Zu viel

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Mit Tesafilm bewaffnet, laufe ich im Schutz der Dunkelheit nach unten in die Eingangshalle. Meine Tränen sind mittlerweile versiegt, nicht aber der psychische und der körperliche Schmerz. Scheinbar mühelos hat Eliandro meine Beine mit seinen festgehalten und mich anschließend erbarmungslos vergewaltigt. Meine Schreie hat er unterbunden, indem er eine Hand auf meinen Mund presste. Mit Blicken habe ich versucht ihn zu erdolchen, während ich an Saras Worte dachte, die meinen Zorn keinesfalls abmilderten. Vielmehr bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sie ihn wohl noch nie wütend erlebt haben kann. Als er endlich fertig war, hat er meine Hände befreit und ist mit einem siegessicheren Grinsen verschwunden, während ich noch immer geschockt auf dem Bett lag. Kurz darauf hatte ich nur einen Wunsch: baden. Wie lange ich letztendlich in der Badewanne verbracht habe, weiß ich nicht mehr, aber als ich sie verließ, war es bereits stockfinster. Allmählich hat sich wieder mein Gehirn eingeschaltet und mir wurde klar, dass ich nicht noch Monate hier aushalten könnte. Daher habe ich das Wärmste angezogen, was ich fand und gewartet bis 1 Uhr nachts. Jetzt stehe ich mit zittrigen Händen vor der Eingangstür und hoffe einfach, dass ich den Fingerabdruckscanner überlistet bekomme. Ich klebe einen Streifen über den Scanner und drücke ihn dann fest darauf. Das Feld wird rot, ein sicheres Zeichen, dass es nicht funktioniert hat. Verzweifelt versuche ich ruhig zu bleiben und ziehe den Streifen ab, bevor ich ihn nochmals darauf klebe. Plötzlich wird das Feld grün und ich höre in Klicken: Die Tür wurde entriegelt. Mit überschwänglicher Freude öffne ich diese. Eisige Kälte schlägt mir entgegen, lässt mich an meinem Vorhaben zweifeln. Doch lieber erfriere ich, als dass ich noch einen Tag länger in diesem Hause verbringe. Leise ziehe ich die Tür hinter mir zu und schleiche mich am Haus entlang. Vorne am Tor erkenne ich durch die spärliche Nachtbeleuchtung Wachen, weshalb ich mich zur Rückseite begebe. Zu meinem Glück erhellt der Mond die Landschaft, sodass ich wenigstens etwas sehe. Allerdings gefällt es mir nicht, dass ich keinen Durchgang erspähe. Der zugefrorene See glänzt im Mondschein und trügt über die Verbrechen hier hinweg. Mir bleibt nur eine Möglichkeit: die Wachen aus dem Weg räumen. Da ich in letzter Zeit wieder zugenommen und gestern erst trainiert habe, traue ich mir ein solches Unterfangen zu. Eine andere Wahl habe ich sowieso nicht. Ich kann schlecht klingeln und Eliandro fragen, ob er gewillt ist, mich wieder rein zu lassen. Leise bewege ich mich am Haus entlang und renne dann schnell seitlich zum Zaun. Von dort schleiche ich mich weiter, auch wenn Laternen den Zaun erhellen. Über das offene Feld würden die beiden mich aber sofort entdecken. Je näher ich komme, desto höher steigt mein Puls. In ihrer Nähe angekommen, stocke ich, da ich dem Gespräch näher lausche.

„Der Boss lässt die ganze Straße bewachen. Er rechnet wohl bald mit einem Angriff."

„Als ob die je eine Chance gegen uns hätten."

„Ich finds nicht schlecht, so werden wir wenigstens frühzeitig gewarnt."

„Stimmt. Trotzdem erfrier ich hier. Ich hol uns einen Kaffee, in Ordnung?"

„Klar, ich halte die Stellung."

Ich wittere meine Chance, als der eine Mann seinen Posten verlässt. Sehr beunruhigend finde ich aber die Tatsache, dass Männer die gesamte lange Straße hier hinauf bewachen. Da sie wahrscheinlich alle mit Funk ausgestattet sein werden, kann Eliandro sie sehr schnell über mein Verschwinden informieren. Er wird es wahrscheinlich bemerken, bevor ich überhaupt das Tal erreiche. Nichtsdestotrotz stürme ich auf den Wachmann zu. Im letzten Augenblick dreht er sich zu mir herum, doch es ist zu spät. Meine ausgestreckte Hand schlägt waagerecht gegen seine Halsschlagader, sodass er bewusstlos zu Boden geht. Sobald sein Partner zurückkommt, wird er Alarm schlagen, was wiederum für mich bedeutet, ich brauche schnellstens ein Versteck. Die Straße kann ich nicht nehmen, also laufe ich von außen um das Anwesen und steige auf. Der heftige Wind lässt mich trotz meiner dicken Kleidung frösteln. Im Schnee komme ich nur langsam voran, doch das Haus, in dem plötzlich mehrere Lichter angehen, entfernt sich immer weiter. Die Nadelbäume bieten mir zusätzlich Schutz, allerdings wird mir schnell klar, dass ich hier draußen so keine Nacht überleben werde. Trotzdem steige ich immer weiter auf. Ich vermute, dass ich bereits eine viertel Stunde unterwegs bin, als ich erschöpft zu Boden sinke. In dem hohen Schnee kostet jeder Schritt extrem viel Kraft. Von meinem jetzigen Standort kann ich erkennen, dass die Vegetation allmählich endet. Von Mina weiß ich, dass sich oberhalb Geröllfelder befinden, die mir keinen Schutz bieten können. Daher beschließe ich an Ort und Stelle zu bleiben und mir eine Schneehöhle zu graben. Meine beste Freundin hat mir erzählt, dass das die beste Überlebensstrategie bei solch einem Wetter sei. Unterhalb eines schneebedeckten Astes, der auf dem hohen Schnee liegt, fange ich an zu graben. Leider habe ich keine Handschuhe im Schrank gefunden, sodass meine Hände innerhalb kürzester Zeit vor Kälte schmerzen. Ich ziehe sie in die Jackenärmel und grabe weiter. Nach endloser Zeit kann ich endlich in die Höhle kriechen. Zitternd lehne ich mich an den Stamm und ziehe meine Beine an meinen Körper. Hier drin ist es tatsächlich wärmer, da der kalte Wind abgeschirmt wird. Über meine Wollmütze ziehe ich meine Kapuze und hoffe einfach, dass ich die Nacht so überlebe. Die ganzen Ereignisse des gestrigen Tages und die Flucht im hohen Schnee haben mich so geschwächt, dass ich kurze Zeit später einfach einnicke.

HELenAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt