um sie kümmern würde. Nein, das war falsch ausgedrückt. Es schien so, als ob Errol seine Zuneigung mit liebevoller Pflege zeigen würde. Doch das war nicht der Fall.

Ihr Martyrium ging nun schon so lange und nur ihr starker Überlebenswille hielt sie davon ab, sich in irgendeiner Art und Weise etwas selbst antun zu wollen, obwohl ihr der Gedanke sehr oft kam. Nun, nicht nur die Sturheit, welche man der Familie Clarke zu schrieb, hielt sie davon ab, sondern auch der Gedanke an Callahan.

Obwohl sie sich kaum bewegen konnte und ihre Stimme ihr nicht mehr gehorchte, waren ihre Gedanken klar und sie verstand jedes einzelne Wort, dass um sie herum gesprochen wurde. Errol, dieser verfluchte Mistkerl, schien das nicht zu wissen, denn er verhöhnte sie tagtäglich und schloss meist damit, dass sie es ja sowieso nicht verstehen würde.

Aber sie verstand es sehr wohl.

Sie wusste, dass Callahans Flucht erfolgreich war und obwohl Errol damit tönte, dass der Ire bestimmt in der Wüste verreckt sei, wusste Rachel von anderen, dass er es bis nach Sydney schaffte. Nein, Callahan war nicht tot. Khia überbrachte ihr eines Tages die Nachricht, dass er persönlich Cal nach Sydney gebracht habe und er zu dem Zeitpunkt noch sehr lebendig gewesen war. Was allerdings danach geschah, konnte ihr niemand sagen. Nicht einmal Sean, der in Sydney gewesen war, allerdings unter der Aufsicht des schrecklichen Avery Hall, der sich wieder auf ihrer Farm breit machte und jeden Sträfling quälte. Nur den Arzt verschonte er, aber das war Errols Verdienst, der wenigstens genug Hirn hatte, um zu wissen, dass ein Heiler hier Gold wert war. Allerdings hatte Master Duncan zu viel zu tun, denn Avery Hall versorgte ihn immer wieder mit neuen Verletzten, die er mit seiner Peitsche quälte.

Errol überließ nichts mehr dem Zufall. Niemand durfte sich ihr nähern und er kontrollierte ihr Essen, was er auch dazu nutzte, um ihr diese Kräuter zu geben, welche sie in diesen erbärmlichen Zustand versetzten. Selbst ihre Zofen durften nur zu ihr, um sie zu waschen und anzuziehen, dann hatte sie wieder zu gehen. Dennoch schaffte es eine von beiden, ihr den Trunk zu geben, der eine Schwangerschaft verhinderte. Doch auch in diesem Fall war Errol vorsichtig, denn er bestieg sie jede verdammte Nacht. Sie konnte sich nicht wehren, aber die Zofen hatten schon ihre Verletzungen bemerkt. Errol hingegen schlug sie, weil sie immer noch keinen Erben in sich trug.

Gerade in der gestrigen Nacht hatte er sie verprügelt und seinen ganzen Ärger an ihr ausgelassen. Zuerst war ihr nicht bewusst, was ihn schon wieder so wütend machte, doch heute morgen hatte er sich mit einem seiner Männer, die nur auf der Farm waren, um sich Rum hinter die Binde zu kippen, unterhalten. Erst war Rachel von dem Gerede nicht ganz schlau geworden, doch dann verstand sie.

Cedric kam zurück.

Und damit musste Errol seine Macht aufgeben, die er inne zu haben glaubte.

Rachel hatte, als sie noch nicht zur dieser Untätigkeit verdammt wurde, einige Male versucht, ihren Bruder einen Brief zu schreiben, doch Errol fing ihre Briefe immer wieder ab und verbrannte sie vor ihren Augen, bevor er sie wieder schlug. Eine gute Seele musste ihre missliche Lage erkannt und Cedric angeschrieben haben. Laut Errol war die Rückkehr ihres Bruders nicht mehr aufzuhalten, denn Cedric schien schon auf einem Schiff zu sein, dass schon längst von England aus nach Australien aufgebrochen war. Errol hoffte darauf, dass die Revolution, die in Frankreich ihren Höhepunkt erreichte, Cedric zum Umdenken brachte, aber irgendetwas war geschehen, so dass Cedric es nicht mehr in England aushielt und sich nach Australien sehnte.

Innerlich lächelte sie, wenn sie sich an Errols Panik erinnerte, denn er war einfach kein Gutsherr und die Farm  verkam immer mehr unter seiner Obhut. Seine Fehlinvestitionen und der letzte Buschbrand hatten enorme Kosten verursacht, mit denen er nicht zurecht kam. Rachel hätte gewusst, wie man zumindest einiges abfangen konnte, dich Errol wollte sie einfach nicht aus ihrem Dämmerzustand entlassen, denn sie könnte ja um Hilfe bitten.

CallahanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt