Zweifel

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Noch in der Nacht haben Eliandro und ich beschlossen, Mina sofort zu unterstützen, sprich, sie bei ihrer Heimreise zu begleiten. Davor möchten wir aber mit ihr zusammen die wunderschöne Berglandschaft bewundern und einige Touren unternehmen. Meine Hoffnung war, als ich diesen Vorschlag Eliandro unterbreitet habe, dass sich Mina und mein Freund sich in dieser Phase nähren und ihr Kriegsbeil begraben.

Heute findet die erste Tour statt, wir wollen zum Zwölferkofel. Seit wir meine Freundin und Skyler abgeholt haben, herrscht eine angespannte Atmosphäre im Wagen. Diese ändert sich auch nicht, als wir zu Fuß zur Talschlusshütte unterwegs sind. Dort angekommen, rasten wir erst einmal, wobei Skyler mich um ein Gespräch bittet, sodass ich mich von unserer kleinen Gruppe entferne, diese aber für Notfälle immer noch im Blick habe.

„Du bist dir sicher mit ihm?", fragt der Sicherheitschef meiner besten Freundin und deutet auf Eliandro. „Immerhin hat der dich entführt."

Auch wenn ich mit dieser Frage hätte rechnen müssen, überrascht mich seine Direktheit. „Ja, er hat sich geändert. Ich bin keine Gefangene mehr und er liebt mich wirklich."

„Hela, ich möchte ehrlich zu dir sein", setzt Skyler erneut an und ich ahne, dass er nichts Positives zu meiner Beziehung beizutragen hat. „Ich mache mir Sorgen um deinen geistigen Gesundheitszustand."

„Was?", entfährt es mir ungläubig und etwas zu laut, da schon die anderen zu uns herübersehen.

„Lass es mich bitte erklären", bittet Skyler, der nach einem Nicken meinerseits fortfährt: „Nachdem er dich in seine Gewalt gebracht hat, hast du alles dafür getan, um dich dieser zu entziehen. Du warst – nach deinen Erzählungen – ein absoluter Rebell, der nur eins im Sinn hatte: die Flucht. In der Zeit hat sich Eliandro unter aller Sau benommen – verzeih den Ausdruck. Auch nachdem er dir das Leben gerettet hat, klang es für mich nicht so, als ob er dich liebt, sonst hätte er dich niemals mit seiner eigenen Angst bestraft und zum Selbstmord getrieben. Zwar hat er dich vor dem Tod bewahrt und war nicht mehr gewalttätig dir gegenüber, aber rechtfertigt das seine vorangegangenen Taten? Ihr küsst euch, habt wahrscheinlich auch einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, aber ist das Liebe? Für dich ja, da er dich von sich abhängig gemacht hat, aber er ist nicht abhängig von dir. Vielleicht interpretierst du in sein Verhalten zu viel hinein, da er vorher unmenschlich gehandelt hat. Das Stockholm-Syndrom ist eine ernstzunehmende Erkrankung – oder wie auch immer man das nennen soll. Bitte denk einfach in Ruhe darüber nach."

Ehrlich gesagt weiß ich gerade nicht, wie ich auf seine Erklärung reagieren soll. Als Zeichen, dass ich seiner Bitte nachkommen werde, nicke ich einfach. Die rhetorischen Fragen schwirren in meinem Kopf, aber seine Aussage, dass Eliandro mich abhängig gemacht hat, verunsichert mich. Ich kann mich noch gut an unser Gespräch über das Halsband inklusive Leine erinnern:

‚Was bezweckst du hiermit?", fragte ich meinen Peiniger und deute gleichzeitig auf die Leine, während wir am Tisch ein Stück Rumsteak mit Pommes aßen.

Eliandro räusperte sich, bevor er zu sprechen begann: ‚Genau das, was ich dir schonmal gesagt habe: Ich möchte, dass du mir gehorchst.'

‚Aber wieso eine Leine? Wieso keine Schläge? Geht's dir um Demütigung?', hakte ich nach.

‚Weil Schläge nichts bringen. Folter nutzt nur etwas, um an Informationen zu kommen. Das Einzige, was ich mit Schlägen erreiche, ist Angst. Du würdest nur aus Angst mir gehorchen und das lehne ich ab. Demütigungen, wie eine Leine, erzeugen keine Angst. Das funktioniert viel subtiler. Warum bittest du mich, spazieren zu gehen? – Mit dem Mann, der dich vergewaltigt hat. Und das wird nicht wieder vorkommen, das verspreche ich dir.'

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