Minerva

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„Daran bist nur du schuld! Du und Aiden!" Immer wieder werfe ich Eliandro diese Wörter an den Kopf und schlage unkontrolliert auf seine Brust. Der anfängliche Schock hat sich in Wut verwandelt und wird jetzt zur Verzweiflung. Kontrolle über meine Handlungen habe ich keine mehr – dass ich geistesgegenwärtig die Nummer gelöscht habe, grenzt an ein Wunder.

Plötzlich ist auch Francesco anwesend, der meine Handgelenke wie Eliandro packt, um meine Gegenwehr zu stoppen und löst mich von meinem Käufer. Dieser verschwindet sofort aus dem Raum. Es interessiert mich nicht. Mit aller Macht versuche ich mich zu befreien, es gelingt mir allerdings nicht, obwohl Francesco deutlich Arbeit hat, mich zu kontrollieren. Nach einiger Zeit kommt Eliandro wieder und rammt mir eine Spritze in den Arm, bevor ich sie überhaupt richtig wahrgenommen habe. Nur Sekunden später trübt mein Sichtfeld ein und meine Kraft verlässt mich. Wie ein nasser Sack hänge ich nun an Francesco, der mich vor einem Aufprall auf dem Boden bewahrte. Dass Eliandro mich auf seine Arme nimmt, spüre ich kaum; es fühlt sich an, als wäre ich in Watte gepackt. Noch in seinen Armen schlafe ich ein.

Vollkommen benebelt und durcheinander komme ich in Eliandros Schlafzimmer zu mir. Sofort fällt mir wieder ein, was passiert ist, bevor mir die Spritze mit dem Beruhigungs- oder Schlafmittel verabreicht wurde. Tränen kommen keine mehr, ich fühle mich ausgelaugt und ausgewrungen. Die Gewissheit, dass meine Befürchtung doch wahr geworden ist, ist schlimmer als die Ungewissheit, in der ich die ganze Zeit gelebt habe. Meine Wut auf Eliandro ist einer unsagbaren Leere gewichen. Natürlich mache ich ihm noch immer Vorwürfe, ohne seine beziehungsweise Aidens Entführung hätte ich meine beste Freundin retten können. Sie wäre nie gekommen, um mich zu retten. All das, was ich Aiden und Eliandro angedroht habe, wird es nie geben – jedenfalls nicht von Mina. Mir selbst fehlt die Kraft dazu, gleichzeitig wüsste ich noch nicht einmal, ob ich es seelisch schaffen würde, Eliandro umzubringen – den Mann, der mir gezeigt hat, was es bedeutet, geliebt zu werden.

Nach einiger Zeit kommt Eliandro in sein Zimmer und versucht mit mir zu sprechen, doch seine Worte dringen nicht zu mir durch. Ich liege einfach in seinem Bett und starre nach draußen zu den Bergen. Selbst ihre Schönheit beeindruckt mich keineswegs mehr. Als er bemerkt, dass ich nicht reagiere, rüttelt er an meiner Schulter, doch mehr als einen leeren Blick kann ich ihm nicht schenken. Ich habe keine Kraft mehr. Resigniert verlässt Eliandro irgendwann sein Zimmer.

Später kommt Sara vorbei und bringt mit etwas zu essen, doch ich beachte weder sie noch den auf dem Tablett stehenden Teller. Auch sie versucht einige Zeit auf mich einzureden, doch wieder klingen ihre Worte wie eine Sprache, die ich nicht verstehe, obwohl ich sie eigentlich beherrschen sollte. Genau wie Eliandro gibt auch sie nach einiger Zeit auf.

Dieser startet daraufhin einen erneuten Versuch, diesmal bringt er mir einen Becher mit einem Strohhalm. Erst als er mir diesen schon quasi in den Mund steckt, beginne ich zu trinken. Seine Berührungen an meinen Körper nehme ich dabei zwar wahr, aber ich fühle einfach nichts mehr – weder Hass noch Liebe.

Die nächsten Tage laufen ähnlich ab. Eliandro wirkt immer frustrierter und deprimierter, während er alles versucht, um mich zum Essen und Reden zu bringen. Erst hat er nachts woanders geschlafen, mittlerweile schläft er wieder hier und hält mich in seinen Armen wie früher. Aber es ist egal, wo er nächtigt, ich fühle nichts. Auch sein Versuch, mich durch die Mädchen aufheitern zu lassen, scheiterte. Als er mich auf seinen Armen raustrug und mich in der Sonne, vom Wind geschützt, auf einer Hollywoodschaukel niederließ, änderte sich mein Zustand nicht. Ich glaube, er könnte mich schlagen und würde keine Reaktion meinerseits erhalten. Trinken tue ich mittlerweile wieder von allein, essen jedoch nicht. Eliandro ist mittlerweile dazu übergangen, mich zu füttern – soweit ihm das gelingt.

HELenAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt