Bloß nicht aufgeben

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Schmerzen sind das Einzige, was ich spüre. Mein Kopf brummt, meine linke Gesichtshälfte fühlt sich so an, als wäre sie gar nicht mir und meine rechte Schulter übertrumpft jeden Schmerz, den ich jemals erlebt habe. So starke Beschwerden hatte ich noch nicht einmal, als die Vasenscherbe in meinem Rücken steckte. Mühsam versuche ich meine Augen zu öffnen, doch links mag es mir nicht gelingen. Es scheint so, als wäre dort alles zu stark angeschwollen. Intuitiv möchte ich mit meiner Hand mein Gesicht abtasten, doch ich kann meine Hände nicht bewegen. Erschrocken hebe ich den Kopf, um wenigstens mit einem Auge etwas erkennen zu können, was sich im Nachhinein als Fehler herausstellt, da die Kopfschmerzen zunehmen. Jedoch hat sich meine Mühe gelohnt, denn ich erkenne die Gründe, wieso ich keine Hand zu meinem Gesicht bewegen kann: meine linke Hand wurde am Bett, in dem ich liege, gefesselt; mein gesamter rechter Arm ist mit einem Art Verband, wie ihn auch Eliandro trug, fixiert. Nach und nach fallen mir wieder die Geschehnisse ein, weshalb ich überhaupt hier gefesselt liege. So klärt sich auch, dass mein Gesicht durch Lorenzos Schlag total angeschwollen sein muss. Erschöpft lasse ich den Kopf wieder ins Kopfkissen sinken. Ich ärgere mich, dass ich meine Flucht fast genauso überstürzt angegangen bin wie bei Aiden, obwohl ich in letzter Zeit nicht mehr so hart trainiert habe. Hätte ich das Training nach der Heilung des Streifschusses nicht so vernachlässigt, würde ich mich jetzt wahrscheinlich in Freiheit oder schon wieder in Eliandros Armen befinden. Stattdessen habe ich die gemeinsame Zeit mit Eliandro genossen und zuletzt Akten durchsucht. Was mich jedoch überrascht, ist, dass Lorenzo mich so professionell versorgt hat, wo er mich doch sowieso töten möchte. Ein weiterer Fluchtversuch muss auf jeden Fall etwas warten, ich bin nicht im Stande zu kämpfen. Nichtsdestotrotz sehe ich mich im Zimmer ein wenig um, doch das Einzige, was sich hier drin befindet, ist ein für mich unerreichbarer Schrank und ein Fenster, aus dem ich – wie erwartet – keine Landschaft aufgrund des bescheuerten Baustils sehen kann. Dafür macht sich allmählich meine Blase bemerkbar. Diesmal wurde mir wohl kein Katheter gelegt, worüber ich sehr dankbar bin.

Um auf mich aufmerksam zu machen, rufe ich einfach: „Hallo? Ist da jemand?"

Kurze Zeit später wird die Tür geöffnet und kein geringerer als Lorenzo kommt durch die Tür marschiert. „Dornröschen ist wach. Wie fühlst du dich?", fragt er gehässig.

„Ich muss auf Toilette", teile ich ihm mit, ohne seine Frage zu beantworten.

„Eliandro hat wohl auch vergessen, dir Manieren beizubringen. Aber gut, dazu bin ich ja jetzt da."

„Wozu? Du willst mich doch eh töten", provoziere ich ihn.

„Ganz Recht, aber bis dahin kannst du mir doch sehr nützlich sein. Wer weiß, wann dein geliebter Freund eintrifft."

Mir ist klar, dass Lorenzo mich hauptsächlich aufgrund Eliandros Liebe zu mir entführt hat und nicht wegen der Flucht von Daria, zu der ich ihr verholfen habe. Mir ist auch klar, dass Lorenzo Eliandro gefangen nehmen kann, wenn er nach mir sucht. Als Folge dessen liegt es an mir, schnell den Fängen meines zweiten Entführers zu entkommen. Da das Kämpfen ausscheidet, bleibt nur noch eine Möglichkeit: Ich muss ihn davon überzeugen, dass Eliandro mich nicht liebt, wofür mir jedes Mittel Recht ist. „Mein geliebter Freund? Sicher, dass du meinen Käufer meinst und nicht jemand anderen? Hat dich die Wut schon erblinden lassen?"

„Ich bin mir ganz sicher, Helena. Er liebt dich und er wird versuchen, dich zu retten."

„Vergewaltigt man diejenige, die man liebt?" Ich habe diese Frage leise ausgesprochen, während Emotionen sie begleitet haben – wahre Emotionen.

„Du bluffst doch nur, um dich freizulassen." Seine in Falten gezogene Stirn zeigt jedoch, dass er über meine Frage nachdenkt und nicht damit gerechnet hat.

HELenAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt